Er ist zurzeit der wohl begehrteste Trainer Europas.
Ten Hag schwärmt von Bayern-Stars
Immer wieder wird Erik ten Hag mit Top-Vereinen in Verbindung gebracht. Trotz des vielen Wirbels um seine Person hat sich der 52 Jahre alte Coach von Ajax Amsterdam für SPORT1 über eine halbe Stunde Zeit genommen.
Auf dem Trainingsgelände De Toekomst sprach der gut gelaunte ten Hag über das Geheimnis hinter den Ajax-Talenten, die von Bayern umworbenen Ryan Gravenberch und Noussair Mazraoui und die Gerüchte über einen Wechsel zu Manchester United. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
SPORT1: Haben Sie das Achtelfinal-Aus in der Champions League gegen Benfica Lissabon mittlerweile verdaut?
Erik ten Hag: Es war am Ende eine Unaufmerksamkeit, die uns sehr getroffen hat. Wir müssen nun damit leben, aber uns zusammenreißen und nach vorne gucken. Wir haben schöne Aufgaben vor der Brust, denn wir können schließlich noch zwei Titel gewinnen.
SPORT1: Seit 2017 sind Sie Trainer von Ajax Amsterdam. Wo sehen Sie die größte Entwicklung bei der Mannschaft?
Ten Hag: Meine Mannschaft ist variabler und dynamischer geworden. Wir haben in den vergangenen Jahren einige wichtige Spiele verloren und Rückschläge kassiert. Als Trainer musste ich die Mannschaft immer wieder aufbauen. Man kann die Mannschaften der letzten Jahre mit der heutigen aber nicht vergleichen.
Ajax-Nachwuchs ist der Schlüssel zum Erfolg
SPORT1: Weil Jahr für Jahr Top-Talente den Verein verlassen. Wie schafft es Ajax immer wieder, den Verlust solcher Spieler aufzufangen?
Ten Hag: Wir haben einfach eine sehr gute Nachwuchsausbildung und können immer wieder Talente hochziehen. Manchmal frage ich mich auch: Wo kommt der denn jetzt wieder her? Die Qualität, die nachkommt, ist enorm. Es geht darum, dass wir die vielen Talente entwickeln. Das ist mir zusammen mit meinem Trainerteam gelungen.
SPORT1: Was macht Ajax in der Jugendarbeit besser als andere Top-Klubs?
Ten Hag: Ich kann nur für uns sprechen: Wir haben hier in Amsterdam eine Idee und Philosophie und das wird schon früh an die jungen Spieler weitergegeben. Das Konzept zieht sich systematisch durch den Verein.
SPORT1: Ihre Spieler sind ständig von Wechselgerüchten umgeben. Nervt Sie das als Trainer?
Ten Hag: Nein! Ich weiß, dass die Aufmerksamkeit meiner Spieler nur bei Ajax liegt. Die Jungs wissen, wofür sie spielen. Aber logisch, wenn man ambitioniert ist, möchte man natürlich irgendwann den nächsten Schritt in die Bundesliga, die Premier League oder La Liga machen. Ich sage den Jungs immer, dass sie sich nach der Saison darum kümmern sollen. Bis dahin gilt Ajax die volle Aufmerksamkeit.
Gravenberch zum FC Bayern? Das sagt ten Hag
SPORT1: Ryan Gravenberch und Noussair Mazraoui könnten ab Sommer beim FC Bayern spielen. Die Verhandlungen mit Gravenberch sind weit fortgeschritten, Mazraoui hat zurzeit Angebote von Bayern und Barca vorliegen. Haben die beiden Spieler Bundesliga-Niveau? (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Ten Hag: Wenn man mit Ajax in der Champions League bestehen kann, kann man das auch in der Bundesliga. Ich denke, dass wir auch für Bayern kein leichter Gegner wären, aber natürlich sind wir noch nicht auf dem gleichen Level wie sie. Ich bin mir sicher, dass die beiden Jungs in der Bundesliga ihre Leistung bringen könnten.
SPORT1: Die Verhandlungen mit Gravenberch sollen weit fortgeschritten sein. Beschreiben Sie bitte den Spielertypen für die Bayern-Fans.
Ten Hag: Ryan ist ein sehr junger Spieler, der aber schon viel Erfahrung gesammelt hat. Er hat schon über 100 Spiele in der Eredivisie absolviert, ist in der Champions League aufgelaufen und wurde für die Nationalmannschaft nominiert. Trotz seines jungen Alters hat er schon einiges erlebt und vor allem Titel gewonnen. Für unsere Mannschaft ist er sehr wichtig, weil er ein Box-to-Box-Spieler ist. Er beschleunigt aus dem Positionsspiel heraus, macht gute Dribblings, hat eine enorme Passschärfe und nimmt am Spielaufbau teil. Aufgrund seiner Athletik und Physis ist er auch im Umschaltspiel stark und kann zudem die Bälle gewinnen. Er ist schon weit, kann aber trotzdem noch einiges dazu lernen.
