Gerardo Seoane ist nach seinem Aus bei Bayer Leverkusen wieder bereit für eine neue Herausforderung.
Jetzt spricht der Ex-Bayer-Coach!
Der Schweizer will nun wieder eine Aufgabe an der Seitenauslinie übernehmen - und ist ab sofort bereit!
Im SPORT1-Interview verrät Seoane auch, wie er über Florian Wirtz denkt.
SPORT1: Herr Seoane, seit Ihrem Aus bei Bayer sind inzwischen etwas mehr als sechs Monate vergangen. Wie haben Sie diese Zeit für sich genutzt?
Gerardo Seoane: Meine Familie und ich sind zuerst im Rheinland geblieben. Uns hat es dort gut gefallen, wir haben noch ein paar Ecken besucht. Nach einem Urlaub war ich mit meinem Berater bei der Weltmeisterschaft in Katar, anschließend haben wir kleinere Reisen durch Europa gemacht. Wir haben uns viele Spiele angeschaut und uns mit Leuten ausgetauscht. Das Wichtigste für mich war aber, dass ich gut regeneriere, den Akku vollständige auflade und reflektiere.
Seoane: Hier ist noch Luft nach oben
SPORT1: Sie sagen, dass Sie noch Potenzial bei sich sehen. In welchem Bereich herrscht noch Luft nach oben?
Seoane: Wenn ich auf die vergangenen Jahre zurückschaue, dann haben meine Mannschaften sehr aktiv nach vorne gespielt und viele Tore erzielt. Wir konnten das Offensiv-Potenzial sehr oft ausschöpfen. In der Schlussphase bei Leverkusen haben wir aber das eine oder andere Gegentor zu viel bekommen. Es ist daher immer eine Frage der Balance, wie viel Risiko meine Mannschaft nehmen darf. Deshalb ist es auch wichtig, diese negativen Erfahrungen zu sammeln und sich Spiele rückblickend anzuschauen.
SPORT1: Sie meinten zudem, dass Sie die Akkus aufladen mussten. Wie gelingt Ihnen das?
Seoane: Ich habe kleine Kinder. Mit der Familie gibt es in der Natur schöne Ausflugsziele. Da gehen wir raus und streuen auch mal einen Skitag ein. Ich selber versuche durch Spaziergänge, eine Runde Golf oder Joggen, aktiv zu bleiben. Durch diese Aktivität erhole ich mich und kann gedanklich besser abschalten. Diese Mischung aus Natur, Familie, ein bisschen Sport und Hobbys gibt mir Kraft.
Mentale Blockade bei Bayer
SPORT1: Kommen wir auf Ihre Zeit bei Bayer Leverkusen. Wie blicken Sie heute auf diese 18 Monate zurück?
Seoane: Ich schaue insgesamt auf eine sehr schöne Zeit bei Bayer zurück. Ich habe in Leverkusen tolle Menschen kennengelernt. Das hat menschlich und professionell sehr gut gepasst für mich. Der Klub hatte viel Fachkompetenz und eine sehr gute Infrastruktur. Wir haben uns dort sehr wohl gefühlt. Negativ verlief sicherlich die Startphase in die neue Saison, nachdem wir zuvor ein hervorragendes Jahr hatten. Wenn ich nach Gründen dafür suche, dann haben wir vor allem den Start mit dem Pokal-Aus in Elversberg verschlafen. Dort sind wir nach guter Vorbereitung verdient ausgeschieden.
Als wir am ersten Spieltag nach einem guten Spiel in Dortmund 0:1 verloren haben, gab es eine Art mentale Blockade. Wir haben uns selbst den größten Druck gemacht. Obwohl wir große Hoffnung nach der letzten Saison hatten, haben wir es nicht geschafft, aus dem Negativstrudel herauszukommen. Ein Teil lag an der mentalen Verfassung, zudem hat uns mit Florian Wirtz ein Unterschiedsspieler gefehlt.
SPORT1: Ihr Nachfolger heißt Xabi Alonso. Er hat Bayer wieder nach oben geführt. Hand aufs Herz: Fühlt es sich besser an, dass Sie von einem großen Namen ersetzt wurden, anstatt von einem Nobody?
