Das Verhältnis von Joshua Kimmich und Bayern-Coach Thomas Tuchel hat in den vergangenen Wochen immer wieder Fragen aufgeworfen. Schon mehrmals konterte der 28-Jährige Aussagen seines Trainers bezüglich seiner Zukunft bei den Bayern, seiner Qualität als „Sechser“ und zuletzt der Einsatzzeit beim Unentschieden gegen Bayer Leverkusen.
Wie Kimmich an Macht verloren hat
Tuchel nahm am Freitag seinen Mittelfeldspieler in der 61. Minute vom Feld. Grund dafür war eine muskuläre Verletzung, die er sich während der Länderspielpause beim DFB-Team zugezogen hatte. Schon im Vorfeld der Partie stand Kimmichs Einsatz auf der Kippe. Tuchel betonte nach dem Spiel, wie auch schon vor Anpfiff: „Die medizinische Maßgabe war ganz klar 60 Minuten - daran haben wir uns gehalten.“
Als der Trainer seinen Mittelfeldspieler vom Platz holte, kam es allerdings zu einer kuriosen Szene. Kimmich war offenbar der Annahme, dass das Spiel für ihn noch weitergehe, denn er übernahm die Kapitänsbinde von Thomas Müller, der durch Jamal Musiala ersetzt wurde.
Kimmich-Antwort sorgt für Wirbel
Erst als Kimmich die Binde schon in der Hand hatte, realisierte er, dass die Partie auch für ihn beendet ist. Daraufhin übergab der Mittelfelfspieler Leon Goretzka die Binde und wirkte bei seiner Auswechslung sichtlich genervt. Am Seitenrand tauschte er ein paar Worte mit Tuchel aus, hielt sich dabei die Hand vor den Mund.
Kimmich selbst wollte nach dem Spiel nicht viel zu seiner Auswechslung sagen. Als er gefragt wurde, ob sein Abgang mit der Verletzung zu tun gehabt habe, sagte er mit einem Lächeln nur: „Frag den Trainer.“
Im Nachgang sorgte diese Aussage für Wirbel, denn beim Abschlusstraining am Donnerstag war Kimmich noch nicht komplett schmerzfrei. Nach SPORT1-Informationen war Kimmich in die Entscheidung, gegen Bayer maximal für 60 Minuten auf dem Feld zu stehen, eingeweiht.
Allerdings hätte er offenbar gerne noch weitergespielt und war nicht glücklich aufgrund dieser Schutzmaßnahme seines Coaches. Tuchel begründete nach dem Spiel: „Natürlich, der Josh will immer drauf bleiben. Es ist aber nicht die Phase der Saison, in der wir Muskelverletzungen riskieren - schon gar nicht im Mittelfeld.“ Wegen seiner Blessur habe Kimmich auch keine Ecken getreten, unnötige Belastungen sollten vermieden werden.
Magath hätte anderen Ansatz gewählt
Der ehemalige Bayern-Trainer Felix Magath war am Sonntag bei Bild verwundert über das Vorgehen von Tuchel und der Einschätzung der medizinischen Abteilung: „Da reibe ich mir verwundert die Augen. Ich wundere mich, dass irgendwer aus dem medizinischen Stab diese Aussagen trifft.“
Der 70-Jährige hätte in diesem Fall einen anderen Ansatz gewählt und Kimmich mit in die Entscheidung eingebunden: „Gib mir ein Zeichen, wenn du raus musst, dann nehme ich dich vom Feld.“ Magath irritierte, dass die Verantwortlichen eine bestimmte Zeit festlegten, die Kimmich nur spielen könne.
Kimmich? Für Tuchel kein Sechser
Schon während der Vorbereitung auf die neue Saison gab es öffentliche Differenzen zwischen Tuchel und seinem Schützling. Der FC Bayern versuchte bis zum Ende des Transferfensters einen defensiven Mittelfeldspieler zu verpflichten. Jemand, der Kimmich, Goretzka und Co. auf dem Spielfeld den Rücken freihält. Der Coach taufte diese Stellenbeschreibung mit dem Namen „Holding Six“. Doch alle Pläne um Declan Rice, Aurelien Tchouameni und Joao Palhinha zerschlugen sich letztlich.
