Manuel Neuer wird dem FC Bayern auch in den nächsten Wochen - und wahrscheinlich Monaten - fehlen. Der Genesungsprozess des 37 Jahre alten Torwarts zieht sich weiter hin. Yann Sommer (zu Inter Mailand) und Alexander Nübel (VfB Stuttgart) haben sich verabschiedet. Für den vakanten Torhüterposten haben die Münchner nach exklusiven SPORT1-Informationen nun mit Kepa Arrizabalaga vom FC Chelsea den teuersten Torhüter der Welt ins Visier genommen. 2018 wechselte er für die Weltrekordsumme von 80 Millionen Euro von Athletic Bilbao zu den Blues.

Sepp Maier beobachtet die Situation im Tor des Rekordmeisters ganz genau. Nach seiner aktiven Laufbahn war der 1974er-Weltmeister von 1988 bis 2004 Torwarttrainer bei der deutschen Nationalmannschaft und von 1994 bis 2008 in gleicher Funktion beim FC Bayern tätig.

Im exklusiven SPORT1-Interview spricht der 79-Jährige über Neuer, die Torwartsuche und Rekordnationalspieler Lothar Matthäus.

Neuer: „Respekt vor seiner Leistung“

SPORT1: Herr Maier, Manuel Neuer wird auch die kommenden Wochen nicht zwischen den Pfosten stehen. Für viele Bayern-Fans ist das ein Schock. Was sagen Sie dazu?

Sepp Maier: Das war abzusehen. Manuel hatte eine Platte in seinem Bein und die musste wieder entfernt werden. Ich glaube nicht, dass er mehrere Monate ausfallen wird. Manu ist ein Kämpfer, er wird demnächst zurückkommen. Ich hatte damals zu meiner Zeit auch mal eine Platte im Arm, das wurde dann rausgenommen werden und ich musste fünf Wochen pausieren müssen. Ich sehe das nicht so negativ, wie viele in der Fußballbranche. Neuer hat den Ehrgeiz für ein starkes Comeback.

SPORT1: Glauben Sie also, dass Neuer nochmal zurückkommen wird?

Maier: Ja. Ganz sicher. Das glaube ich nicht nur, ich weiß es. Neuer hat so viel Ehrgeiz und will es allen nochmal beweisen, die ihn schon abgeschrieben haben. Ich war damals genauso. Er wird definitiv zurückkommen. Ich bin nicht beunruhigt. Ich kenne Neuer gut und habe großen Respekt vor seiner Leistung.

Ulreich? „Ein super Torwart“

SPORT1: Hat man Yann Sommer zu leichtfertig abgegeben?

Maier: Ich weiß es nicht, das müsste man Hainer (Bayern-Präsident Herbert Hainer, d. Red.) und Dreesen (Jan-Christian Dreesen, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern, d. Red.) fragen. Sie haben halt damit gerechnet, dass Neuer schneller zurückkommt. Ich hätte Sommer gar nicht geholt. Es ist gut, dass er weg ist. Sommer will bei der EM 2024 natürlich für das Schweizer Nationalteam spielen.

Wenn Neuer bei Bayern wieder im Tor steht, wäre es schwer geworden für Sommer. Er muss regelmäßig spielen. Das mit dem Wechsel zu Inter Mailand hat er schon richtig gemacht. Ich habe die Sommer-Verpflichtung im Winter wirklich nicht verstanden. Bei Bayern hätte man damals schon auf Sven Ulreich setzen sollen.

SPORT1: Jetzt hat man derzeit wieder nur Ulreich als gestandenen Torhüter.

Maier: Mancher Klub wäre froh, einen wie ihn zu haben. Ich muss mal eine Lanze für Ulreich brechen. Er ist ein super Torwart, man sollte ihn nicht so klein machen. Das gefällt mir gar nicht. Ich halte von ihm sehr viel. Er hat toll gehalten, als Neuer schonmal länger verletzt war. Er ist ein richtig guter Keeper. Tuchel soll Ulreich spielen lassen.

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SPORT1: Die Bayern liebäugeln jetzt aber mit Kepa Arrizabalaga vom FC Chelsea. Wäre er der richtige Mann für die Bayern?

Maier: Ich will solche Namen gar nicht hören und erst recht nicht kommentieren. Er ist sicher ein sehr guter Torwart, aber ich wiederhole mich gerne. Lasst den Ulreich ins Tor. Bayern braucht keinen neuen Torhüter. Wenn ich jetzt die ganzen Namen lese, da fasse ich mir an den Kopf. Hört mir auf damit! Der FC Bayern braucht eine starke Abwehr, weil die Nummer 1 ist sowieso ein guter Schlussmann.

