Wer schon als „neuer Michael Ballack“ geadelt und unter andrem mit Manchester United in Verbindung gebracht wird, kann in seiner Karriere nicht viel falsch gemacht haben.
„Thomas Müller hat die Eier dazu“
Christoph Baumgartner, der Österreich bei der Europameisterschaft ins Achtelfinale schoss, überzeugt nicht nur im Nationalteam, sondern auch in seinem Klub, der TSG Hoffenheim.
Vor dem Heimspiel gegen den FC Bayern (Bundesliga: TSG Hoffenheim - FC Bayern, Sa., 15.30 Uhr im LIVETICKER) spricht der 22-Jährige im SPORT1-Interview über seine Entwicklung, die Mentalitätsdebatte, Nationalspieler Thomas Müller und seine besondere Beziehung zu David Alaba. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
SPORT1: Herr Baumgartner, Sie sind ein Star in ihrem Land, seit Sie Österreich bei der EM im vergangenen Jahr ins Achtelfinale geschossen haben. Bei der TSG sind Sie ein absoluter Leistungsträger. Wie machen Sie das mit erst 22 Jahren?
Christoph Baumgartner: Ich bin zwar noch jung, aber schon das eine oder andere Jahr dabei. Ich habe in der Bundesliga und in der Nationalmannschaft gezeigt, dass ich auf hohem Niveau spielen kann. Dadurch ist ein gewisses Selbstvertrauen entstanden, das für konstante Leistungen elementar ist. Und ich weiß, dass ich bei Ausreißern nach oben - die durchaus noch mehr werden können - auch Spiele entscheiden kann, wie zuletzt gegen den VfB Stuttgart. (Er erzielte zwei Tore, d. Red.) (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
SPORT1: Das war jetzt die sportliche Erklärung. Ist Ihnen dieses Selbstvertrauen von Ihren Eltern schon anerzogen worden?
Baumgartner: Das ist sicher auch Erziehungssache - es hat sich aber bei mir auch über Jahre entwickelt. Ich habe früher oft gegen ältere Jungs gespielt. Mein Bruder ist drei Jahre älter als ich, und ich war im Garten oder auf dem Sportplatz immer dabei, wenn er mit seinen gleichaltrigen Freuden gekickt hat. Da habe ich gelernt, mich durchzusetzen. Wenn ich da schüchtern aufgetreten wäre, hätten mich die Größeren gefressen. Selbstvertrauen ist sehr wichtig, es darf nur nicht in Arroganz übergehen.
Sebastian Hoeneß als Vertrauter von Baumgartner
SPORT1: Haben Sie bei der TSG mit Sebastian Hoeneß, der erst im zweiten Jahr Profitrainer in der Bundesliga ist, genau den Trainer, der zu Ihnen passt?
Baumgartner: Ich habe einen sehr guten Draht zum Trainer. Wir haben eine super Vertrauensbasis. Und ich denke, es ist nicht selbstverständlich, dass ich als junger Spieler so mit ihm im Austausch bin. Ich kann ihm immer sagen, wenn mir im Training etwas auffällt. Zum Beispiel bei Taktik-Elementen, oder auch was konkrete Spielsituationen angeht. Natürlich entscheidet der Trainer, aber als Spieler hat man auf dem Platz nochmal einen ganz anderen Blickwinkel. Wir wissen beide, was wir aneinander haben. Herr Hoeneß vertraut mir und fördert mich. Ich weiß, dass er immer auf mich baut, wenn ich gesund und fit bin - und natürlich meine Leistung bringe. Das fördert noch mal das schon angesprochene Selbstvertrauen.
SPORT1: Würden Sie sich etwas mit Joshua Kimmich vergleichen, der mit 19, 20 bei RB Leipzig ähnlich auf sich aufmerksam machte, wie Sie jetzt?
