Der 15. Februar 2021 hat einiges verändert bei Borussia Mönchengladbach.
Das spannendste Projekt der Liga
Der damalige Trainer Marco Rose, der das Team ein Jahr zuvor noch in die Champions League geführt hatte, zog seine Ausstiegsklausel und bereitete damit seinen Wechsel zu Borussia Dortmund vor - ein Knall, der bis heute nachwirkt.
Unter Rose verpasste die Fohlenelf nach unruhigen Wochen den internationalen Wettbewerb. Seine beiden Nachfolger Adi Hütter und Daniel Farke rannten den hohen Erwartungen ebenfalls hinterher, landeten beide nur im grauen Mittelmaß, kamen nie in die Nähe der internationalen Ränge.
Vor allem aber das krankheitsbedingte Ende des langjährigen Lenkers Max Eberl (jetzt wie Rose in Leipzig) im Februar 2022 traf den Klub in der schwierigen Corona-Zeit knallhart.
Der als Manager in erster Reihe noch unbekannte Ex-Nachwuchschef Roland Virkus übernahm als Geschäftsführer Sport das Ruder. Und der massive Umbruch, der die neue Ära mit sich bringt, nimmt in diesem Sommer Gestalt an - vor und hinter den Kulissen.
Gladbach: Zwei neue Schlüsselfiguren an Virkus‘ Seite
Virkus hat dort zuletzt zwei Schlüsselpersonalien eingefädelt: Nils Schmadtke kam als neuer Sportdirektor hinzu, der frühere Leverkusen-Trainer Gerardo Seoane sitzt zukünftig als Coach auf der Bank.
Es ist die Nagelprobe für Virkus, der sich noch immer aus dem Schatten von Eberl freischwimmen muss. Das soll zukünftig mit Seoane an seiner Seite erfolgreich passieren.
Der Schweizer Übungsleiter weiß dabei, worauf er sich bei der Borussia eingelassen hat.
Seoane nennt Gründe für die Neuausrichtung der Borussia
„Die Coronakrise hat auch Borussia stark getroffen. Gladbach ist zwar gesund geblieben und hat niemanden entlassen. Aber das Eigenkapital ist geschmolzen“, sagt der 44 Jahre alte Seoane SPORT1: „Darüber hinaus hat der Klub in den vergangenen Jahren wichtige Spieler ablösefrei verloren. Auch deswegen hat sich der Verein für eine Neuausrichtung entschieden.“
Bei über 100 Millionen Euro lag das Eigenkapital vor Ausbruch der Coronakrise. Nach drei wirtschaftlichen Geschäftsjahren, in denen der Traditionsverein zusammenaddiert ein Minus von rund 40 Millionen Euro verkraften musste, soll es nun wieder bergauf gehen.
Seoane betont: „Intern herrscht eine offene, klare und transparente Kommunikation. Wir gehen realistisch, demütig und selbstkritisch mit unserer Situation um.“
Gladbach will ablösefreie Abgänge zukünftig „mit aller Macht verhindern“
Ein Klub befindet sich am Scheideweg, bei Teilen des Anhangs geht sogar die Furcht vor dem Abstiegskampf um. Borussia Mönchengladbach geht somit als Wundertüte in die neue Spielzeit. Mit Marcus Thuram, Ramy Bensebaini und Lars Stindl hat der Klub drei Stützen ablösefrei verloren, zudem zog Jonas Hofmann seine Ausstiegsklausel und ging zum Rivalen Bayer Leverkusen. Ein gewaltiger Aderlass!
Nachdem 2022 schon Matthias Ginter zum Nulltarif wechselte, sollen die Fälle Thuram und Bensebaini die letzten dieser Art gewesen sein. „Nach diesen ablösefreien Abgängen haben wir klar beschlossen, dass wir solche Fälle zukünftig mit aller Macht verhindern wollen“, stellt Seoane klar.
Der Hofmann-Abgang hingegen spülte immerhin rund zehn Millionen Euro in die Kasse. Wertvolles Geld also für den bereits in weiten Teilen vollzogenen Kaderumbau.
