Trainer Oliver Glasner wirkte zerknirscht, als er bei der Pressekonferenz vor der Partie gegen den VfL Wolfsburg die Verletztenliste von Eintracht Frankfurt aufdröselte: „Christopher Lenz war letztes Jahr sehr viel verletzt, dieses Jahr wieder. Almamy Toure war letztes Jahr sehr viel verletzt, und die Jahre davor auch, dieses Jahr wieder.
Europa wird Eintracht zum Verhängnis
Sebastian Rode war letztes Jahr sehr viel verletzt, dieses Jahr wieder. Jerome Onguené hat in diesem Kalenderjahr außer beim Afrikacup im Januar kein Spiel bestritten - ist verletzt. Aurelio Buta hatte einen Muskelbündelriss und eine Meniskusverletzung bei Antwerpen, war letztes Jahr verletzt, und ist jetzt immer noch verletzt.“
Eintracht gehen die Defensivspieler aus
Rumms! Bei den Hessen ist in den vergangenen Tagen viel passiert. Von der großen Euphorie nach dem 4:0 gegen RB Leipzig ist erstmal nichts mehr zu spüren. Dafür hat nicht nur die deutliche Niederlage beim Champions-League-Debüt gegen Sporting Lissabon beigetragen. Glasner gehen peu à peu die Defensivspieler aus!
Diese Probleme waren allerdings vorhersehbar. „Ist das neu? Oder ist das etwas, das sich bei einzelnen Spielern durchzieht?“, lautete Glasners rhetorische Frage. Onguené stand im Jahr 2022 am 20. März zuletzt sieben Minuten auf dem Platz. Buta kam seit Oktober 2021 auf knapp 200 Spielminuten.
Rode verpasste in seiner Karriere über 150 Pflichtspiele. Lenz hat seit Januar 2021 mit muskulären Problemen zu kämpfen. Auch Touré stand seinen Trainern nur selten konstant zur Verfügung, verpasste in dreieinhalb Jahren insgesamt 40 Begegnungen. Wie Buta auch wird der Franzose in diesem Jahr nicht mehr zur Verfügung stehen.
Pellegrini fehlt die Physis von Vorgänger Kostic
Und: Mit Luca Pellegrini kam für den stets topfitten Filip Kostic ein ebenfalls körperlich stark gebeutelter Spieler zu den Hessen. Der 23-Jährige hatte schon schwere Verletzungen, er wirkt in seinen ersten Wochen nicht austrainiert. Bereits bei seinem zweiten Einsatz in Bremen verließ er nach einer Stunde völlig entkräftet das Feld, eine Woche später fehlte er aufgrund leichter muskulärer Probleme. Ob die Fitness für harte englische Wochen mit hochintensiven Partien reicht? Fraglich.
Der Kader der Eintracht wirkt in diesen Tagen unrund, nicht optimal austariert. Während Sportvorstand Markus Krösche im Angriff mit Mario Götze, Randal Kolo Muani, Faride Alidou und Lucas Alario stark aufgerüstet hat, Glasner dadurch variabel agieren und Ausfälle kompensieren kann, sorgt der Blick auf die Defensivreihe für große Bedenken. Europa wird so zum Verhängnis, es gibt keine Verschnaufpausen.
Außenverteidigerpositionen sind nicht optimal besetzt
Kristijan Jakic hilft als rechter Verteidiger aus, obwohl er eigentlich im defensiven Mittelfeld benötigt wird. Junior Ebimbe ist hochtalentiert und zeigt starke Ansätze. Doch der Franzose muss erst noch in der Bundesliga ankommen, sich eine gewisse Physis aneignen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Gegen Sporting ging Ebimbe krampfgeplagt vom Feld. Er kann die Rode-Lücke noch gar nicht schließen, der Kapitän fehlt an allen Ecken und Enden. Alles steht und fällt dadurch mit Djibril Sow, der nicht alle Last auf seinen Schultern tragen kann.
Die Frankfurter sind somit weder für das System mit Dreier- noch mit Viererkette vollumfänglich gerüstet. Den Außenverteidigerpositionen fehlen die nötige Qualität und Fitness. Dadurch wiederholen sich die Fehler. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Die Konkurrenz kommt zu leicht hinter die Kette, mit zunehmender Spieldauer erhöht sich die individuelle Patzerquote bedenklich. 16 Gegentreffer nach acht Pflichtspielen sind deutlich zu viel und besorgniserregend. Von Glasner Ziel, diese Quote auf ein Gegentor pro Partie runterzuschrauben, ist das Team weit entfernt.
Ersatz hinter Tuta und N‘Dicka? Nur noch Smolcic ist fit
Und Makoto Hasebe als Libero? Mit bald 39 Jahren kann das nicht mehr die von Glasner präferierte Dauerlösung sein. Das Karriereende von Martin Hinteregger wurde im Transfersommer offenbar deutlich unterschätzt. Die hintere Reihe ist auf Kante genäht. Neben Evan N‘Dicka und Tuta steht Glasner nur noch Talent Hrvoje Smolcic zur Verfügung. Auf der rechten Abwehrseite könnte Timothy Chandler aushelfen. Kategorie Königsklasse? Davon ist das Team in dieser Besetzung weit entfernt.
Glasner packte zuletzt eine Phrase aus, die allerdings viel Wahres enthält: „Offense wins games, but defense wins championships.“ Es war ein defensiv sehr stabiles Konstrukt, das die Eintracht zum Triumph in der Europa League führte. Nicht umsonst kamen Torhüter Kevin Trapp, Hinteregger und Schienenläufer Kostic in die UEFA-Top-Elf der Saison. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Eintracht kann erst im Winter nachbessern
Kreativität, Mentalität, mannschaftliche Geschlossenheit und eine klare Spielanalyse werden für die kommenden Wochen von besonderer Bedeutung sein. Die Fehler bei der Kaderplanung – nicht zuletzt wurde SPORT1-Informationen bis zum letzten Transfertag noch an einer Lösung für die Außenverteidigerposition gestrickt - können erst im Winter behoben werden.
Bis dahin muss Glasner mit einer deutlich verbesserten Offensive, aber ohne den gewünschten spielstarken Sechser und fehlende oder unfitte Außenverteidiger das große Ziel - Weiterkommen in der Königsklasse - erreichen.