Bester Laune plauderte Hermann Gerland im STAHLWERK Doppelpass bei SPORT1 über schöne Anekdoten aus alten Tagen - und ließ dabei aufhorchen. Im Fokus: Die Glaubwürdigkeit des berühmten Bayern-Slogans.
„Mia san mia“ nichts mehr wert?
„Das Mia-san-mia-Gefühl ist anders als vor zehn Jahren. Ich habe mich da nicht mehr gesehen“, betonte der 68-Jährige. Als Gerland im Mai 2021 sein Engagement beim FC Bayern als Co-Trainer beendete, hatte es Spekulationen rund um sein Aus gegeben. Diese brisante Aussage gab einer bestehenden Debatte nun zusätzliche Würze.
Denn durch die überraschende Entlassung von Julian Nagelsmann hatte das Thema zuletzt mächtig an Fahrt aufgenommen.
Beim deutschen Rekordmeister, der sich als familiärer Klub profiliert, fehlte plötzlich jede Spur von Harmonie und Menschlichkeit, so der Vorwurf einiger. Zwangsläufig tauchte die Frage auf: Besteht der Bayern-Slogan „Mia san mia“ nur noch aus leeren Worten?
„Mia san mia“ wegen Nagelsmann-Aus gefährdet?
Wichtig ist zunächst einmal die Erläuterung dessen, was im Detail hinter dem Motto steckt. „Mia san mia“ beschreibt die bayerische Lebenseinstellung und heißt auf Hochdeutsch übertragen „Uns kann keiner was“.
Fußballfans in Deutschland und aller Welt werden die Bayern in erster Linie mit Erfolg und Titeln in Verbindung bringen - manch Bayern-Kritiker vielleicht auch mit einer gewissen Arroganz.
Aber: „Mia san mia“ bedeutet vor allem, dass sich die Münchner von keinem anderen Verein beeindrucken oder beeinflussen lassen. Vielmehr haben die Bayern ihren eigenen Kopf und eine enge Heimatverbundenheit - ein ständiger Zusammenhalt sowie das unermüdliche Sieger-Gen sind inbegriffen.
Das steht mit dem zeitlichen Vorgehen rund um die Freistellung von Nagelsmann jedoch wenig im Einklang.
Eigentlich sollte die Saison mit dem 35-Jährigen beendet und je nach sportlichem Abschneiden die Option eines Trainerwechsels sowie einer Verpflichtung von Thomas Tuchel geprüft werden. Weil andere Top-Vereine aber ebenfalls an Tuchel baggerten, war der Rekordmeister zur Sofortmaßnahme gezwungen und läutete im Stillen die Verhandlungen ein.
Doch der finale Entschluss sickerte bereits vor der offiziellen Verkündung durch, sodass Nagelsmann aus den Medien von seinem Rauswurf erfuhr.
Kahn schießt nach Mia-san-mia-Frage zurück
Frisches Futter für die „Mia-san-mia-Diskussion“, die München seitdem auf Trab hält, wie der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn ungewollt vor dem Anpfiff des Bundesliga-Gipfels zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund (4:2) offenbarte.
Angesprochen auf die Frage, warum die Bayern-Bosse Nagelsmann nicht direkt über dessen bevorstehende Entlassung informiert hätten, riss beim „Titan“ der Geduldsfaden.
Kahn holte zum Rundumschlag aus - und polterte vor allem gegen Lothar Matthäus. Der Rekordnationalspieler hatte den Klub bereits vor der TV-Sendung kritisiert. Das familiäre, beschützende Selbstverständnis der Münchner sei nicht mehr vorhanden, meinte Matthäus.
„Ihr, die ihr hier immer steht und immer andauernd den Verein bezeichnet, er hätte keinen Stil und wo ist das ‚Mia san mia‘ geblieben, da würde ich mal dich, Lothar, fragen: Was meinst du denn eigentlich mit ‚Mia san mia‘, wenn du uns immer unterstellst, es gäbe kein ‚Mia san mia‘ mehr?“, entgegnete der sichtlich genervte Kahn im Sky-Interview.
