Neun Stunden dauerte das Intermezzo des João Palhinha beim FC Bayern an. Um 11.58 Uhr war der 28-jährige Wunschspieler von Bayern-Coach Thomas Tuchel in der Nähe von München gelandet – gegen 21 Uhr verließ der Portugiese die Landeshauptstadt wieder.
Hat Bayern etwas falsch gemacht?
Was sich unterdessen in den Katakomben an der Säbener Straße, der Geschäftsstelle des FC Bayern und den Untersuchungsräumen des Krankenhauses der „Barmherzigen Brüder“ abspielte, glich einem Drehbuch. Der 01. September 2023, der Deadline-Day, oder wie die SZ es liebevoll formulierte „Durcheinander-Day“ geht jedoch wohl eher als misslungener Filmansatz in die Vereinshistorie ein.
Doch wie konnte es so weit kommen?
Noch wenige Wochen zuvor galt die Sommer-Transferperiode des FC Bayern als überaus gelungen. Nicht nur lockte man den englischen Nationalstürmer Harry Kane nach München (und widmete ihm ein Filmplakat über einem Kino am Sendlinger Tor).
Kane, Kim, Laimer, Guerreiro - aber keine „Holding-Six“
Auch verpflichtete man das koreanische Abwehrmonster Minjae-Kim, Raphael Guerreiro, Konrad Laimer – die Einkäufe schienen sich nur noch selbst zu übertreffen.
Selbst für die offenen Positionen der „Holding-Six“, die Tuchel wollte, andere Bayern-Bosse wie Uli Hoeneß jedoch eigentlich ablehnten, und auf der rechten Abwehrseite schienen Lösungen in Sicht.
So sollte Palhinha für 50 Millionen Pfund plus acht Millionen Pfund Boni das defensive Mittelfeld verstärken, obwohl man Tuchel nach SPORT1-Informationen bereits vergangene Woche mitteilte, keinen Sechser mehr holen zu wollen.
Palhinha absolvierte am Freitag den Medizincheck und weilte fortan an der Säbener Straße – wartend auf die endgültige Vollzugsmeldung. Doch so weit kam es nicht. Der FC Fulham schob den Riegel vor. Man habe keinen adäquaten Ersatz für den – zugegeben wichtigsten – Mittelfeldspieler im Craven Cottage gefunden.
Scott McTominay, der übrigens auch einst auf der Liste der Bayern auftauchte, wollte nicht zum Premier-League-Zehnten der vergangenen Saison. So verweigerten die Fulham-Verantwortlichen letztlich den Deal und schickten ihren Schützling wieder auf die Heimreise, ließen den Deal mit Bayern platzen.
Wie Palhinha allerdings am Abend in grauer Jogginghose mit gesenktem Kopf am Flughafen herumschlenderte, glich eher einer Demütigung als einer freudigen Rückreise voller Vorfreude auf das nächste Spiel in England.
Dort befand sich übrigens am Freitag auch Armel Bella-Kotchap. Während sich bereits am Vormittag Borussia Dortmund aus den Verhandlungen um den 21-Jährigen zurückgezogen hatte, intensivierte der FC Bayern plötzlich seine Bemühungen.
Deal um Bella-Kotchap scheitert auf Zielgerade
Der deutsche Nationalspieler mauserte sich zum Favoriten beim Rekordmeister auf die Planstelle „Pavard-Ersatz“. Eine 3,5 Millionen Euro Einjahresgebühr mit einer anschließenden Kaufoption über 26 Millionen Euro war im Gespräch.
Doch wie im Fall Palhinha fehlte auch hier am Ende das letzte grüne Licht des FC Southampton bis zur Schließung des Transfer-Vorhangs in der Bundesliga (18 Uhr) - und so scheiterte der Deal aufgrund von Details auf den letzten Metern.
Zu allem Überfluss wechselte Bella-Kotchap am späten Abend noch überraschend per Leihe nach Eindhoven, weshalb auch ein Transfer im Winter nicht mehr möglich ist.
Dabei sei ebenfalls erwähnt, dass sich der FC Chelsea gar mit einer Leihe ohne Kaufoption für die Alternative der Bayern, Trevoh Chalobah, zufriedengab. Doch die Münchner bevorzugten allem Anschein nach Bella-Kotchap und ließen ihre Bemühungen um Chalobah versanden.
So steht der deutsche Rekordmeister nach einem denkwürdigen Tag mit leeren Händen da. Gut, nicht ganz leer. Immerhin befindet sich im Kader noch ein planmäßiger Rechtsverteidiger mit Noussair Mazraoui sowie drei Sechser mit Laimer, Leon Goretzka und Joshua Kimmich.
Und doch wird Thomas Tuchel nicht gänzlich zufriedengestellt sein, immerhin ließ der Bayern-Coach nach dem 3:1-Sieg gegen den FC Augsburg bei DAZN bereits durchschimmern, auf der Sechs sei es eine „numerische“ Angelegenheit.
FC Bayern: Fiasko am Deadline-Day
Nur, um am Freitag auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Borussia Mönchengladbach (Samstag ab 18.30 Uhr im SPORT1-Liveticker) – man beachte, das Transferfenster hatte nur noch wenige Stunden geöffnet – nachzulegen: „Wir versuchen weiter, unsere Mannschaft zu verstärken (…) Es ist aufregend und bleibt spannend.“
Nicht umsonst hatte der FC Bayern den potenziell teuersten Mittelfeldspieler der Vereinsgeschichte bereits zum finalen Check eingeflogen.
Und bereits in der Vergangenheit hatten sich ebenjene Last-Minute-Deals ausgezahlt. Xabi Alonso, die erste Leihe von Kingsley Coman, die Leihe von Joao Cancelo wurden allesamt am Deadline-Day finalisiert.
Am 05. Oktober 2020 verpflichteten die Bayern mit Eric-Maxim Choupo-Moting, Bouna Sarr und Douglas Costa gleich drei Spieler am finalen Tag.
Drei Jahre später sollten es „nur“ zwei werden, am Ende steht kein einziger Transfer.
Dem FC Bayern die alleinige Schuld an diesem Fiasko zu geben wäre freilich harlekinesk. Auch die Spieler zu beschuldigen, eine Hängepartie erwirkt zu haben, ist schlichtweg falsch. Doch wer ist nun die ausschlaggebende Partei für die missliche Lage nach Ablauf der Transferfrist?
Es wird sich wohl auf zwei Argumente hinausbewegen. Zum einen spielte die Zeit sehr wohl eine Rolle.
Satte 62 Tage war die Finalisierung von Vereinswechseln der Akteure möglich. Allein in der Bundesliga wechselten über 100 Spieler ihren Arbeitgeber. Doch gerade am Deadline-Day, der eben nicht umsonst Durcheinander-Day getauft wurde, gipfelte das Geschehen in zahlreichen Twitter-Updates, Verhandlungsrunden und hektischen Telefonaten.
FC Bayern trotzdem Bundesliga-Favorit?
Zum anderen hat der FC Bayern Spieler gehen lassen, ohne einen adäquaten Ersatz vertraglich sicher zu haben. Das Ergebnis dürfte für den deutschen Rekordmeister zwar nicht befriedigend sein.
Und doch wird der FC Bayern erneut als Favorit in die noch frische Bundesliga-Spielzeit gehen. Nicht nur, weil Kane, Kim und Co. kamen.
Sondern auch, weil der Kader augenscheinlich doch breit genug ist, Ryan Gravenberch nach Schließung des Transferfensters in Deutschland noch am späten Freitagabend für eine Summe jenseits der 40 Millionen Euro nach Liverpool zu verschiffen.