SPORT1: Wäre Bayern ein guter Schritt?
Ten Hag: Für Gravenberch? Definitiv! Auf ihn käme sicher ein hartes Stück Arbeit zu, weil bei den Bayern enorm viel Konkurrenz herrscht. Er ist aber auch so ein Typ, der Herausforderungen braucht. Er kann sich einer so hohen Qualität wie bei Bayern mit Sicherheit anpassen. Das hat man auch in der Champions League gesehen, denn dort hat er immer seine besten Spiele gemacht. Wir haben trotzdem noch die Hoffnung, dass er für eine Saison bei uns bleibt.
SPORT1: Sie schwärmen regelrecht, wenn Sie über solche Top-Talente sprechen. Macht das den Reiz Ihrer Arbeit aus?
Ten Hag: Ich liebe es, hier bei Ajax zu sein. Ich arbeite mit sehr guten Spielern, die wir weiterentwickeln können. Wenn sie den Matchplan umsetzen, bin ich glücklich. Meine Spieler sind sehr clever. Es macht einfach Spaß, mit ihnen zu arbeiten.
Ten Hag: „Fokus liegt momentan nur auf Ajax“
SPORT1: Werden Sie in der kommenden Saison noch mit den Ajax-Talenten zusammenarbeiten? Ihr Vertrag geht schließlich nur noch bis 2023 und viele Klubs sind an Ihren Diensten interessiert.
Ten Hag: Mein Fokus liegt momentan nur auf Ajax. Aber im Fußball weiß man nie. Ich möchte nichts ausschließen. Ich bin momentan hier bei Ajax angestellt, um Leistung zu bringen. Wir haben mit dem Pokalfinale gegen Eindhoven jetzt noch acht Endspiele, dafür brauche ich meine komplette Energie. Alles andere würde nur ablenken. Ich weiß, dass sich im Fußball von einem auf den anderen Tag alles ändern kann. Falls ich mich irgendwann entscheiden sollte, den nächsten Schritt zu gehen, hoffe ich, dass die Menschen das hier verstehen.
SPORT1: Manchester United um Ralf Rangnick soll sehr an Ihnen interessiert sein. Es soll sogar schon Gespräche gegeben haben. Können Sie das bestätigen?
Ten Hag: Man kennt sich in der Branche. Es gibt immer mal Gespräche mit Vertretern von anderen Vereinen, das ist normal. Manchester United ist ein großartiger Verein mit tollen Fans. Ich kann mich aber nur wiederholen: Mein voller Fokus liegt komplett auf Ajax! Wir planen im Übrigen jetzt schon für die neue Saison.
SPORT1: Haben Sie sich eine Deadline gesetzt, bis wann Ihre Entscheidung stehen soll?
Ten Hag: Ich habe mich bislang nach jeder Saison mit Ajax zusammengesetzt. Das wird auch diesmal so sein. Ich kann sagen, dass Ajax und Erik ten Hag aktuell sehr glücklich miteinander sind.
Ten Hag erklärt besondere Verbindung zur Bundesliga
SPORT1: Ob Frankfurt, Gladbach oder Dortmund – wo zuletzt auch in der Bundesliga Trainer gesucht wurden, kam Ihr Name ins Spiel. Ehrt Sie das?
Ten Hag: Die Bundesliga ist eine fantastische Liga und ich hoffe, dass ich in Zukunft mal dort arbeiten darf.
SPORT1: Was reizt Sie an der Bundesliga? (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Ten Hag: Ich bin als Kind mit der Sportschau aufgewachsen, weil wir an der Grenze zu Deutschland gewohnt haben. Dadurch habe ich eine Verbindung zu der Bundesliga aufgebaut und es haben sich Emotionen entwickelt. Ich finde es fantastisch, Sport in Deutschland zu erleben. Der Zusammenhalt, alles für den Erfolg zu geben – das ist ein Klima, indem ich irgendwann mal gerne arbeiten möchte.
SPORT1: Wieso hat es bislang noch nicht geklappt?
Ten Hag: Für mich ist es wichtig, dass mir ein Verein einen konkreten Plan mit einer Idee vorlegt. Was ist das Ziel des Vereins? Wohin will er? Warum möchten die mich als Trainer? Wenn das alles passt, glaube ich, dass man zusammenfinden kann. Meine Zeit bei Bayern München (Trainer der zweiten Mannschaft von 2013 bis 2015; Anm. d. Red.) war fantastisch, ich habe mich dort sehr wohlgefühlt und denke immer an die Zeit zurück, wenn ich ein Bayern-Spiel sehe. Es gibt immer noch eine positive emotionale Bindung zu den Bayern und ich drücke ihnen die Daumen.
