Es war die Sensation des Fußballjahres 1980: Franz Beckenbauer, der seine Karriere eigentlich bei Cosmos New York ausklingen lassen konnte, kehrte im November in die Bundesliga zurück.
Kaiser: „Die beste Idee meines Lebens“
Aber nicht zu seinen Bayern, sondern zu deren größten Konkurrenten, dem HSV. Die Skeptiker fragten sich, ob das eine gute Idee von Manager Günter Netzer sei, schließlich war „der Kaiser“ schon 35. Die Fans aber waren begeistert, sie empfingen ihn mit einem Transparent: „Kaiser Franz, stoß die Bayern vom Thron!“.
Dazu bekam er 20 Monate Zeit, ehe er heute vor 40 Jahren seine Karriere mit einem offiziellen Abschiedsspiel beendete. Noch einmal war er Meister geworden, wenn er auch nur eine Nebenrolle spielte. (ÜBERSICHT: Die fixen Transfers aller Bundesliga-Klubs)
Das 424. und letzte Bundesligaspiel
Weshalb Sorgen und Hoffnungen bezüglich seines Comebacks gleichermaßen berechtigt waren. Aber es hatte auf alle Fälle etwas Gutes, denn es mündete in „die beste Idee meines Lebens“. Womit wir zum 1. Juni 1982 kommen.
Es sind sentimentale Tage im Frühsommer 1982, viele Deutsche tragen Trauer. Am 29. Mai nimmt sich die große Schauspielerin Romy Schneider in Paris das Leben, aus Kummer über den Tod ihres Sohnes. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Am selben Tag bestreitet Franz Beckenbauer sein 424. und letztes Bundesligaspiel. Beide Ereignisse sind natürlich in ihrer Bedeutungsschwere nicht zu vergleichen, aber wenn etwas endgültig wird, befällt die Menschen oft eine gewisse Beklommenheit.
Nun ist also Schluss für Sissy und Franz, die auf unterschiedliche Weise die Herzen der Deutschen gewannen. Was das Ende der Profikarriere des größten deutschen Fußballers angeht, sieht es zumindest der Protagonist selbst einigermaßen entspannt.
Abschiedsspiel gegen die Deutsche Nationalmannschaft
Von diversen Verletzungen (u. a. Adduktorenriss, Nieren-Quetschung) geplagt, von denen er in seinen ersten 17 Profijahren weitgehend verschont bleibt, kommt er in seiner letzten Bundesligasaison nur noch auf zehn Einsätze und sagt demütig: „Ich bin hier nur der Notnagel“. Er schiebt es auf höhere Instanzen: „Der liebe Gott hat, glaube ich, von oben was passieren lassen, was mir sagen sollte: ‚Jetzt langt‘s, lieber Franz!‘“
Sein Ansehen hat nicht gelitten, die Zuschauer verabschieden ihn bei seiner frühzeitigen Auswechslung nach 41 Minuten beim belanglosen 3:3 gegen den Karlsruher SC mit donnerndem Applaus im Hamburger Volkspark. Er geht als Meister, zum fünften Mal nach vier Titeln mit den Bayern. Der letzte bringt ihm und den Mitspielern je 30.000 DM Prämie ein. „Jammerschade, dass dieser Mann aufhört“, seufzt sein Trainer Ernst Happel.
Einmal aber darf er ihn noch betreuen, denn am 1. Juni ist an gleicher Stelle das Abschiedsspiel des damaligen Rekordnationalspielers (103 Einsätze) anberaumt – gegen die aktuelle Nationalmannschaft, die sich unter Bundestrainer Jupp Derwall auf die WM in Spanien vorbereitet. Der Deutsche Meister gegen die Nationalmannschaft, eine würdige Bühne für den letzten Auftritt des Allergrößten.
Wenig Live-Zuschauer - Franz ist‘s egal
Die ARD überträgt live. Nur die Hamburger ziehen nicht wie erwartet mit, das Stadion ist nur zur Hälfte gefüllt (30.000) an diesem Dienstagabend. Der kicker bemerkt: „Vielleicht hätte Beckenbauers Abschiedsspiel doch nach München gehört.“ Der Kaiser nimmt es sportlich und freut sich über die Liveübertragung: „So können doch viel mehr Leute dieses Spiel sehen, als wenn wir ohne Fernsehen das Haus voll gehabt hätten.“
Und es mangelt nicht an Ehrengästen, Fritz Walter und Uwe Seeler stehen vor dem Anstoß mit Franz am Mittelkreis, wo DFB-Präsident Hermann Neuberger den Kaiser zum dritten Ehrenspielführer ernennt. Somit stehen alle Ehrenspielführer des DFB auf einem Bild. Neuberger sagt in seiner Ansprache: „Er hat sich als Vorbild von Zehntausenden um den Fußball sehr verdient gemacht.“
Dann geht es los und die Nationalmannschaft denkt nicht daran, den für den HSV spielenden Beckenbauer allzu reichlich zu beschenken. Schon nach 20 Minuten führt sie durch Karl-Heinz Rummenigge und Hansi Müller 2:0, sie „stellte keineswegs einen gefälligen Gegner dar“, findet der kicker.
