Mittlerweile hat sich Markus Gisdol ungewollt den Ruf eines „Retters“ erworben.
Nagelsmann noch „ein junger Bursche“
Ob die TSG Hoffenheim, den Hamburger SV oder den 1.FC Köln: Stets übernahm der Schwabe Klubs in aussichtslosen Situationen und bewahrte sie vor dem Abstieg.
Wie ihm das gelingt, was es dafür braucht, einer Mannschaft neues Leben einzuhauchen, sie zu stärken und zu führen, das bespricht Markus Gisdol (53) mit Business-Coach und Autor Mounir Zitouni in einer neuen Folge des LEADERTALK. Gisdol erzählt auch, wie ihn ein Anruf von Dietmar Hopp aus Südostasien in die Bundesliga katapultierte, wie er seinen einstigen Co-Trainer Julian Nagelsmann wahrnimmt und warum der Abschied aus Hoffenheim 2015 so schmerzhaft war.
- Leadertalk - der SPORT1 Podcast von und mit Business-Coach und Autor Mounir Zitouni - die aktuelle Folge bei SPORT1, auf meinsportpodcast.de, bei Spotify, Apple Podcasts und überall, wo es Podcasts gibt
Gisdol fing ganz unten an
Nach einer Knieverletzung wurde Markus Gisdol früh Trainer, mit 27 Jahren – in der Kreisklasse.
„Es hilft dir, wenn du in die Bundesliga kommst als Trainer und hast deinen Job erlernt. Ich hatte den steinigen Weg, dass ich in der untersten Spielklasse anfangen musste und dementsprechend auch alle Trainerlizenzen mit der entsprechenden Wartezeit absolvieren musste. Etwas, was dich als Trainer damals fast verrückt macht. Weil du weißt, du kommst gar nicht vorwärts. Aber im Nachgang war es unglaublich wertvoll. Ich kann nur jedem Trainer raten, die einzelnen Schritte zu machen, auch wenn sie mühsam sind“, berichtet der 53-Jährige, der zwei Jahre die U23 der TSG Hoffenheim trainiert hatte, bevor er 2013 die Profis übernahm und in wenigen Wochen sensationell vor dem Abstieg rettete.
„Ich war mit meiner Familie im Urlaub in Thailand. Da haben mich Dietmar Hopp und Alexander Rosen versucht anzurufen. Ich wache also morgens auf und sehe, dass da unzählige Anrufe in Abwesenheit drauf sind. Es war fünf Tage vor dem nächsten Spiel von Hoffenheim gegen Düsseldorf. Hopp fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte sofort einzusteigen. Ich flog zurück nach Deutschland, Rosen holte mich vom Flughafen ab und alles musste sehr schnell gehen.“
Gisdol gewann 3:0 gegen Düsseldorf und durfte nach der Relegation gegen Kaiserslautern feiern. „Einen Abstieg zu verhindern ist emotional eine Meisterschaft hoch fünf, aber natürlich steht auf der Visitenkarte nachher nicht der Titel. Heute noch, wenn ich die Spieler treffe, wir sprechen noch von den Emotionen, die diese Situationen freigelegt haben.“
„Das Wichtigste ist Souveränität“
Wie gelingt es aber, eine Mannschaft wieder nach vorne zu pushen, so wie später auch in Hamburg oder Köln?
„Das Wichtigste ist, wenn du als Trainer irgendwo hinkommst, Souveränität. Wenn du da den Hampelmann machst, funktioniert gar nichts. Souveränität gibt den Spielern ein Stück weit Sicherheit.“
Der zweite wichtige Punkt aus Sicht von Gisdol: „Beziehung ist alles. Es geht ums Öffnen. Wenn ich mit dem Spieler unter vier Augen spreche, dann bin ich nicht der Trainer, sondern der Mensch. Da bin ich vielleicht auch für den einen oder anderen auch die Vaterfigur mal und will ihm dann auch die Chance geben, sich bei mir anzulehnen. Genauso möchte ich, alles wissen. Das ist für mich das Beste.“
Nagelsmann „ein sehr guter Trainer“
Damals auch im Trainerteam: Der damals erst 24-jährige Julian Nagelsmann, heute Bayern-Trainer.
Gisdols Urteil: „Er ist ein junger Bursche - immer noch. Man denkt zwar schon, dass er schon eine entsprechende Erfahrung hat, aber er ist ja ganz jung in das Trainergeschäft reingekommen. Für das alles macht er das sehr gut. Er ist bei einem Top-Klub, wo du erst mal standhalten musst angesichts der verschiedenen Interessen. Ich finde, unter dem Strich betrachtet, ist er ein sehr guter Trainer und macht das ausgezeichnet“, sagt sein ehemaliger Chef.
Dass Gisdol 2015 in Hoffenheim beurlaubt wurde, traf ihn hart.
„Die erste Trennung ist immer die schlimmste. Wie ich gelitten habe, als wir in Hoffenheim aufgehört haben! Das war meine erste Station als Bundesligatrainer. Nach unserer Rettung waren wir Neunter, dann waren wir Achter. Und wir hatten so viele junge Burschen, die mir ans Herz gewachsen waren. Und dann die ganze Belegschaft…Ich kann nicht beschreiben, wie hart die Trennung war, als wir damals vom Hof gefahren sind. Es war die härteste Trennung, weil es vielleicht die erste große Liebe im Fußball war.“
Mounir Zitouni (52) war von 2005 bis 2018 Redakteur beim kicker und arbeitet seitdem als Businesscoach, betreut Sportler, Trainer und Führungskräfte in punkto Leadership, Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung. Der ehemalige Profifußballer (OFC, SV Wehen, FSV Frankfurt, Esperance Tunis) hat zuletzt die Autobiographie von Dieter Müller verfasst und veröffentlicht regelmäßig eine Kolumne auf www.sport1.de.