Baumgartner: Ich würde mich eher mit Thomas Müller vergleichen, was die Position und damit auch die Art und Weise angeht, wie ich auf dem Platz kommunizieren möchte. Da ist Thomas von den Weltklasse-Spielern, gegen die ich schon spielen durfte, der Beste. Es ist unfassbar, wie er zum Beispiel die Mitspieler auch nach vergebenen Großchancen wieder pusht - oder seine Mitspieler sofort wieder hinter den Ball holt. Da ist Thomas Müller Vorreiter und ein Vorbild für mich. Ich bin auch einer, der den Blick auf das große Ganze legen möchte. Ich versuche, trotz meines jungen Alters voranzugehen.
„Thomas Müller hat die Eier dazu!“
SPORT1: Thomas Müller steht für eine klare Meinung und den richtigen Scherz im richtigen Moment.
Baumgartner: Absolut. Ich bin ebenso ein Fan seiner Interviews. Beim Thomas hat eine Antwort Hand und Fuß. Er spricht Dinge an, die andere vielleicht gar nicht sehen oder sich nicht trauen, es anzusprechen. Thomas Müller hat die Eier dazu. Er ist ein Weltklassespieler. Auf und neben dem Platz. Bei ihm stimmt halt auch die Leistung, so dass er nach außen entsprechend so sein kann. Es ist immer ein schmaler Grat, Dinge anzusprechen, in Interviews laut zu sein, sollte die Leistung auf dem Platz nicht stimmen.
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SPORT1: Sehen Sie sich als Führungsspieler und was muss ein solcher haben?
Baumgartner: Er muss kontinuierlich Leistung bringen. Wenn ein Spieler diese nicht bringt, aber abseits des Rasens wichtig für die Mannschaft ist, ist er wichtig für das Team, aber er ist dann in meinen Augen kein Führungsspieler. Ein Führungsspieler erfährt in der Truppe eine gewisse Anerkennung. Sein Wort hat Gewicht. Zu mir: Ich wurde zu Saisonbeginn in den Mannschaftsrat gewählt - das war für mich als 21-Jähriger eine tolle Anerkennung. Ich will mit Leistung vorangehen, aber auch abseits des Feldes über den Tellerrand hinausschauen und Entscheidungen treffen. Ich denke, ich bin da auf einem guten Weg.
Lob für Alaba: „Prototyp eines Führungsspielers“
SPORT1: Auch David Alaba sagte zuletzt, er sieht sie eben auf diesem sehr guten Weg. Wie stolz geschwellt ist da Ihre Brust?
Baumgartner: (grinst) Schon etwas. David ist ein Vorbild, seit ich ein kleiner Junge bin. Er stammt wie ich aus Österreich und hat die große Fußballwelt erobert. Seine Erfolge sprechen für sich. David ist der Prototyp eines Führungsspielers. Mit ihm ist bei den Bayern ein Typ weggebrochen, der auch immer das Team zusammengehalten hat. So habe ich ihn auch in der Nationalmannschaft kennengelernt. Inzwischen ist er ein Freund geworden. David ist ein außergewöhnlicher Fußballer und ein wunderbarer Mensch.
SPORT1: Ist er wie ein großer Bruder für Sie?
Baumgartner: Ein bisschen schon. Ich kann David zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen. Er ist immer da für mich, wenn mir etwas auf der Seele brennt oder ich spezielle Fragen habe, die zum Beispiel meine Eltern nicht beantworten können. David wird mir immer zu 100 Prozent seine ehrliche Meinung sagen. Er will immer das Beste für mich.
SPORT1: Wir sprachen eben über Führungsspieler. Es gibt auch den Begriff Mentalitätsspieler…
Baumgartner: Ich sehe da einen Unterscheid zum Führungsspieler. Ein Mentalitätsspieler ist einer, der in schweren Situationen vorangeht. Wenn alles gut läuft, spielen viele sensationell Fußball. Aber das Entscheidende ist dann abzuliefern, wenn es nicht so läuft im Team. Der Mentalitätsspieler zeigt sich genau in solchen Momenten.
SPORT1: Nennen Sie doch mal drei Mentalitätsmonster in der Bundesliga.
