Selbst Thomas Tuchel konnte nicht glauben, was er gerade gesehen hatte. Der 49-Jährige beklatschte mit ungläubigen Augen und einem Lächeln im Gesicht die Aktion, die dem FC Bayern einen späten Sieg über den FC Liverpool beschert hatte.
Wo kommt Krätzig auf einmal her?
Bayern-Nachwuchsspieler Frans Krätzig sorgte in der Nachspielzeit mit einem absoluten Traumtor für den goldenen Treffer beim 4:3-Sieg über das Team von Jürgen Klopp, der ebenfalls komplett überrascht war, und konnte sein Glück kaum fassen. Der 20-Jährige schweißte einen langen Pass von Matthijs de Ligt nach einer Annahme volley von der Strafraumkante ins Liverpooler Tor und fasste sich anschließend ungläubig an den Kopf.
„Verrücktes Tor. Wenn man als Kind mal anfängt zu träumen, auch wenn es nur ein Testspiel war, nicht so schlecht, wenn man in der 92. Minute das 4:3 gegen Liverpool mit so einer Butze macht“, erklärte Joshua Kimmich nach der Begegnung auf SPORT1-Nachfrage.
Ein junger Spieler, der bereits im Test gegen Manchester City (1:2) mit positiven Leistungen und einem Assist aufgefallen war, hatte die Münchner somit zum ersten kleineren Titel der Saison geschossen. Die Bayern gewannen die Singapore Trophy, die der Youngster auch gleich selbst nach Entgegennahme in den Himmel recken durfte. Und: Er wurde sogar zum „Man of the Match“ gekürt!
Auch Yann Sommer kam ins Schwärmen, als er auf Krätzigs Leistung angesprochen wurde: „Überragend. Ich habe ihn vorher noch nicht gekannt, aber er hat das überragend gemacht. Er hat ein gesundes Selbstvertrauen, viel Qualität und hat frisch aufgespielt. Wirklich toll.“
Krätzig selbst stand nach dem Spiel die Freude über sein Traumtor ins Gesicht geschrieben. „Da habe ich nicht so viele Möglichkeiten gesehen. Entweder er geht in den Himmel oder in den Knick. Diesmal ging er zum Glück rein.“ Sein Schuss sei „aus dem Gefühl heraus“ entstanden.
Bayern-Talent Frans Krätzig verzückt die Fans
Auf Social Media wurde der Youngster für seine Leistungen und sein Tor gefeiert. Auf Instagram gab es reichlich Komplimente für den Nachwuchskicker. So häuften sich die „Krätzig for president“-Kommentare, einige User forderten auf der Stelle einen Profivertrag für den 20-Jährigen. User „08.nxklas“ flehte Bayern gar an, Krätzig weiterzuentwickeln: „Bitte Bayern, macht was aus Krätzig. Er hat so großes Talent, bitte macht was draus.“
Auch auf Twitter häuften sich die Reaktionen. So schrieb etwa der Fanaccount „Bayern & Football“ über ihn: „Frans Krätzig scheint talentiert zu sein.“
„KMJ Stan“ findet: „Abgesehen von den Minuspunkten haben wir ein weiteres Talent gefunden! Sein Name ist Krätzig, Frans Krätzig!“ Und der User „Nico“ postete bereits nach dem City-Spiel in Anlehnung an Declan Rice, an dem die Bayern großes Interesse hatten, der aber letztlich für über 100 Millionen Euro zum FC Arsenal wechselte: „Frans Krätzig: 0m (Millionen), Declan Rice: 120m. Wir haben die bessere Nummer 41.“
Doch wer ist dieser Frans Krätzig überhaupt?
Als der FC Bayern vor seiner Asien-Reise seinen Kader bekannt gab, dürften selbst eingefleischte Bayern-Fans über den einen oder anderen Namen von Nachwuchsspielern gestolpert sein. Krätzig dürfte dazu gezählt haben.
