2015 wechselte Willi Orban vom 1. FC Kaiserslautern zu RB Leipzig. Mit nur 22 Jahren war er damals das größte Abwehrtalent in Deutschland.
Orban: „Eine einzige Erfolgsgeschichte“
Heute ist der 29-jährige Ungar mit deutschen Wurzeln einer der besten Innenverteidiger in der Bundesliga. Und er ist einer, der gerne über den Tellerrand hinaus schaut. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Vor dem Viertelfinal-Hinspiel in der Europa League zuhause gegen Atalanta Bergamo am Donnerstag (ab 18.45 Uhr im LIVETICKER) spricht Orban im SPORT1-Interview über seine Karriere, RB-Trainer Domenico Tedesco und Julian Nagelsmann.
SPORT1: Herr Orban, seit sieben Jahren sind Sie in Leipzig. Heutzutage ist solch eine Vereinstreue eher ungewöhnlich. Wie blicken Sie zurück?
Willi Orban: Stimmt, mittlerweile ist es nicht mehr normal, so lange in einem Verein zu sein. Es hat bei RB Leipzig einfach immer gepasst. Ralf Rangnick hat mich damals mit seinen Plänen und seiner Vision überzeugt, auch wenn wir zuerst in der 2. Liga um den Aufstieg in die Bundesliga kämpfen mussten. Und die Umsetzung hat dann ja auch geklappt. Im Jahr darauf wurden wir Vizemeister und haben schließlich in der Champions League gespielt. Das war sensationell. Ich konnte mich sehr gut etablieren und die Entwicklung des Klubs ging einher mit meiner Entwicklung. Es gab daher nie einen Grund für einen Vereinswechsel. Es war bisher eine einzige Erfolgsgeschichte.
Der schönste Moment bei RB Leipzig
SPORT1: Gab es einen schönsten Moment in den vergangenen sieben Jahren?
Orban: Mein erstes Champions-League-Spiel zu Hause gegen AS Monaco war sicher ein Highlight. Es war schon ein besonderer Moment zum ersten Mal die Champions-League-Hymne zu hören. Das war Gänsehaut pur und da ging für mich ein Traum in Erfüllung. Im ersten Jahr habe ich 2. Liga gespielt und dann war ich schon in der Königsklasse, das war geil. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
SPORT1: Hat es Sie selbst überrascht, dass alles so glatt lief bei Ihnen?
Orban: Es ist für mich nahezu perfekt gelaufen. Damals wie heute habe ich mir immer die größten Ziele gesetzt, die es gibt. Ich habe da ein passendes Sprichwort: „Du musst versuchen auf den Mond zu kommen und selbst wenn du ihn verfehlst, landest du zwischen den Sternen.“ Ich war immer so ambitioniert, dass ich mir gesagt habe ‚Warum soll ich nicht Champions League spielen?‘ Dafür war ich bereit alles zu investieren. Ich habe schon immer akribisch gearbeitet und werde es auch in Zukunft so machen. Doch ich war immer auch abhängig vom Klub. Damals waren schon Leute im Klub, die den Weg in Richtung internationaler Fußball gehen wollten. Ich habe den Schritt nach Leipzig nie bereut.
Willi Orban: „Wir sind hungrig“
SPORT1: Die Chance das Double zu holen ist diese Saison so groß wie nie. Was meinen Sie?
Orban: Noch denke ich nicht daran. Jetzt müssen wir am Donnerstag erstmal zuhause gegen Atalanta Bergamo ran. Das ist ein schwieriger Gegner. Wir sind aber nicht chancenlos und rechnen uns da schon etwas aus, denn wir sind selbstbewusst und im Flow. Und im Pokal ist es ja klar, dass wir wieder ins Finale einziehen wollen. Es wäre natürlich etwas Besonderes, den ersten Titel nach Leipzig zu holen. Wir sind hungrig und können Geschichte schreiben.
SPORT1: Hand aufs Herz: Würden Sie lieber den Pokal gewinnen oder die Europa League?
Orban: Schwierig. Der Gewinn der Europa League wäre schon noch einen Tick höher einzustufen. Dann bist du auch im Topf 1 der Champions League dabei. Und ein internationaler Titel wäre ein Brett. Aber ich will mich da nicht festlegen. Auch ein Pokalgewinn würde mich glücklich machen.
Ambitionierte Ziele als Neujahres-Vorsätze
SPORT1: Am 31.12. haben Sie bei Instagram Ihre Ziele für das neue Jahr offiziell veröffentlicht. Das ist eher untypisch für einen Profifußballer. Wieso der Schritt über die Öffentlichkeit? Und sind Sie bisher zufrieden mit der Umsetzung?
Orban: Die Ziele waren schon ambitioniert. Das macht mich auch aus, dass ich mir manchmal zu hohe Ziele setze. Wenn ich dann zum Beispiel ein, zwei Tore weniger mache, kann ich auch zufrieden sein. Beim Thema Bücher bin ich sehr gut unterwegs, da habe ich schon einige gelesen. Allein im Januar habe ich drei Bücher verschlungen. Und auch bei den Kniebeugen mache ich Fortschritte. Ich will mich weiterentwickeln und nicht stehen bleiben.
SPORT1: Sie sind ein sehr reflektierter Mensch, äußern sich auch zu Themen abseits des Rasens. Eine ganz allgemeine Frage: Darf man Politik und Fußball trennen?