Kaiser mit Eigentor - und starker Leistung
Drei Minuten nach Wiederanpfiff führt Beckenbauer dann seine „Spezialität“ auf, dem Unantastbaren unterläuft nicht zum ersten Mal ein Eigentor. Der Stadionsprecher verschweigt taktvoll den Namen des Schützen und der Leistung des Kaisers tut es nur gut: „Dieses Missgeschick stachelte ihn nur zu noch besseren Leistungen an.“
Beckenbauer spielt zum Abschluss noch einmal überragend, seine Pässe kommen zentimetergenau an, auch seine Kabinettstückchen klappen wie eh und je. Kurz vor dem Spiel hat er dem Kicker verraten, dass Jupp Derwall und er übereingekommen waren, dass er mit zur WM fahren würde, wenn er in der Liga zehn Spiele am Stück bestreitet.
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Dazu ist es nicht gekommen und an diesem Tag ahnt man, wie es hätte werden können in Spanien – selbst mit einem 36 Jahre alten Libero Beckenbauer. „Der Franz war heute der überragende Mann“, sagt Meistertrainer Hennes Weisweiler, der ihn Monate zuvor noch bei Cosmos betreut hat.
Schlusspunkt gehört Franz Beckenbauer
Als Paul Breitner auf 4:0 für Deutschland erhöht, droht der Abschied doch etwas peinlich zu werden für den Kaiser. Also unternimmt er etwas. Nach dem Anschlusstreffer von Lars Bastrup schießt Beckenbauer höchstselbst in der 83. Minute das letzte Tor des Abends, aus 18 Metern überwindet er Toni Schumacher. Endstand: 2:4!
Dann pfeift Walter Eschweiler ab und es beginnt die dritte Halbzeit. 500 geladene Gäste, darunter alle seine Ex-Trainer außer dem verhinderten Udo Lattek, und sein aus den USA eingeflogener Doppelpasspartner und bester deutscher Torjäger Gerd Müller, feiern bis in die frühen Morgenstunden Abschied. Es soll ja kein endgültiger sein, jedenfalls nicht vom Fußball.
Zur WM in Spanien fährt er als „Reporter“ und schreibt Kolumnen für die Bild, außerdem kündigt er an, seinen Trainerschein zu machen, was er sich als Jungkicker niemals hat vorstellen können.
Das Comeback
Dass er doch noch mal das Trikot anziehen wird, ahnt nicht mal er selbst, doch im Frühjahr 1983 lässt sich der Mann, der so schwer „nein“ sagen kann, zu einem letzten Comeback überreden. Er bestreitet noch einmal 27 Spiele in der NASL für Cosmos New York, ehe er am 12. September 1983 endgültig geht.
An Aufgaben mangelt es weiterhin nicht, eine ist die Förderung seiner Stiftung, die am Tag seines Abschiedsspieles offiziell gegründet wird. Die Einnahmen des Tages von rund 800.000 DM sind der Grundstock, er selbst rundet auf eine Million DM auf. Dass er das Geld spenden wollte, stand für ihn lange fest.
„Eine der besten Entscheidungen meines Lebens.“
Die Idee, unschuldig in Not geratenen Menschen im Rahmen einer seinen Namen tragenden Stiftung zu helfen, soll vom HSV-Arzt Dr. Friedrich Nottbohm stammen, mit dem sich der Kaiser beriet, als es darum ging: wohin mit dem Geld? Die Stiftung gibt es bis heute und hat viel Gutes bewirkt, erst im März 2022 wurde sie in Berlin auf dem Sepp Herberger-Award ausgezeichnet.
Benefizveranstaltungen wie Promi-Spiele oder Golfturniere füllen ihre Kassen seit nunmehr 40 Jahren, um Rentnern die Heizkosten zu zahlen oder OP-Kosten zu übernehmen. Beckenbauer, seine Frau und seine Mitarbeiter prüfen jeden Antrag selbst, bis zu 2500 kommen jährlich ins Haus. Prominente wie Günter Netzer und Dietmar Hopp sitzen im Stiftungsrat, die gespendeten Summen haben die 20-Millionen-Euro-Grenze schon genommen.
Nicht ohne Stolz spricht der Mann, der Deutschland als Spieler und Trainer zum Weltmeister machte und die WM 2006 ins Land holte, von „einer der besten Entscheidungen meines Lebens.“ Sie ist eines Kaisers würdig.