Seoane: Xabi Alonso hat als Spieler Bundesliga-Erfahrung gesammelt, er hatte eine sensationelle Karriere. Nach den sechs Monaten ist es leichter zu sagen, aber er ist eine Persönlichkeit, der eine große Trainerkarriere bevorsteht. Mich freut es, dass er die Mannschaft in die Spur bekommen und die Aufholjagd gestartet hat. Ich freue mich auch für das Team und den gesamten Klub. Bayer hat mit Xabi Alonso einen sehr kompetenten Trainer.
Halbfinale für Bayer: Für Seoane ganz klar
SPORT1: Bayer Leverkusen muss im Rückspiel gegen Saint-Gilloise ein 1:1 noch zum Sieg drehen. Kommt Ihr früherer Klub noch ins Halbfinale?
Seoane: Das belgische Team hat einen guten Eindruck hinterlassen, sehr solide und mit guten Einzelspielern in der Offensive. Trotzdem glaube ich an ein Weiterkommen von Bayer 04. Es wird nicht einfach, aber die hohe Qualität der Leverkusener in der Offensive wird den Unterschied machen. Zusätzlich kennt man die Stärken von Union Saint-Gilloise jetzt besser.
SPORT1: Trauen Sie Bayer sogar den Titelgewinn zu?
Seoane: Bei einem Weiterkommen in dieser Runde, ist das Teilnehmerfeld sehr ausgeglichen. Sowohl Feyenoord als auch AS Rom gelten als starke Gegner, aber trotzdem darf man den Anspruch haben, sie zu bezwingen. Bei einer Finalteilnahme ist immer alles möglich.
„Macht etwas mit dir, auch menschlich“
SPORT1: Kommen wir zu Ihnen. Bei Ihnen ging es in der Karriere immer nach oben. Jetzt gab es nach vielen erfolgreichen Jahren erstmals eine Delle. Sagen Sie rückblickend, dass Sie daraus lernen und so etwas guttut?
Seoane: Unbedingt, das würde ich so unterschreiben. Eine Niederlage ist auch dafür da, dir aufzuzeigen, dass nicht alles perfekt ist und es Raum für Verbesserung gibt. So eine schwierige Phase wie in Leverkusen macht etwas mit dir, auch menschlich. Die Anspannung ist hoch, der Druck wird auch unabhängig von der Öffentlichkeit immer größer. Mit diesem Stress umzugehen, war eine Erfahrung, die mich stärken wird. Es gibt wohl wenige Trainer auf die Welt, die diese Erfahrung nicht gesammelt haben. Es ist eine schwierige Situation, besonders wenn man eine harmonische Zusammenarbeit im Klub hatte. Dann ist ein Aus schmerzhaft! Es war aber eine Erfahrung im Job, die mich auch im Leben weiterbringt.
SPORT1: Im Dezember sagten Sie, dass es kurz nach Ihrer Entlassung erste Anfragen gab, Sie aber noch nicht bereit seien für eine neue Aufgabe. Ist der Akku wieder aufgeladen?
Seoane: Mit meiner Tätigkeit im Nachwuchs war ich insgesamt zwölf Jahre Nonstop mit voller Hingabe und vielen Lehrgängen als Trainer tätig. Das war so eine Gesamtbelastung, sodass ich das Gefühl hatte, dass ich auf meinen Körper hören muss. Der Körper hat zwar keine Signale gesendet, aber ich wollte regenerieren und Zeit mit der Familie verbringen. Ich fühle mich jetzt voll bereit für eine neue Aufgabe. Die Akkus sind wieder aufgeladen. Das ist entscheidend für meinen Wiedereinstieg.
Seoane „ab sofort bereit für eine neue Herausforderung“
SPORT1: Wollen Sie noch bis Sommer warten?
Seoane: Ich fühle mich ab sofort bereit für eine neue Herausforderung. Fußball ist kein Wunschkonzert. Ich muss das Gefühl haben, dass man auf einem Nenner ist und es auch menschlich passt. Auch von Seiten des Klubs muss es passen.
SPORT1: Wollen Sie wieder in der Bundesliga arbeiten oder wäre auch ein Engagement in einer anderen großen Liga möglich?