Kahn fügte hinzu: „Ich frage mich immer, was genau meinst du und setzt es immer in die Landschaft - und jeder kann sich aussuchen, was das zu bedeuten hat.“ Weshalb Matthäus seinem Ex-Klub unterstellt, das „Mia san mia“ mit Füßen zu treten, kann der Bayern-Boss nicht nachvollziehen. So bekräftigte der ehemalige Weltklasse-Torhüter: „Es gab dieses Leak, das haben wir auch bedauert, aber dafür konnten wir nichts.“
Die Bayern-Bosse wollten Nagelsmann nicht am Telefon über die Trennung informieren, denn das „wäre dann nach unserer Auffassung stillos gewesen“, schilderte Kahn einen Tag nach dem Matthäus-Disput bei Bild.
FC Bayern: Gerland verrät Probleme mit Salihamidzic
Was aber klar ist: Die Mia-san-mia-Diskussion wurde nicht von irgendjemandem entfacht - und wird den Verein sicherlich noch eine Weile begleiten.
Matthäus spielte immerhin zwölf Jahre lang beim deutschen Rekordmeister und absolvierte stolze 410 Partien für die Bayern. So kennt der Weltmeister von 1990 den Klub mit all seinen Facetten.
Auch Gerland ist an der Säbener Straße eine absolute Legende. Seit 1990 arbeitete der 68-Jährige mit kurzen Unterbrechungen in verschiedenen Positionen für die Bayern und war unter anderem Assistenztrainer von Jupp Heynckes, Pep Guardiola, Carlo Ancelotti sowie Hansi Flick.
Auffällig: Neben Kahn kommt Sportvorstand Hasan Salihamidzic nicht nur bei der Nagelsmann-Diskussion besonders schlecht weg, sondern spielte auch beim Abschied von Gerland die Hauptrolle.
„Es passiert doch, dass zwei Menschen sich nicht abkönnen“, sagte Gerland im STAHLWERK Doppelpass auf SPORT1. „Ich hatte mit Hasan Probleme. Ich war am Campus, habe gehört, wie Entscheidungen getroffen wurden. Es war vereinbart, dass ich da mit Jochen Sauer die Entscheidungen im sportlichen Bereich treffe. Das hat alles wunderbar geklappt - und auf einmal habe ich gemerkt, dass es nicht so richtig läuft. Und dann wurde immer mehr erzählt als trainiert.“
Solche Nebengeräusche sind bei den Bayern keine Neuheit mehr. Zuletzt rumorte es beim Ligaprimus immer wieder im Hintergrund. Stehen Salihamidzic und Kahn so für die Werte des Vereins ein?
Bringt Tuchel das „Mia san mia“ zurück zu den Bayern?
Darüber kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Dass die Bayern in der Kommunikation zuletzt das eine oder andere Mal unglücklich agierten, lässt sich aber nicht von der Hand weisen.
Ein weiteres bekanntes Beispiel eines solchen Aufregers aus der nahen Vergangenheit war die Entlassung von Torwarttrainer Toni Tapalovic. Sowohl für Außenstehende als auch für den 42-Jährigen selbst kam die Trennung sehr unerwartet.
Nach SPORT1-Informationen wurde Tapalovic auch erst sehr kurzfristig über den Entschluss informiert. Besonders brisant: Die meisten Bayern-Spieler erfuhren über die WhatsApp-Gruppe von der Entscheidung. Ein offenes Gespräch - wie es ein Mia-san-mia-Gefühl hergeben sollte - gab es nicht.
Viele Stars waren demnach überrascht und zum Teil auch bestürzt, weil Tapalovic unter vielen Führungsspielern sehr beliebt war.
Nun werden die Bosse um Salihamidzic und Kahn hoffen, dass Thomas Tuchel an sein erfolgreiches Debüt anknüpft und damit alle Randgeschichten um „Mia san mia“ verstummen lässt.
Andernfalls wird die Kritik am Bayern-Slogan und dessen aktueller Bedeutung schnell wieder aufkeimen.