Thomas Letsch selbst kommt in dem Gespräch zu dem Schluss: „Ich bin doch einen außergewöhnlichen Weg gegangen.“
Was Bochum von Marokko lernen kann
In der Tat: Drei Jahre lang unterrichtete er in Lissabon an der Deutschen Schule, nachdem er Sonnenhof Großaspach 2009 in die Regionalliga geführt hatte.
„Ich habe dran gedacht zu verlängern, dann kam allerdings der Anruf von Ralf Rangnick, der sehr überzeugend war. Die Folge war: Raus aus dem Beamtentum, raus aus der Sicherheit. Es ist wichtig, einfach mal mutige Entscheidungen zu treffen, das habe ich damals gemacht“, so erzählt es der 54-Jährige, der 2012 nach Salzburg ging. Beim VfL Bochum startete er im vergangenen September mit einem 0:4 in Leipzig.
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„Am Schluss ist das Schlimmste passiert, was zu meinem Start in Bochum hätte passieren können. Wir hatten keine Chance und sind mit einer Niederlage nach Hause gefahren, wo wir mit einem 4:0 noch zufrieden sein mussten. Ich habe auf eine harte Art und Weise gelernt, wo wir ansetzen müssen. Für mich war das danach noch klarer. Aber es war schwieriger, die Mannschaft davon zu überzeugen.“ (DATEN: Spielplan der Bundesliga)
Der Unterschied zum Spiel darauf gegen Frankfurt, was Bochum gewann: „Gegen Frankfurt gab es eine Richtung, eine Klarheit.“
Marokko beeindruckte Letsch
Nach wie vor sieht er seinen Klub in einer Außenseiterrolle, doch das Beispiel von Marokko, das bei der WM sensationell ins Halbfinale vorstieß, soll als Beispiel taugen.
„Marokko hat mich beeindruckt, wie sie verteidigt haben. Wir haben eine ähnliche Rolle wie Marokko. Es geht darum, gegen die Großen zu bestehen. Wenn man sich die Etats anschaut, die Marktwerttabellen, dann müsste klar sein, dass wir absteigen, aber so ist es nicht. Wenn wir als Mannschaft gut agieren, wenn wir alle zusammenhalten im Verein, dann haben wir eine Chance in der Liga zu bleiben. Marokko hat da eine Vorbildwirkung.“
Letsch wird deutlich, was ihm bei seiner Arbeit wichtig ist: „Mir ist wichtig, dass eine Klarheit herrscht, dass die Spieler wissen, was meine Vorstellungen sind. Und die Spieler zu überzeugen, dass es ihr eigenes wird. Es ist wichtig als Trainer zu wissen, was man vorhat, wie wir Fußballspielen wollen, um erfolgreich zu sein. Es geht darum, erfolgreich zu sein. Aber nicht in dem Sinne, „so Leute, so machen wir es“, sondern schon auf die Spieler eingehen und die Spieler mitnehmen.“
Menschlichkeit wird für Letsch großgeschrieben
Stichwort Konsequenz: „Einer muss am Schluss die Entscheidungen treffen. Konsequenz ist was ganz Wichtiges im Leben und speziell in der Führungsposition muss die gegeben sein und selbstverständlich muss es da eine klare Kante geben.“ (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Die Verbindung zu seinen Spielern steht beim Bochumer Coach im Vordergrund. „Mir ist es wichtig, mit jedem Einzelnen zu sprechen. Ich will den Menschen kennenlernen. Mir ist das individuelle Gespräch mit dem Spieler extrem wichtig. Wir sollten nie vergessen, wir arbeiten mit Menschen zusammen.“
„Respekt und Wertschätzung ist was ganz ganz Wichtiges“
Deshalb erstaunt es nicht, dass Letsch besonderen Wert auf eine empathische Führungsrolle legt. „Respekt und Wertschätzung ist was ganz ganz Wichtiges. Es geht immer um Wertschätzung. Wenn du das Gefühl hast, du bist wichtig für eine Sache, dann machst du deinen Job mit viel mehr Freude, dann gehst du anders an die Aufgabe ran und in deiner Funktion als Cheftrainer kannst du da sehr, sehr viel leisten.“
Auch deshalb sagt Letsch über sich selbst: „Eine meiner Stärken ist es, mit den Leuten zu kommunizieren.“
Das bedeutet aber nicht, dass es ständig darum geht, sich in Harmonie zu laben. „Ich bin kein Freund davon, die Dinge schönzureden. Es ist wichtig nach außen zu kommunizieren, das war schlecht und auch eigene Fehler einzugestehen.“
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Und auch, was den Umgang mit den Spielern angeht, möchte Letsch durchaus auch Konflikte sehen. „Wenn ein Spieler auf der Bank sitzt und zufrieden ist, dann läuft irgendwas schief. Ich möchte keine Spieler, die sagen, „Trainer, überhaupt kein Problem, dann spielt eben ein anderer“. Ich erwarte mir schon, dass er ärgerlich ist, ich erwarte mir nur, dass er den Ärger in die richtige Richtung lenkt.“
Mounir Zitouni (52) war von 2005 bis 2018 Redakteur beim kicker und arbeitet seitdem als Businesscoach, betreut Sportler, Trainer und Führungskräfte in punkto Leadership, Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung. Der ehemalige Profifußballer (OFC, SV Wehen, FSV Frankfurt, Esperance Tunis) hat zuletzt die Autobiographie von Dieter Müller verfasst und veröffentlicht regelmäßig eine Kolumne auf www.sport1.de.