Erst die Blamage in der 2. Runde des DFB-Pokals, jetzt das Aus im Viertelfinale der Champions League: Auch wenn dem FC Bayern der zehnte Meistertitel in Folge winkt, wird die Saison 2021/22 als eine der schlechteren in die jüngere Vereinsgeschichte eingehen. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Das muss Bayern ändern
Auf Trainer Julian Nagelsmann – obgleich er nach SPORT1-Informationen für die Verantwortlichen nicht zur Diskussion steht – kommen unangenehme Zeiten zu. Die Bayern-Krise geht jedoch über das Sportliche hinaus, auch die Führungsriege ist in der Pflicht.
Was muss sich ändern, um weitere Rückschläge zu vermeiden und erfolgreich(er) in die Zukunft zu gehen? Fünf SPORT1-Thesen! (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
1. Mehr Selbstkritik, weniger Schönrednerei
Vor nicht allzu langer Zeit merkte Uli Hoeneß kritisch an, es mangele den Bayern intern an Reibung. Recht hat er! Es wird zu viel schöngeredet, zu wenig Selbstkritik geübt.
Bezeichnend, dass Nagelsmann nach einem 1:1 vor heimischem Publikum gegen den Tabellensiebten der spanischen Liga mit nur vier Schüssen aufs Tor von einer „sehr guten Leistung“ sprach und Oliver Kahn meinte, das Aus sei nicht tragisch – schließlich könne man ja noch Deutscher Meister werden. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Bayern-like sind solche Aussagen nicht. Hoeneß selbst und auch sein in Rente gegangener Kumpane Karl-Heinz Rummenigge hätten mit Sicherheit anders reagiert. (STIMMEN: Bayern geschockt - „Habe ihn noch nie so sprachlos gesehen“)
2. Mehr Zusammenhalt, weniger Kabinen-Theater
In der Bayern-Kabine mangelt es nicht an Egos und Eigenbrötlern. Wenn es sportlich läuft, alles okay. Wenn nicht, wird es schnell ungemütlich. Das können nicht nur Niko Kovac und Carlo Ancelotti bestätigen, sondern auch Hansi Flick.
Selbst unter dem harmonischen Spielerversteher störten die einen oder anderen persönlichen Befindlichkeiten das Binnenklima. Theater gibt es jetzt auch unter Nagelsmann – und damit sind nicht einmal die vielen offenen Vertragssituationen von Leistungsträgern wie Robert Lewandowski und damit einhergehende Transferspekulationen gemeint.
Der Coach kam mit dem Wunsch und auch dem Auftrag nach München, einige Dinge zu verändern – taktisch wie personell. Doch um dies zu bewerkstelligen, müssen auch alle mitziehen. Das ist jedoch nicht der Fall.
SPORT1 weiß: Vor allem zwei Führungsspieler treten intern schon länger als Stinkstiefel auf, üben immer wieder Kritik an Nagelsmanns Taktik und zum Teil sogar an etwas komplexeren Trainingsübungen.
Der Bayern-Coach, so sehr auch er in der Verantwortung für das dürftige sportliche Abschneiden steht, hat es nicht leicht.
3. Mehr Führung, weniger Zurückhaltung
Stellen sich einzelne Spieler über den Trainer, darf man erwarten, dass die Bosse durchgreifen und ihn sowohl nach innen als auch nach außen schützen – erst recht, wenn man 20 Millionen Euro für ihn bezahlt und mit einem Fünfjahresvertrag ausgestattet hat.
Das ist aber nicht der Fall. Kahn sucht erst gar nicht die Nähe zur Mannschaft, während sich auch Sportvorstand Hasan Salihamidzic und Präsident Herbert Hainer wegducken.
Die Bayern haben ein Führungsproblem – nicht nur auf dem Platz! Nagelsmann ist nach SPORT1-Informationen genervt, dass er in München weniger Trainer sein kann als in Leipzig und Hoffenheim. Dabei müssten die Bosse eigentlich alles tun, um ihn öffentlich zu stärken – nach all dem, was er in den vergangenen Monaten für sie medial wegmoderiert hat. Stichwort JHV.
4. Mehr Verstärkungen, weniger Kaderlasten
Auch wenn es mit Blick auf die blutleere Leistung im Hinspiel keineswegs als Ausrede für das Aus gegen Villarreal durchgeht: Der Bayern-Kader bringt in der Breite nicht mehr die Qualität mit, um ganz vorne in Europa mitzuspielen.
Die Abgänge von David Alaba, Jerome Boateng und Thiago haben schon Flick wehgetan, auch Edel-Joker à la Philippe Coutinho oder Ivan Perisic fehlen. Die Verantwortung dafür trägt in erster Linie Salihamidzic, der sich in seiner bisherigen Amtszeit einige Fehlgriffe geleistet hat.
Er und Kaderplaner Marco Neppe müssen Nagelsmann im Sommer einen Kader zur Verfügung stellen, der noch mehr zu seinen Vorstellungen passt und mehr Variantenreichtum bietet als der aktuelle – und Spieler, die schon länger durchgeschleppt werden, abgeben.
Denn: Dass nur 14, maximal 15 Spieler auf gleichbleibendem Niveau agieren, ist auch nicht förderlich für das Trainingsniveau. Fraglich, ob die nahenden Transfers der Ajax-Spieler Noussair Mazraoui und Ryan Gravenberch ausreichen – zumal mit Niklas Süle ein Nagelsmann-Liebling ablösefrei geht und Corentin Tolisso es dem Abwehrmann aller Voraussicht nach gleichtun wird.
5. Mehr Campus, weniger Gehaltsausgaben
Bei allem Bedarf für Verstärkungen darf der eigene Nachwuchs nicht vernachlässigt werden. Das Beispiel Jamal Musiala zeigt, dass es sich lohnt, Spieler vom Campus zu fördern – auch wenn der 19-Jährige hauptsächlich vom FC Chelsea ausgebildet wurde.
Mussten 120 Millionen Euro (allein an Ablöse) wirklich für zwei Innenverteidiger bezahlt werden, auf die nicht immer Verlass ist? Würden es Außenverteidiger vom Campus schlechter machen als Mega-Flop Bouna Sarr oder der aus der zweiten englischen Liga geholte Omar Richards? Wäre das nach Hoffenheim vergraulte Eigengewächs Angelo Stiller heute eine schlechtere Alternative im defensiven Mittelfeld als Marc Roca?
- „Doppelpass on Tour“: Deutschlands beliebtester Fußballtalk geht auf große Deutschlandtour! Tourtermine und Tickets unter www.printyourticket.de/doppelpass oder unter der Ticket-Hotline (Tel. 06073 722740; Mo.-Fr., 10-15 Uhr)
Fragen, die die Bosse in ihre zukünftigen Kaderplanungen mit einbeziehen müssen. Vor allem, weil sie immer wieder das Argument anführen, wegen Corona finanziell limitiert zu sein. Mehr Talente aus den eigenen Reihen bedeutet nämlich automatisch weniger Ausgaben für Gehälter. Denn die sind schon jetzt sehr hoch, allein acht Spieler verdienen über 15 Millionen Euro brutto im Jahr.
Es wird deshalb auch Nagelsmanns Aufgabe in den kommenden Monaten sein, vielversprechende Talente wie Paul Wanner noch mehr ans Profiteam heranzuführen und einen sauberen Übergang vorzubereiten. Denn Thomas Müller und Co. werden nicht jünger.