Am Sonntag wurde es dann Gewissheit: Lucas Hernández verlässt den FC Bayern gen Paris.
Tuchels knifflige Abwehr-Revolution
Der Transfer des Franzosen, der 2019 für die Bundesliga-Rekordablöse von 80 Millionen Euro gewechselt war, hatte sich schon länger abgezeichnet. Ist er der Startschuss für die große Abwehr-Revolution bei den Bayern?
Wenn man den Berichten und Ereignissen der vergangenen Wochen Bedeutung beimisst, könnte sich im Transfer-Sommer in Bayerns letzter Reihe einiges ändern. Kaum ein Name, um den es keine Gerüchte oder Spekulationen bezüglich eines Abgangs gegeben hat.
Tuchel vor Herkulesaufgabe
João Cancelo hat die Münchner nach seiner Leihe von Manchester City bereits wieder verlassen, die Zukunft weiterer Abwehrstars wie Benjamin Pavard oder Noussair Mazraoui ist unklar. Dayot Upamecano wechselte jüngst den Berater, Alphonso Davies‘ Vertreter sorgte mit brisanten Äußerungen für Wirbel.
Selten zuvor war in einer Transferperiode beim deutschen Rekordmeister in einem gesamten Mannschaftsteil so viel nebulös. Und Thomas Tuchel? Der Bayern-Coach steht vor einer Herkulesaufgabe, um seine Wunschabwehr zusammenzustellen und den Umbruch einzuleiten.
In einer Zeit, in der bei den Bayern Harry Kane das bestimmende Thema bleibt, könnten mit Kim Min-jae, Raphael Guerreiro und Kyle Walker gleich drei Wunschtransfers Tuchels vollzogen werden, die die Defensivstrukturen des Rekordmeisters nachhaltig aufbrechen würden. Wenn alles klappt.
Innenverteidiger: Kim, Pavard, de Ligt oder Upamecano?
Die Innenverteidigung steht im wahrsten Wortsinne im Zentrum von Tuchels Abwehrplänen. Sie nimmt langsam Form an, teilweise stocken die Erneuerungspläne allerdings auch.
Diese hängen nicht zuletzt auch von Benjamin Pavard ab. Denn auch der Landsmann des abgewanderten Hernández hat einen Wechsel ins Auge gefasst.
Tuchel setzte den 27-Jährigen zwar öfter auf seiner Lieblingsposition im Zentrum ein, doch das reicht dem Defensiv-Allrounder, der jahrelang die rechte Abwehrseite beackerte, offenbar nicht. Im exklusiven SPORT1-Interview im März verriet er zwar noch: „Ich habe nie gesagt, dass ich gehen möchte!“
Ende Mai hinterlegte er nach SPORT1-Informationen dann aber seinen Wechselwunsch bei den Klubverantwortlichen. Doch es gibt ein Problem: Es scheint bisher kaum ernsthafte Interessenten zu geben, die sich Pavard auch leisten können und ihm den angestrebten Platz in der Innenverteidigung anbieten wollen.
Für 35 Millionen war er einst aus Stuttgart gekommen, der FC Bayern dürfte ihn wohl kaum zu einem Verlustgeschäft abgeben wollen, doch die Vertragslaufzeit endet 2024. Und auch die persönliche Finanzlage dürfte mit Pavard kein einfaches Unterfangen werden.
Bei den Bayern verdient er dem Vernehmen nach unter zehn Millionen Euro brutto im Jahr, will mindestens eine Gehaltsklasse aufsteigen – und dürfte wohl auch kaum sportliche Rückschritte in Kauf nehmen wollen.
Auch ein anderer Abwehr-Star sorgt für Gesprächsbedarf. Zwar stehen bei Dayot Upamecano keine akuten Wechselgedanken an, und doch tut sich etwas in seinem Umfeld.
Im Juni wechselte er seine Berateragentur – zum zweiten Mal im laufenden Kalenderjahr – und schloss sich dem französischen Agenten Moussa Sissoko an, trennte sich zudem von einer langjährigen Vertrauten.
Sportlich lief bei Upamecano in der vergangenen Saison nicht immer alles rund, er hatte Licht und Schatten, bewegte sich öfter zwischen Glanzleistung und Debakel.
Immerhin: Um Matthijs de Ligt ist es ruhig. Der Niederländer kam vergangenes Jahr von Juventus Turin, fügte sich einwandfrei in das Gesamtbild ein und mutierte schnell zum Abwehrchef. Er ist ein Sicherheitsanker in der defensiven Riege, dürfte als einziger gesetzter Innenverteidiger in die kommende Saison starten.
Mit dem unmittelbar bevorstehenden Transfer von Napoli-Verteidiger Kim Min-jae soll ebenfalls ein Stabilitätsanker den Defensivverbund verstärken – ein weiterer Wunschtransfer von Tuchel.