Wo Maier Matthäus widerspricht

SPORT1: Lothar Matthäus hat kritisiert, dass sich weder Neuer noch der FC Bayern zur Trainingspause äußern, es dadurch Gerüchte geben würde. Wie sehen Sie es?

Maier: Die Verantwortlichen des FC Bayern müssen sich nicht zu jedem Thema äußern. Da widerspreche ich Matthäus. Warum müssen sich die Bayern-Bosse rechtfertigen? Die wissen, was sie machen. Das geht Lothar nichts an, wie bei Bayern gearbeitet wird. Er soll als Fußball-Experte einfach seinen Job machen.

SPORT1: „Man könnte ja einfach erklären, dass es ein Rückschlag ist, danach die Arbeit am Comeback weitergeht“, sagte Matthäus auch. Hat er da recht?

Maier: Jeder sieht doch, dass es ein Rückschlag für Neuer ist, sonst würde er dich im Supercup im Tor stehen. Das ist natürlich ein herber Rückschlag. Die Heilung hat etwas länger gedauert, als man es sich bei den Bayern vorgestellt hat. Man sollte aber jetzt kein Riesending daraus machen. Es ist völlig normal, dass der Heilungsprozess nicht so schnell voranschreitet, wie man es sich wünscht.

„Neuer-Skeptiker sollen still sein“

SPORT1: Bei Neuer droht nun sogar erst eine Rückkehr in 2024. Wie schlimm wäre das?

Maier: Ich glaube nicht, dass er solange weg bleibt. Die nächsten Wochen wird er noch fehlen, aber er wird weiter konsequent an seinem Comeback arbeiten. Er ist viel zu ehrgeizig, als dass er jetzt aufgibt.

SPORT1: „Neuer hat sich selbst in diese unnötige Situation gebracht“, meinte Matthäus auch noch. Wenn es ihm aber gelingen sollte zurückzukehren, könne Neuer weiter einer der besten Torhüter der Welt sein.

Maier: Da bin ich der gleichen Meinung wie Matthäus. Es spielt keine Rolle, ob Neuer 36, 37 oder 40 Jahre alt ist. Oliver Kahn hat mit 39 auch noch Weltklasse gehalten. Neuer hatte schonmal eine schwere Verletzung mit seinem Ermüdungsbruch und kam ganz stark zurück. Ich habe da wirklich keine Bedenken. Alle Neuer-Skeptiker sollen still sein.

„Nübel ist beim VfB einfach besser aufgehoben“

SPORT1: Sevillas Torwart Yassine Bounou wird jetzt genannt und Dietmar Hamann und Matthäus wären für den gerade vereinslosen de Gea.

Maier: Ich halte diese Jungs für internationale Top-Torhüter, aber meine Meinung steht. Die Bayern haben einen erstklassigen Keeper und brauchen keinen Yassine Bounou, Kepa Arrizabalaga oder David de Gea. Punkt.

SPORT1: Alexander Nübel wurde für die neue Saison von den Bayern an den VfB Stuttgart ausgeliehen. Könnte er jetzt nicht helfen als Neuer-Ersatz?

Maier: Es war die ganze Zeit etwas schwierig mit Nübel. Es ist besser, dass er jetzt beim VfB im Tor steht. Da hat er die nötige Ruhe, um sich weiter zu entwickeln. Wenn er bei Bayern gespielt und gepatzt hätte, dann wäre gleich wieder Theater gewesen. In Stuttgart steht er nicht so im Fokus wie in München. Das wird ihm gut tun. Nübel ist beim VfB einfach besser aufgehoben. Wenn er bei Bayern geblieben wäre und Neuer würde in fünf Wochen zurückkommen, wäre gleich wieder Wirbel ohne Ende.

SPORT1: Eine Frage noch zu den deutschen Torhütern. Da kommt ja fast gar nichts mehr nach...

Maier: Schon traurig. Das liegt daran, dass es in den Klubs keine Geduld mehr gibt mit jungen Torhütern. Es werden lieber fertige Keeper aus dem Ausland verpflichtet. Man zieht sich keine jungen Torhüter mehr heran. Das ist eine ganz traurige Entwicklung. Die Bayern hatten mit Früchtl einen guten Torwart, doch dann hat man den Jungen zu Austria Wien verkauft. Das habe ich nicht verstanden. Früchtl hätte es bei Bayern schaffen können. Man hat keine Geduld mehr im Profifußball. Damals hat man auf mich mit 18 Jahren gebaut. Ohne Wenn und Aber.