In den vergangenen Wochen hat sich der Wind bei Eintracht Frankfurt auf eine beeindruckende Art und Weise gedreht.
Das Geheimnis des Eintracht-Höhenflugs
Ende September noch war Trainer Oliver Glasner nach einem 0:1 gegen den VfL Wolfsburg mächtig angefressen. Es knirschte mächtig, die großen Ziele schienen zu einem frühen Zeitpunkt der Saison gefährdet. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Spätestens nach dem 3:1-Sieg im Spitzenspiel bei Borussia Mönchengladbach lässt sich festhalten: Eintracht hat nach dieser Niederlage die richtigen Schlüsse gezogen und in kürzester Zeit vom ersten in den fünften Gang geschaltet. Auch die Blamage in Bochum konnte den Frankfurter Express nicht stoppen.
Welche Gründe gibt es für diesen Höhenflug der Hessen? SPORT1 analysiert die Lage beim Europa-League-Sieger.
Zweitstärkste Offensive der Bundesliga
Nach elf Spieltagen hat die Eintracht bereits 24 Treffer erzielt. 2,18 Tore pro Partie erhöhen die Erfolgschancen um ein Vielfaches. Der Name der Gegner ist den Hessen dabei egal. Gegen die vor der Saison hoch gehandelten Leipziger (4:0) und Leverkusener (5:1) jubelte die Eintracht neunmal. Spitzenreiter Union Berlin hat seine erste Bundesliga-Niederlage in dieser Spielzeit in Frankfurt kassiert (0:2).
Sprich: Die Himmelsstürmer aus der Mainmetropole wissen sich auch gegen die stärksten Kontrahenten zu behaupten. Die Ausrutscher in Bochum und Wolfsburg – die einzigen beiden Partien ohne Frankfurter Tor – waren auf Nachlässigkeiten bei Standardsituationen und die unpassende Grundordnung zurückzuführen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Glasner verzichtete in diesen Begegnungen auf sein 3-4-3-Erfolgssystem. Seitdem der Österreicher darauf setzt, ist die Eintracht kaum noch zu bremsen. Auch die Defensivprobleme bei Standardsituationen (acht Gegentore) fallen dadurch immer seltener ins Gewicht.
Sturmduo Lindström und Kolo Muani harmoniert
„Letztes Jahr war ich viel panischer vor dem gegnerischen Tor“, verriet Jesper Lindström nach seiner nächsten Gala-Leistung bei Sky. Inzwischen hat der Däne eine schier unfassbare Entwicklung genommen.
Sein erster Bundesliga-Doppelpack bedeutete die Saisontore vier und fünf. Beim ersten Treffer setzte er seine Geschwindigkeit gewinnbringend ein. Das zweite Tor war ein Beleg seiner neuen Selbstsicherheit, als er alleinstehend vor Gladbach-Torhüter Tobias Sippel ganz ruhig blieb und das Netz wackeln ließ.
Lindström wollte Sensations-Neuzugang Randal Kolo Muani allerdings nicht vergessen: „Er ist so wichtig für mich. Wir haben deutlich mehr Geschwindigkeit mit ihm. Wenn wir jetzt den Ball in der gefährlichen Zone haben, dann können wir beide tief gehen.“ Gladbach kam mit dem Tempo des Sturmduos nicht zurecht. Immer wieder setzten Kolo Muani und Lindström Nadelstiche. (EXKLUSIVINTERVIEW: „Mit Götze zu spielen, ist außergewöhnlich“)
Nicht umsonst war es der Franzose, der bei beiden Toren Vorlagengeber war. Lindström (5 Tore und 1 Assist) und Kolo Muani (3 Tore und 8 Assists) sind – sehr zum Frust der Ersatzleute Lucas Alario und Rafael Borré - in dieser Verfassung unverzichtbar für Glasner.
Kamada und Götze als Dreh- und Angelpunkt
„Mario Götze hat eigentlich die gleiche Position wie Jesper Lindström. Er füllt sie aber anders aus. Daichi Kamada spielt auch auf dieser Position. Sie erfüllen ihre Aufgaben und kommen dadurch auch in torgefährliche Räume und hauen die Dinger auch rein. Diese Unterschiedlichkeit tut uns gut“, lobte Glasner zuletzt seine starke Mittelfeldzentrale. Natürlich sind auch Sebastian Rode und Djibril Sow auf ganz hohem Niveau unterwegs.