Vor dem Testspiel gegen den FC Liverpool Anfang August sagte Tuchel auf einer Pressekonferenz: „Alle Mittelfeldspieler von uns sind stark zwischen den Strafräumen. Wir haben keinen Holding-Six-Mittelfeldspieler.“ Er fügte begründend hinzu: „Es ist meine Beobachtung, dass wir diesen Spielertyp nicht haben, aber man kann auch ohne solch einen Spieler Spiele gewinnen. Wir müssen andere Lösungen finden.“ Kimmich beschrieb er als einen Leader, der überall auf dem Platz helfen will.
Nach dem Testspiel reagierte der deutsche Nationalspieler auf die Einschätzung von Tuchel am SPORT1-Mikrofon mit einem Grinsen: „Ich bin ein Sechser.“
Kimmich zitiert Tuchel
Zwei Wochen zuvor hatte sich Kimmich das erste Mal süffisant zu einer Aussage von Tuchel geäußert. Im Juli wurde das Interesse vom FC Barcelona an dem Bayern-Star öffentlich. Darauf angesprochen gab es vom Coach nach dem ersten Testspiel gegen den Kreisligisten FC Rottach-Egern kein Dementi: „Es wäre eine große Überraschung, aber Transferperiode ist Transferperiode.“
Im Anschluss wurde auch der 28-Jährige auf seine Zukunft angesprochen und er antwortete auf die Frage zunächst schmunzelnd: „Transferperiode ist Transferperiode.“ Kimmich ergänzte jedoch: „Nein, Spaß. Ich bin mir sehr sicher, dass ich die nächste Saison bei Bayern spielen werde. Zumindest habe ich keine anderen Pläne.“
Unter Nagelsmann unangefochtener Leader
Irritationen, die es unter Julian Nagelsmann so nicht gegeben hatte. Für den Ex-Trainer war Kimmich unangefochtener Führungsspieler gewesen - und hatte starken Einfluss, hatte sich auch neben dem Platz gut dem Coach verstanden. Das Verhältnis zu Tuchel ist - bislang - nicht so eng.
Wie sich die Gesamtsituation rund um Kimmich bei den Bayern entwickelt hat, bezeichnete Magath als „verheerend“. Er führte diesbezüglich aus: „Er war ein Leistungsträger und einer der Chefs. Bayern hat mit Robert Lewandowski (Abgang zum FC Barcelona, Anm. d. Red.) einen Chef verloren, der vorne drin war. Dann mit Manuel Neuer (Beinbruch, Anm. d. Red.), der hinten für Stabilität gesorgt hat, und jetzt hat man auch ohne Not Joshua Kimmich intern geschwächt.“
Droht ein Kimmich-Abschied?
Der langjährige Bundesliga-Trainer hätte vor allem die Diskussion um die Sechser-Position intern geklärt, denn dies habe den Spieler nur geschwächt. „Es hat sich eine Situation entwickelt, in der Joshua Kimmich als Verlierer dar steht.“
Darauf angesprochen, ob der Bayern-Star, dessen Vertrag 2025 ausläuft, den Verein nächstes Jahr im Sommer verlassen müsse, erklärte der 70-Jährige: „Der erste Schritt wäre, dass sich das intern klärt und das Verhältnis geraderückt. Die nächste Saison ist noch weit weg.“ Magath ist davon überzeugt, dass Kimmich wieder ein Leistungsträger in München sein kann. Für ihn sei das Wichtigste, dass der Spieler wieder die richtige Position innerhalb der Mannschaft erhalte.
„Wenn der FC Bayern ihm diese Position aber nicht geben will, dann wird der Weg von den beiden wohl auseinandergehen“, prognostizierte Magath.