Der Fußballverband Mittelrhein hat eine Diskriminierungs-Checkliste für Schiedsrichter herausgebracht. Als Orientierungshilfe. Man weiß nicht genau, ob man lachen oder weinen soll, wenn man sie liest. Die aufgeführten Beispiele sagen viel aus über die Zustände auf Deutschlands Fußballplätzen.
Trainer sind mit den Nerven runter
Bei Ausrufen wie „Türkensau“, „Schwuchtel“ oder „Kanake“, so steht‘s in der Checkliste, handle es sich um klare Diskriminierungen. Bezeichnungen wie „Arschloch“, „Wichser“ oder „Hurensohn“ dagegen seien lediglich „einfache Beleidigungen“. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Gut, dass wir das geklärt haben.
Beziehungsweise: Schade, dass wir das heute klären müssen. Denn leider machen es uns die Bundesligatrainer momentan nicht gerade leicht. Man kann bei manchen die Uhr danach stellen: Ihrer Ergebnis- folgt sofort eine Niveaukrise.
Fußballlehrer verhalten sich anders
Der Endspurt um Titel und Klassenerhalt hat noch gar nicht richtig begonnen, da sind die Trainer schon mit den Nerven runter. War die Winterpause vielleicht doch zu lang?
Selten fiel mir deshalb die Verwendung der offiziellen Berufsbezeichnung „Fußballlehrer“ so schwer wie in dieser Kolumne. Mit Lehrern, wie ich sie kenne, hat das, was zurzeit an den Seitenlinien oder in den Katakomben der Bundesliga passiert, nichts zu tun. Kein Lehrer hat mir je eine Klassenarbeit mit den Worten „Hier, du Blinder!“ hingeknallt. (Dabei habe ich wahrlich Gründe geliefert.)
Und wenn ich mal wieder Mist gebaut hatte, stellte sich keine Lehrerin vor mich bin und brüllte, mir würden wohl die Eier fehlen, es zuzugeben. Sie schickte mich nur raus.
Nun können Trainer (leider, wie sie finden) Schiedsrichter nicht einfach rausschicken. Für ihre Lernkurve wäre es aber gut, das mal ausprobieren zu können; es hätte zur Folge, dass jedes Bundesligaspiel am Ende von Frau Müller oder Herrn Schulze aus dem D-Block geleitet werden müsste.
Trainer halten Schiedsrichter nämlich grundsätzlich für unfähig. Sie demonstrieren ihre Überlegenheit, indem sie ganz schlichte Verhaltensregeln missachten. Sie schreien ständig herum, sie finden jede einzelne Entscheidung falsch. Sie ignorieren die Grenzen ihrer Coachingzonen. Sie fluchen und nörgeln ohne Pause.
Nicht nur Nagelsmann leistete sich Fehlverhalten
Und damit zurück zu den jüngsten Ereignissen. Nehmen wir nur diesen Monat. Die Herren Bo Svensson, Bruno Labbadia und Julian Nagelsmann, gleich drei Bundesligatrainer also, schossen besonders hart übers Ziel hinaus.
Dass wir uns vor zwei Wochen über Svensson aufregten, weil er die Schiedsrichter anschrie und rhetorisch fragte, ob sie „blind“ seien, wirkt dabei im Nachhinein fast lächerlich. Der Gelegenheits-Stuttgarter Labbadia wurde eine Woche danach schon deutlicher und bezeichnete die Schiedsrichter als „Ahnungslose“, die sich gegenseitig „enteiern“.
Nagelsmann, ansonsten sehr wortgewandt und angenehm witzig, nannte die Schiedsrichter, die ihm das Gladbachspiel vermasselt hatten, „Pack“. Das ging etwas über den Tatbestand der Beleidigung hinaus, wie der wissbegierige Kolumnenleser inzwischen weiß. Auch der Duden schreibt: Pack, das – Gruppe von Menschen, die als asozial, verkommen o. Ä. verachtet, abgelehnt wird. Puh.
Der von Nagelsmann diffamierte Schiri Tobias Welz ist übrigens weder asozial noch verkommen, ich hab‘ das schnell gecheckt. Er ist Polizist, also streng genommen hauptberuflich damit beschäftigt, asoziales Verhalten zu ahnden und sich von Pack beleidigen zu lassen. Polizisten „Pack“ zu nennen ist wie den Freiburger Trainer Christian Streich fragen, welcher Scheich sein Chef ist.
Nagelsmann mit dem Fuß auf der Grenze
Der Polizist gehört also einer Berufsgruppe an, die ganz besonders unherzlich aufs Diffamieren reagiert. Wäre ich Julian Nagelsmann, würde ich mich nicht zu sehr auf die nächste Polizeikontrolle freuen. (DATEN: Ergebnisse der Bundesliga)
Nun sagen Trainer oft, man dürfe nicht alles auf die Goldwaage legen, was so im Stadion herumgeprollt wird. Ich bin der gleichen Meinung. Aber irgendwo stößt das Nicht-Gewiege an seine Grenzen, und eventuell hat sich Nagelsmann am Samstag mit einem Fuß auf diese Grenze gestellt.
Jemanden als Pack zu bezeichnen hat eben nichts mit den vielen hübschen Beispielen aus der Vergangenheit zu tun, die wir alle kennen, als ganz anderen Kalibern die Sicherungen durchbrannten – etwa Giovanni Trapattoni, Lothar Matthäus oder Oliver Kahn, um mal bei den Bayern zu bleiben.
Der eine nannte seine Spieler etwas ungeschickt, aber charmant Flaschen, der andere die Schiedsrichter in einem legendären Wut-Interview unfähig. Kahn erstaunte Deutschland mit der Information, dass Fußball vor allem mit den Hoden gespielt wird.
Nagelsmann ist einen Schritt zu weit gegangen, meine ich. Ich berücksichtige jedoch strafmildernd, dass er Ersttäter ist, dass er sich entschuldigt hat, und dass der Schiedsrichter des Gladbach-Spiels wirklich ein Blinder war. (DATEN: Spielplan der Bundesliga)
Das Letzte war natürlich ein Scherz, Mensch!
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