Kamada und Götze agieren jedoch etwas spektakulärer. Sie machen mit ihrer Ballsicherheit den Unterschied in engen Duellen aus. Kamada glänzte bereits als sechsfacher Torschütze. Der Japaner befindet sich in brillanter Verfassung: Leichtfüßig, auffällig diszipliniert in der Defensivarbeit, enorm wichtig als Ballverteiler, dazu torgefährlich. Götze agiert auf den ersten Blick weniger dominant.
Bei näherer Betrachtung stechen seine Fähigkeiten hervor. Seine hohe Auffassungsgabe für die richtigen Räume, er liest das Spiel und bestimmt mit seinem typischen Ein- oder Zwei-Kontakt-Spiel den Rhythmus. Zudem ist Götze fit wie selten zuvor in seiner Karriere.
Auch gegen Gladbach war er 12,1 Kilometer unterwegs, 949 intensive Läufe bedeuten weiterhin Ligaspitze! Bundestrainer Hansi Flick konnte sich beim Topspiel auf der Tribüne einen Eindruck verschaffen. Für Götze sollte durchaus noch ein Ticket frei sein für die Reise zur Winter-Weltmeisterschaft in Katar.
Glasner findet permanent Lösungen
Junior Dina Ebimbe hat sich auf der rechten Außenbahn als Schienenspieler als Überraschung entpuppt. Der Franzose bestritt 18 (!) Zweikämpfe, von denen er die Hälfte für sich entscheiden konnte. Auch in Minute 99 ging er in den Sprints noch an seine Grenzen. Ebimbe belohnte den starken Auftritt in Gladbach zudem mit einem Kopfballtor.
Sportvorstand Markus Krösche hatte hart um das Juwel gekämpft und ihn mit Kaufoption von Paris Saint-Germain ausgeliehen. Der französische Abonnementmeister hat SPORT1-Informationen zufolge zwar eine Rückkaufoption. Diese soll aber in einem derart hohen Bereich liegen, dass die Eintracht wohl problemlos auf dem Transfermarkt agieren könnte. Der Biss von Krösche hat sich gelohnt.
Und Glasner? Er zeigt nicht nur bei Ebimbe, dass Not erfinderisch macht. Ausfälle von Ansgar Knauff, Makoto Hasebe oder Almamy Touré haben die hohe Kunst der Improvisation erfordert. Und der Eintracht-Trainer? Er liefert regelmäßig ab. Ebimbe als Knauff-Ersatz. Jakic, wenngleich noch etwas fehlerbehaftet, vertritt Hasebe ordentlich.
Die Lücke, die der Abgang von Filip Kostic zu Juventus Turin gerissen hat? Sie wird aktuell von Christopher Lenz geschlossen. Der Eintracht-Erfolg ist deshalb auch ganz eng mit den Qualitäten von Glasner verbunden.
Kann die Eintracht jetzt auch den FC Bayern ärgern?
Am ersten Spieltag lagen noch Welten zwischen dem Rekordmeister und dem Europa-League-Sieger. 6:1 gewann der FC Bayern München zum Auftakt der Bundesligasaison. Ein herber Dämpfer für die ambitionierten Hessen! Doch seitdem kamen trotz aller Strapazen mit Dreifachbelastung 20 Punkte auf das Konto. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Die Eintracht belegt Rang vier, überwintert im DFB-Pokal und hat auch in der Champions League gegen Marseille und in Lissabon noch alles in der eigenen Hand. Mit Kevin Trapp haben die Frankfurter einen der besten Torhüter Deutschlands in ihren Reihen, er rettete in engen Partien viele Punkte.
Die Eintracht ist neben den Münchnern das erfolgreichste Bundesliga-Team der vergangenen vier Jahre. Sieg im nationalen Pokal 2018, Triumph in der Europa League 2022! Aktuell ist die Stimmung im Klub hervorragend, zudem kann ein großer Teil der Profis die lange Winterpause nutzen und den Akku nach herausfordernden Wochen aufladen.
Ob die Eintracht erstmals in der 1963 gegründeten Bundesliga ganz oben landen kann? Glasner und Krösche jedenfalls haben das Träumen auch im vergangenen Jahr nicht verboten. Der Weg ist natürlich noch ein weiter. Doch die seit Jahren gezeigte Konstanz des Klubs beeindruckt. Ob Olympique Marseille und Borussia Dortmund auch in Frankfurt stolpern? Es wäre ein weiterer Beleg der starken Arbeit am Main.