Der FC Bayern macht derzeit eine schwere sportliche Krise durch.
Thon mit gewagter Haaland-These
Nach dem Pokal-Aus und der 0:3-Niederlage bei Manchester City kam das Team von Thomas Tuchel in der Bundesliga nicht über 1:1 gegen die TSG Hoffenheim hinaus.
Für Olaf Thon ist die aktuelle Situation beim deutschen Branchenprimus nicht so schlimm, wie sie gemacht wird.
Der Weltmeister von 1990, der von 1988 bis 1994 das Trikot der Münchner trug, spricht im SPORT1-Interview über die Rolle von Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic, die Arbeit von Thomas Tuchel und das Viertelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen Manchester City. Zudem stellt er eine gewagte These zum BVB auf.
Thon nimmt Kahn und Salihamidzic in Schutz
SPORT1: Herr Thon, gegen Hoffenheim hat der FC Bayern ein einigermaßen erschreckendes Bild abgegeben und damit die vergangenen Leistungen untermauert. Was denken Sie, wenn Sie Ihren Ex-Klub spielen sehen?
Olaf Thon: Ich finde, dass es nicht erschreckend war, aber es war auch nicht überraschend für mich. Ich muss sagen, man kann noch wesentlich schlechter spielen. Sie haben auch im Spiel bei Manchester City nicht total versagt. Sie hätten am Anfang in Führung gehen können und sie hätten auch das 2:1 machen können. Für mich ist die Situation also gar nicht so dramatisch, auch was die Situation um Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic betrifft. In diese Fußstapfen von den Allergrößten zu treten, ist eine Mammutaufgabe. In meinen Augen machen sie es eigentlich sehr gut. Ich glaube nicht, dass der BVB von den letzten sechs Partien fünf gewinnt. Deswegen wird es wieder den Meister Bayern geben, obwohl wir alle gerne einen anderen Meister sehen würden. Aber die Spannung macht Spaß. Natürlich hätten sie das Spiel gegen Hoffenheim am Ende verlieren können, aber sie hatten auch wahnsinnig viele Chancen. Ich sehe es nicht so dramatisch, sondern sehr positiv für den deutschen Fußball.
SPORT1: Warum kann Thomas Tuchel nichts gegen diesen Abwärtstrend ausrichten?
Thon: Weil er den Ballast wegräumen muss. Er muss die Streithähne auseinanderbekommen. Das sind alles alte Geschichten, die sich aufgestaut und sich jetzt wie ein Vulkan entblößt haben, sogar mit Auseinandersetzungen körperlicher Art. Vielleicht waren die beiden (Sadio Mané und Leroy Sané, Anm. d. Red.) untereinander gar nicht so zerstritten, aber vielleicht gab es da Eifersüchteleien oder so. Warum ist der FC Bayern in dieser Lage? Das sind viele Dinge zusammengekommen. Ein Beispiel: Sie haben zwei Weltklasse-Leute nicht mehr in ihren Reihen. Sie haben nicht mehr den besten Torhüter der Welt im Tor stehen, sie haben einen sehr guten Sommer. Sie haben jetzt, wo Choupo-Moting weggefallen ist, nicht mal einen richtigen Mittelstürmer. Sie hätten versuchen können, zur Winterpause jemanden wie Füllkrug zu bekommen. Zwar haben sie auch gute junge Leute dahinter, aber die sind kein Lewandowski. Deshalb tun sich die Bayern in der Liga so schwer und werden höchstwahrscheinlich gegen Manchester City ausscheiden.
„Salihamidzic entscheidet nicht allein“
SPORT1: Aber ist da nicht Salihamidzic in der Verantwortung? Er hat Lewandowski schließlich gehen lassen und auch keinen Backup für Choupo-Moting geholt.
Thon: Nein, denn er entscheidet nicht allein. Es gibt immer noch einen Vorstandsvorsitzenden, der den Hut aufhat. Im Vorstand und Aufsichtsrat berät man so eine weitreichende, wichtige Entscheidung zusammen. Da gibt es sicherlich Empfehlungen, aber Lewandowski wollte nicht mehr und ein laufendes Pferd sollte man nicht aufhalten.
Thon traut Bayern Comeback gegen Manchester City zu
SPORT1: Wie denken Sie über die Kritik an Yann Sommer? Ist sie unfair?
Thon: Ja. Er muss jetzt ausbaden, was auf die Mannschaft einprasselt. Dass ein Trainerwechsel in der Saison vorgenommen wird, ist bei Bayern sehr selten, aber schon mehrfach vorgekommen. Zum Beispiel bei Erich Ribbeck, bei Sören Lerby, aber auch bei Otto Rehhagel. Dann muss der Ballast, der sich aufgestaut hat, erstmal abgebaut werden. Deshalb hat auch ein Tuchel damit auch überhaupt nichts zu tun.
SPORT1: Sollte man die Arbeit von Tuchel dann erst in der nächsten Saison richtig bewerten?
Thon: Selbstverständlich. Er muss diese Sachen erstmal handeln. Er wird jetzt daran gemessen, wie er mit den Streitigkeiten, die ein Team und einen Verein belasten können, umgeht und ob er den Titel noch holt. Für die Altlasten kann er nichts. Er wurde aber als erfahrener Trainer von Meisterteams geholt und ich glaube, der FC Bayern hat noch rechtzeitig zugeschlagen. Nagelsmann war durch die vielen anderen Sachen, die mit Fußball überhaupt nichts zu tun haben, verbraucht.
Thon mit Haaland-These
SPORT1: Im CL-Rückspiel gegen City braucht Bayern ein kleines Wunder. Haben Sie noch Hoffnung?
Thon: Ja. Das Hinspiel hat gezeigt, dass man gegen City Chancen bekommt, das ist ja keine Mauer-Mannschaft. Wenn sie ein frühes Tor machen, ist der FC Bayern immer in der Lage, drei Tore aufzuholen. Zu meiner Zeit in München haben wir 0:2 gegen Inter Mailand verloren und dann in Mailand 3:1 gewonnen. Da spielten auf der anderen Seite noch Lothar Matthäus und Andreas Brehme. Der FC Bayern hat also schon oft solche Spiele gedreht, aber diesmal ist die Wahrscheinlichkeit unter zehn Prozent.
SPORT1: Was sagen Sie zum BVB, der laut eigenem Trainer zu dumm ist, um vom Bayern-Patzer zu profitieren?
Thon: Tja, dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, wobei ich es nicht Dummheit nennen möchte. Wir haben gesehen, dass der BVB verletzungsbedingt eine ganz andere Innenverteidigung aufstellen musste, auch Kobel fehlte ja eine Zeit lang. Gegen Stuttgart wechseln die Dortmunder den jungen Coulibaly in der Innenverteidigung ein, der den Bock zum Ausgleich macht. Es ist also auch erklärbar. Ich bin aber sicher: Wenn sie Haaland noch in ihrer Mannschaft hätten, würden sie Deutscher Meister werden.