Wechsel zum FCB? „Gab nie eine offizielle Anfrage“
SPORT1: Im Herbst 2019 wurden Sie nach dem Aus von Niko Kovac als Trainer bei den Bayern gehandelt. Hand aufs Herz: Wie kurz standen Sie wirklich vor einem Engagement beim FCB?
Ten Hag: Es ist schön, wenn dein Name mit Bayern in Verbindung gebracht wird. Aber es gab nie eine offizielle Anfrage.
SPORT1: Während Ihrer Bayern-Zeit war Matthias Sammer Sportvorstand und Pep Guardiola Trainer. Haben sich die beiden damals für Ihre Arbeit in der zweiten Mannschaft interessiert?
Ten Hag: Das Interesse war auf jeden Fall da. Sie haben bei unseren Spielen zugeschaut, uns angefeuert und motiviert. Die Verantwortlichen haben vorgegeben, was sie mit der Jugend vorhaben, Planungen und Konzepte vorgestellt. Da haben die Rädchen gut ineinandergegriffen.
SPORT1: Was speziell haben Sie von Guardiola gelernt?
Ten Hag: Ich mag es, wie Guardiola seinen Stil an die Mannschaft heranbringt. Seine Mannschaften sind immer offensiv ausgerichtet – mit Abenteuer und Freiräumen für die Spieler. Bei ihm steht nicht einfach nur das reine Siegen im Vordergrund, sondern er möchte attraktiven Fußball spielen.
SPORT1: Ein Ansatz, den auch Sie verfolgen.
Ten Hag: Ich möchte möglichst jedes Spiel gewinnen. Aber das muss auch in einer Art und Weise passieren, dass es für die Fans attraktiv ist, denn im Profifußball spielt man für die Fans. Ich richte deswegen meine Mannschaft grundsätzlich immer offensiv aus.
SPORT1: Gestatten Sie noch eine Frage zu Guardiola. Wie lief die Zusammenarbeit mit ihm?
Ten Hag: Er war immer sehr transparent, man war bei jeder Trainingseinheit herzlich willkommen. Man konnte stets mit ihm über seine Idee vom Fußball diskutieren und von ihm lernen. Das war sehr wertvoll für mich.
„Unbedingter Siegeswille“ bei Bayern und Ajax
SPORT1: Worin liegt die größte Gemeinsamkeit zwischen Bayern und Ajax?
Ten Hag: In beiden Vereinen steckt der unbedingte Siegeswille in der DNA.
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SPORT1: Sie waren am Dienstag beim Klassiker Niederlande gegen Deutschland im Stadion (1:1). Welcher Spieler der deutschen Mannschaft hat Ihnen am besten gefallen?
Ten Hag: Deutschland hat sehr viele gute Spieler. Ich bin ein großer Fan von Thomas Müller. Er ist so komplett, auf allen Ebenen. Thomas ist intelligent und hat einen ganz eigenen Stil. Er geht voran, auch in schwierigen Phasen. Deshalb ist er einer meiner Lieblingsspieler. Serge Gnabry und Leroy Sané sind tolle Kreativspieler und mit Jamal Musiala wächst gerade ein Riesen-Talent heran. Joshua Kimmich hat leider nicht mitgespielt, ihn mag ich aber auch sehr. Er ist sehr wichtig für seine Mannschaften, weil er als Verbindungsspieler und Stratege im Mittelfeld mit einem großem Siegeswillen ausgestattet ist.
SPORT1: Wie schalten Sie eigentlich vom hektischen Fußball-Geschäft ab?
Ten Hag: In München bin ich immer zum Wandern in die Berge. Berge und Wasser – das ist für mich die beste Kombination. Leider haben wir hier in den Niederlanden keine Berge. Ich gehe oft raus, laufe, spiele Golf oder mache Fitness.
Ten Hag: „Wenn ich keine Freude mehr verspüre, höre ich auf“
SPORT1: Wie gehen Sie speziell mit Druck um?
Ten Hag: Druck im Profifußball, das ist ein wichtiges Thema. Ich verstehe, dass sich Spieler einen Psychologen suchen, um mit dem Druck besser klarzukommen. Denn der Druck ist im Fußballgeschäft definitiv vorhanden. Jeder muss für sich persönlich einen Weg finden, um mit dem Druck umzugehen. Ich komme gut damit klar, weil ich das Spiel liebe und ich unglaublich viel Spaß daran habe, mit den jungen Spielern hier bei Ajax auf dem Platz zu stehen. Das gibt mir unheimlich viel Energie und Lebensfreude.
SPORT1: Sie sind 52. Wie lange wollen Sie noch als Trainer arbeiten?
Ten Hag: Ich werde so lange Trainer sein, wie es mir Spaß macht. Wenn ich keine Freude mehr verspüre, höre ich damit auf. Dafür ist dieses Geschäft zu komplex und zu stressig. Mir geht es darum, Freude zusammen mit den Leuten zu haben. Zum Glück ist das noch so.