Um den Wechsel final abzuschließen, muss Bayern nur noch die Ausstiegsklausel an die Italiener zahlen, die nach SPORT1-Informationen 50 Millionen Euro beträgt. Eine offizielle Bestätigung steht zwar noch aus, übereinstimmenden Berichten zufolge soll der Deal aber bereits in trockenen Tüchern sein.
Tuchel und die Bosse halten große Stücke auf Kim, der zum besten Abwehrspieler der zurückliegenden Serie-A-Saison gewählt wurde.
Linksverteidiger: Guerreiro oder Davies?
Auf der Linksverteidiger-Position kristallisiert sich ein Zweikampf heraus, dieser ist mit einiger Brisanz versehen. Davies‘ Berater goss in einem Interview im Juni ordentlich Öl ins Feuer: „Ich habe mit anderen Vereinen gesprochen - sie haben uns Nachrichten geschickt.“
Zwar seien bis dato keine ernsthaften Verhandlungen mit anderen Vereinen gestartet, auch könne sich sein Klient nur einen Wechsel zu Weltklubs wie Real Madrid vorstellen.
Und doch beruhigte diese Aussage nicht. Inzwischen haben die Münchner auch Guerreiro für die linke Abwehrseite ablösefrei verpflichtet. Ebenfalls auf Geheiß von Tuchel, bereits in Dortmund arbeitete er mit dem Portugiesen zusammen und schwärmte vom Europameister von 2016.
Der Deal war auch nötig, weil mit Hernández der Davies-Backup weggebrochen ist. Die Kaufoption für Cancelo, der beide Außenverteidigerpositionen bekleiden kann, hat der Rekordmeister verstreichen lassen, 70 Millionen Euro waren den Klub-Bossen zu happig.
Spannend wird zu sehen sein, wie Tuchel genau mit Guerreiro plant. Könnte er sogar Davies den Rang ablaufen oder wird er doch eher ins Mittelfeld vorgezogen, wie es Tuchel bereits beim BVB fabrizierte? Beide sind offensiv veranlagt, so wird es wohl auf den gewünschten Stil Tuchels ankommen, welchen Linksfuß er letztlich präferiert. Davies dürfte zu Beginn die Nase vorne haben.
Rechtsverteidiger: Walker, Mazraoui - oder doch Stanisic?
Als dritter Wunschspieler steht Kyle Walker von Manchester City im Raum. Tuchel ist die treibende Kraft hinter der Idee, den englischen Nationalspieler zu verpflichten. Er schätzt neben den fußballerischen Qualitäten des 33-Jährigen vor allem dessen Erfahrung und Mentalität.
Walker denkt selbst nach dem Triple-Sieg mit Manchester City über eine neue Herausforderung nach und kann sich nach ersten Gesprächen mit dem Rekordmeister einen Wechsel an die Isar sehr gut vorstellen – oder doch nicht?
Zuletzt gab es auch Berichte, dass Walker das Angebot der Bayern lediglich als Druckmittel einsetze, um bei City einen neuen, lukrativen Vertrag zu erwirken.
Auch Josip Stanisic ist noch präsent, immerhin lief der 23-jährige Kroate in der vergangenen Saison 14-mal in der Bundesliga auf, acht weitere Male in der Champions League.
Und dann wäre da ja noch ein Vierter, der vermeintlich vergessene Noussair Mazraoui. „Es fühlt sich an, als wäre ich vergessen worden. Ich bin nicht einmal die zweite oder dritte Wahl, sondern dritte oder vierte“, beschwerte sich der Marokkaner über seine Einsatzzeiten in der Champions League.
Auch sein Abgang könnte Formen annehmen, wenn von Interessenten finanzstarke Angebote an die Säbener Straße gerichtet werden.
Tuchel mit Wunschdefensive?
Insgesamt acht Namen kursieren im Defensivverbund, die Viererkette könnte um de Ligt gleich aus drei Neuzugängen bestehen. So scheint der Umbruch bei den Bayern Formen anzunehmen, ganz nach dem Gusto des Neu-Trainers.
Ohne Sportdirektor scheint Thomas Tuchel seine Wünsche durchdrücken zu können, auch mit der finanziellen Hilfe des Hernandez-Abgangs. Das sorgte zuletzt für Kritik. Dietmar Hamann befürchtet, dass eine zu große Machtfülle des Trainers problematisch für die Münchner werden könnte.
Es bleiben immerhin 53 Tage, bis das Transferfenster schließt. Bis dahin dürften noch einige Namen, Spielsysteme und taktische Finessen auf den Notizzetteln von Tuchel landen, ehe die endgültige Abwehrformation steht.