Seoane betont: „Wir konnten Tomas Cvancara und Franck Honorat für das Geld aus dem Hofmann-Verkauf holen. Dadurch hatten wir auch die Möglichkeit, Thuram zu ersetzen. Wir benötigen etwas Geduld mit den Neuzugängen, sie können diese Spieler vielleicht nicht sofort ersetzen. Aber wir sind überzeugt, dass Cvancara und Honorat mittelfristig eine wichtige Rolle bei uns spielen können.“
Diese Spieler stehen nun in der Verantwortung
Das alles mündet in einen „neuen Weg“, den es bei der Borussia geben soll, den viel zitierten Gladbacher Weg. Eine Mischung aus jungen, hungrigen Spielern und erfahrenen Akteuren wie Ko Itakura, Alassane Plea oder Neuhaus, die schon gezeigt haben, was sie können und in dieser Saison wieder für „Höchstleistungen aktiviert“ werden sollen.
Die drei genannten Stars sollen ab sofort eine tragende Rolle im neuen Gladbach-Konstrukt bilden. Neuhaus, der in den letzten Monaten stark durchhing, soll ab sofort in der Kabine mehr Macht bekommen und in die Chef-Rolle schlüpfen. Sein Rückennummer-Wechsel von der 32 auf die symbolische 10 soll ihn dabei beflügeln.
Kürzlich wurde der 26 Jahre alte Bayer neben Julian Weigl zum Vize-Kapitän ernannt. Die beiden Mittelfeldspieler sollen zusammen mit Torwart Jonas Omlin, der neuer Kapitän ist, Plea, Itakura und den beiden Routiniers Tony Jantschke und Christoph Kramer ab sofort die Richtung vorgeben.
Trotz Umbruch: „Wir sind auch ambitioniert“
„Die Realität lautet, dass es einen neuen Weg geben muss. Selbstverständlich sollen die Fans Erwartungen und Ambitionen haben. Wir sind auch ambitioniert“, sagt Trainer Seoane.
Der Ex-Leverkusener fügt kämpferisch an: „Meine Mannschaft wird in jedes Spiel mit der Einstellung gehen, unbedingt gewinnen zu wollen. Aber vor allem das Auftreten, das Wie, die Einstellung und Leidenschaft - das alles muss immer bei hundert Prozent sein.“
Die Erwartungshaltung im Umfeld nimmt der 44-Jährige als etwas Positives wahr: „Das bedeutet, dass der Verein lebt. Gladbach hat Emotionen und zehrt von einer tollen Geschichte.“ Zugleich aber sei diese Geschichte Vergangenheit, „sie verhindert keine Tore und erzielt auch keine Treffer“.
Der Stil soll wieder „Borussia-like“ sein
Die Zielsetzung Europapokalplatz auszurufen, vermied Seoane angesichts der starken Konkurrenz daher. Der Anspruch am Niederrhein war im vergangenen Jahrzehnt ein anderer, die Borussia schielte stets in Richtung Top vier. In dieser Saison gilt es, sich neu zu (er-)finden. Die Neuzugänge Honorat, Cvancara, Robin Hack, Grant-Leon Ranos, Maximilian Wöber, Lukas Ullrich und Fabio Chiarodia sind spannend, aber eben auch noch ohne Erfahrung auf der Bühne Bundesliga.
Sie werden sich erst beweisen müssen, vor allem beim schwierigen Start in Augsburg und dann anschließend im Heimspiel-Doppelpack gegen Bayer Leverkusen und den FC Bayern München. In diesen Duellen gegen zwei Topteams sieht Seoane sein Team in der Rolle als „Underdog“.
Der Fußball soll dabei dennoch, „ganz Borussia-like“, aktiv und nicht abwartend sein: „Wenn sich die Möglichkeit ergibt, dann soll mein Team schnell nach vorne spielen, mutig angreifen und couragiert verteidigen. Natürlich gibt es Phasen, in denen wir Ballbesitz haben und das Spiel beruhigen wollen. Dann gibt es Phasen, in denen du für die defensive Stabilität auf Ballbesitz verzichtest. Flexibilität ist mir wichtig.“ Auch beim Thema Dreier- oder Viererkette erwartet Seoane diese Variabilität.
Es sind viele Teilchen, die bei der Borussia zusammengefügt werden müssen. Das Remis im letzten Testkick gegen Montpellier verdeutlichte dies, als Gladbach eine 2:0-Führung verspielte. Es zeigt sich, dass ein Prozess ansteht, der Geduld benötigt. Das ist Seoane und seinen Mitstreitern aber bewusst.