Seoane: Grundsätzlich halte ich mir alle Optionen offen. Unser Job ist kein Wunschkonzert. Nicht der Trainer wählt den Klub aus, sondern der Klub sucht den Trainer. Durch meine sechs Sprachen sehe ich aber die Möglichkeit, in vielen Ländern zu arbeiten. In meinem persönlichen Ranking ist die Bundesliga aber ganz weit oben. Wir haben uns in Deutschland wohlgefühlt. Die Bundesliga ist eine attraktive Liga mit vollen Stadien, einer guten Infrastruktur und großer Leidenschaft von allen Beteiligten.
SPORT1: Die Premier League ist von vielen Spielern und Trainern die Traumliga. Hatten Sie schon Anfragen aus England?
Seoane: Es gab Sondierungsgespräche mit dem einen oder anderen Klub in England. Das wäre allerdings ein Thema für den nächsten Sommer. Dafür bin ich durchaus offen und schaue, ob sich etwas in diese Richtung entwickelt.
Bayern-Klatsche für Seoane „ein absolutes Topspiel“
SPORT1: Sie sagten, dass Sie sich viele Spiele angeschaut haben in den vergangenen Monaten. Welche Partie hat Sie besonders beeindruckt?
Seoane: Ich war beeindruckt von der Partie zwischen Manchester City gegen FC Bayern München. Das war eine Benchmark für alle. Die hohe Intensität gepaart mit der Technik unter hohem Druck und dem taktischen Verständnis - das war ein absolutes Topspiel. Die Spieler haben gefühlt auch fünf Minuten nach Abpfiff noch immer gepumpt. Es war ein klares Resultat, aber trotzdem ein Spiel auf Augenhöhe.
SPORT1: Sie haben Florian Wirtz trainiert. Kann er sich dahin entwickeln, in solchen Spielen auf großer Bühne eine wichtige Rolle zu spielen?
Seoane: Florian Wirtz ist mit Jamal Musiala der talentierteste Spieler des deutschen Fußballs. Die beiden machen ihre Mitspieler besser, weil sie unter Druck die richtigen Entscheidungen treffen und technische Qualitäten haben, um ihre Mitspieler in Szene setzen können. Es gibt natürlich immer schwierige Phasen, aber Florian hat diese Genialität. Er kann Spiele in richtige Bahnen lenken. Wirtz hat alle Qualitäten vom Torschuss, Assist, Dribbling. Seine Verletzung hat ihn gebremst, aber nicht abgebremst. Er wird seinen Weg gehen. Irgendwann wird Florian beim Ballon d‘Or ganz vorne sitzen und vielleicht sogar strahlender Gewinner sein.
Wirtz „ein echter Leader auf dem Platz“
SPORT1: Ist Florian Wirtz der talentierteste Spieler gewesen, den Sie trainiert haben?
Seoane: Ich möchte durch Vergleiche keine anderen Spieler kleiner machen. Aber Florian Wirtz war das Ausnahmetalent bei Bayer Leverkusen. Wir hatten zwar andere tolle Spieler wie Moussa Diaby, Jeremie Frimpong oder Edmond Tapsoba. Aber ich glaube, dass Florian schon in jungen Jahren eine extreme Reife hat und ein echter Leader auf dem Platz ist. Es gibt Führungsspieler, die über Kommunikation kommen oder in der Kabine etwas lauter sind. Florian ist ein Leader auf dem Platz, er hat dem Spiel häufig seinen Stempel aufgedrückt.
Hitzfeld als Seoanes Trainer-Vorbild
SPORT1: Wir haben vorhin über City und Bayern gesprochen. Pep Guardiola und Thomas Tuchel standen bei diesem Topspiel an der Seitenauslinie. Sie zählen momentan zu den besten Trainern der Welt. Sind das Vorbilder für Sie?
Seoane: Thomas Tuchel und Pep Guardiola sind natürlich zwei Trainer, die durch ihre Herangehensweise in den letzten Jahren entscheidenden Einfluss auf viele junge Trainer hatten. Es gibt allerdings viele gute Trainer. Ich probiere nicht nur Spieler zu analysieren, sondern auch die Arbeit von Trainern. Da gibt es weitere große Namen wie Carlo Ancelotti und Jürgen Klopp. Ottmar Hitzfeld war für mich ein Referenzpunkt. Er war Nationaltrainer der Schweiz. Hitzfeld war nicht nur sportlich erfolgreich, sondern auch in der Mannschaftsführung sehr klar. Ich wollte ihn zwar nicht kopieren, aber er hat mich auf meinem Karriereweg inspiriert.