Der 20-Jährige spielte bislang abseits des Radars der Öffentlichkeit, andere Namen aus dem eigenen Nachwuchs wie Arijon Ibrahimovic, Mathys Tel oder Paul Wanner sind schlicht bekannter. Zudem stand Krätzig zum ersten Mal im Team der Profis. Doch das merkte man ihm bei der Testspiel-Niederlage am vergangenen Mittwoch gegen Manchester City und beim Sieg gegen Liverpool, wo er als Linksverteidiger aufgeboten wurde, nur selten an.
Dass Krätzig aber bis vor einem halben Jahr noch nie links hinten gespielt hatte - nicht mal in der Jugend -, wirkt angesichts seiner Leistung beinahe unglaublich. Wie kam es dann dazu, dass Bayern-Trainer Thomas Tuchel den Linksfuß genau für diese Position mit auf die Asien-Reise genommen hat?
FC Bayern: Krätzig ist gelernter offensiver Mittelfeldspieler
Der Hintergrund ist eine Notsituation: Krätzig spielte, seitdem er 2017 aus der Jugend des 1. FC Nürnberg zu den Bayern-Junioren wechselte, immer als offensiver Mittelfeldspieler. Als solcher durchlief er alle U-Mannschaften der Münchner und die vergangene Hinrunde bei den Bayern-Amateuren. Anfang des Jahres hatte Cheftrainer Holger Seitz nach einem Transfer aber plötzlich keinen Linksverteidiger mehr - und warf kurzerhand Krätzig ins kalte Wasser.
„Es ist wirklich eine außergewöhnliche Situation, weil ich nie damit gerechnet und keine Erfahrung auf dieser Position habe“, sagte Krätzig im Interview bei fcbayern.com rückblickend. Obwohl es ungewohnt gewesen sei und er viel habe umdenken müssen, habe er sich „sofort daran gewöhnt“.
Der umgelernte Linksverteidiger zeigte starke Leistungen, bestach mit Biss in den Zweikämpfen und punktuellen Offensivaktionen. In der Rückrunde gehörte er zu den Leistungsträgern bei Bayerns zweiter Mannschaft. Er absolvierte 32 Spiele in der vergangenen Saison, erzielte dabei sogar zwei Tore und bereitete weitere drei vor.
Kann Krätzig einen Weg wie Alphonso Davies einschlagen?
Dabei musste Krätzig offenbar aber aufpassen, nicht zu offensiv zu werden. „In erster Linie geht es darum, das Tor zu verteidigen und nicht zu offensiv zu denken. Das hat mir der Trainer aber schnell eingetrichtert“, erklärte der Linksfuß. „Wenn ich Aktionen nach vorne habe, helfen mir natürlich die Qualitäten, die ich jahrelang im offensiven Mittelfeld gelernt habe“, sagte er - um dann sogar zuzugeben: „Es ist schon cool da hinten links!“
Ob Krätzig gar eine ähnliche Entwicklung einschlagen kann wie Alphonso Davies, der 2019 eigentlich als offensiver Flügelspieler gekommen war? Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Bei den Bayern hat er noch einen Vertrag bis Juni 2025. Laut fcbayern.com hat er bereits ein Motto für seine neue Position gefunden: „Kämpfen, beißen, kratzen“. Für einen Defensivmann nicht die schlechtesten Qualitäten.
An eine Zukunft bei den Bayern-Profis denkt Krätzig aber (noch) nicht. „Ich konzentriere mich auf die Sachen, die ich bei den Amateuren mache“, sagte er nach dem Liverpool-Spiel und ergänzte: „Wenn etwas passiert, dann passiert etwas. Aber meine Hauptaufgabe sind die Amateure. Da versuchen wir, möglichst viele Spiele zu gewinnen.“
Klar ist: Mit seinen Auftritten während der Asien-Reise hat Krätzig nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht. Und sich für Höheres empfohlen.