Orban: Das ist eine sehr gute Frage. Ganz kann man es nicht trennen. In gewisser Weise haben wir Profis auch eine Verantwortung. Die junge Generation schaut bei Social Media auf uns und sieht uns dort öfter als die Politiker, die täglich wichtige Entscheidungen treffen. Viele Fans orientieren sich extrem an den Fußballern. Mir ist diese Verantwortung schon bewusst und so verhalte ich mich auch.
Ukraine-Krieg: „Macht einen unfassbar traurig“
SPORT1: Aber wie sieht das konkret aus, wenn Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sind?
Orban: Man kann sich positionieren und dennoch ein ganz normales Leben führen. Ich unterhalte mich mit Personen, denen ich im Alltag begegne. Durch einen Post entsteht eine Diskussion. Man kann mit kleinen Entscheidungen im Alltag seine Position stärken. Zum Beispiel mit Nachhaltigkeit, indem man ein Hybrid-oder Elektroauto fährt. Ich bin natürlich nicht fehlerfrei und lerne täglich dazu, bin ein normaler Typ und weiß nicht, wie die Welt sich weiterentwickelt.
SPORT1: Die Welt in der Ukraine gerät seit Wochen aus den Fugen. Macht Ihnen der Krieg Angst? Sie sind Ungar und ihr Land ist schließlich die direkte Nachbarschaft der Ukraine.
Orban: Wenn man die Bilder sieht, macht einen das unfassbar traurig. Die Unsicherheit ist ganz normal. Es ist das erste Mal, dass ein Krieg so nah vor unserer Haustür stattfindet. Und natürlich sind die Bilder erschreckend. Ich glaube das sensibilisiert schon viele Menschen, dass man im eigenen Land dankbar sein muss, in guten Umständen leben zu können. Ich hoffe so sehr auf eine friedliche Lösung in der Ukraine.
SPORT1: Sie haben mit Marvin Compper bei RB Leipzig zusammengespielt. Er ist nach dem Rücktritt von Markus Gisdol weiter Interimstrainer von Lokomotive Moskau. Können Sie nachvollziehen, dass er das immer noch macht?
Orban: Ich kenne Marvin und er ist ein sehr intelligenter, ambitionierter Mensch. Zuletzt sprach er in einem Interview darüber, dass er die Leute vor Ort nicht enttäuschen will. Die Fußballer dort können nichts für den Krieg. Der Verein hat sich durch die Verpflichtung von Gisdol und Marvin viel versprochen. Deshalb wollte Marvin den Klub wohl nicht im Stich lassen. Aber solche Entscheidungen muss jeder für sich treffen. Da gibt es Argumente dafür und dagegen. Marvin will erstmal weiter in Moskau bleiben und sich der Herausforderung stellen. Das sehen natürlich nicht alle positiv.
„Durch Tedesco kam der Erfolg zurück“
SPORT1: Werden wir wieder sportlich. Sie haben unter Domenico Tedesco in jedem Spiel in der Startelf gestanden, nur wenige Minuten verpasst. Wie tickt er und wie hat er sie begeistert?
Orban: Ich habe schnell gemerkt, dass er exzellent vorbereitet war. Herr Tedesco kannte unser Team und die einzelnen Spielertypen sehr gut. Er ist ein hoch intelligenter Typ - taktisch und zwischenmenschlich. Und er weiß genau, welche Jungs er wie ansprechen muss - und das ist im heutigen Profifußball durch die verschiedenen Kulturen in einer Mannschaft eine riesige Herausforderung. Hinzu kommt seine Spielintelligenz. Und er nimmt alle mit. Durch Tedesco kam der Erfolg zurück.
SPORT1: Wie haben Sie die Phase Julian Nagelsmann, Jesse Marsch und Tedesco emotional erlebt? Marsch kam nie richtig an in Leipzig.
Orban: Jesse war gefühlt einer von uns, weil er vor einigen Jahren schon Co-Trainer war. Die meisten bei uns kannten ihn also schon. Er ist ein herausragender Typ, nur das Timing war nach Nagelsmann leider nicht das richtige. Jesse ist ein guter Trainer, das zeigt er jetzt auch bei Leeds, aber es hat leider mit ihm hier nicht funktioniert. Jeder Trainer hat emotionale Komponenten. Am Ende brauchst du aber Erfolg.
Orban: Karriereende in Leipzig?
SPORT1: Worin unterscheiden sich Julian Nagelsmann und Tedesco?
Orban: Grundsätzlich sind es ähnliche Typen und zwei junge, hochtalentierte Trainer, die fachlich top ausgebildet sind. Bei beiden liegt der Fokus auf dem Spiel mit dem Ball und auf interessantem, unterhaltsamen Offensivfußball. In der Taktik gibt es schon einige Unterschiede. Gerade, was die Flexibilität des Systems angeht. Auch in der unterschiedlichen Positionierung im Spiel. Aber im Großen und Ganzen sind beide sehr ähnlich. Beide werden in den nächsten Jahren weiter sehr erfolgreich sein.
SPORT1: Was hat der jüngste Sieg beim BVB mit Ihnen und dem Team gemacht?
Orban: Die Art und Weise des Sieges hat uns natürlich Selbstvertrauen gegeben. Wir haben gesehen, dass wir auswärts vor ausverkauftem Haus gegen eine Mannschaft mit brutaler Qualität bestehen können. Und der Sieg war absolut überzeugend. Aber es waren auch nur drei Punkte. Wir stehen jetzt vor interessanten, wegweisenden Wochen. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
SPORT1: Wünschen Sie sich ein Karriereende in Leipzig?
Orban: (lacht) Ich wünsche mir eigentlich kein Karriereende. Aber ich weiß, wie es gemeint ist. Ich kann mir das Karriereende in Leipzig sehr gut vorstellen.