Baumgartner: Joshua Kimmich, Thomas Müller und…oje, jetzt muss ich überlegen, dass ich nicht nur Bayern-Mainstream-Spieler nenne. (lacht) Manuel Neuer? Sicherlich auch, aber ich nenne mal noch einen von uns: Benny Hübner. Er schafft es, obwohl er ewig verletzt war und körperlich noch nicht wieder bei absolut 100 Prozent ist, auf dem Niveau dagegen zu halten - und das Team mitzureißen. Er ist für uns unverzichtbar, weil er Fußball einfach lebt.
Baumgartner; „Ich weiß, was unser Trainer an mir schätzt“
SPORT1: Sehen Sie sich auch als Mentalitätsspieler?
Baumgartner: So etwas über sich selbst zu sagen, ist immer schwierig. Ich weiß, dass unser Trainer an mir schätzt, dass ich vorangehe und Mentalität zeige. Darüber hatte er ja zuletzt auch öffentlich gesprochen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
SPORT1: Sie haben mal gesagt ‚Ich will irgendwann die Champions League gewinnen‘. Charakterisiert Sie dieser Satz als Typ?
Baumgartner: Meinen Ehrgeiz zeigt das sicherlich schon. Den Henkelpott zu holen, das ist mein Ziel. Aber das ist noch weit weg. In der Champions League zu spielen, das ist der nächste Schritt - und mit der TSG stehen wir gerade auf einem Platz dafür. Und dann will ich die Champions League auch irgendwann mal gewinnen. Ich weiß, dass es realisierbar ist. Auch wenn sehr viel zusammenpassen muss - und dass dafür noch sehr, sehr viel Arbeit vor mir liegt.
SPORT1: Sie sind sehr bodenständig aufgewachsen. Wie kommen Sie damit klar, dass Fußballer schon in jungen Jahren in den Olymp geschossen werden?
Baumgartner: Junge Fußballer verdienen heute schon sehr viel Geld. Teilweise bereits im Nachwuchsbereich. Da verdienen Spieler weit mehr als ihre Eltern zusammen. Die Gefahr durchzudrehen, ist dann definitiv da. In solchen Fällen ist die Erziehung ein großer Faktor. Mein Bruder, der auch Fußballprofi ist, und ich sind sehr bodenständig erzogen worden. Uns ging es nie schlecht, wir hatten ein schönes Haus mit Garten. Aber wir sind normal aufgewachsen. Unsere Eltern haben uns entsprechende Werte mitgegeben, damit wir auf dem Boden bleiben. Dafür bin ich auch sehr dankbar.
Bleibt Baumgartner länger in Hoffenheim?
SPORT1: Es gibt aber auch Negativbeispiele wie Savio Nsereko, Michael Cuisance oder Sinan Kurt.
Baumgartner: Irgendwann sieht man, wie sich die Spreu vom Weizen trennt. Kicken können die Jungs in Junioren-Nationalmannschaften alle. Vor allem der Kopf spielt eine entscheidende Rolle, ob es einer ganz nach oben schafft. Wenn junge Spieler falsche Ausfahrten nehmen, muss das aber nicht nur ihre Schuld sein. Das Umfeld ist ganz entscheidend. Wenn du einmal den Anschluss verlierst, wird es ganz schwer.
SPORT1: Sie haben in Hoffenheim noch einen Vertrag bis 2025. Wo sehen Sie Ihren nächsten Schritt? Beim BVB? Bei Bayern? Auch Liverpool und Manchester United sollen schon Interesse bekundet haben...
Baumgartner: Ich habe den Vertrag so langfristig unterschrieben, weil ich mich in Hoffenheim perfekt weiterentwickeln konnte und es immer noch kann. Die TSG spielt regelmäßig um Europa - und das mit attraktivem, offensivem Fußball. Da gibt es in der Bundesliga nicht so viele Vereine, die eine bessere Adresse für mich wären. Klar, ich habe große Ziele und ich will irgendwann Titel gewinnen. Ob der nächste Schritt dafür in der Bundesliga oder im Ausland wäre, das hängt auch von der jeweiligen Situation und den Möglichkeiten ab. Das Entscheidende ist ohnehin immer meine Leistung. Dann wird man sehen, was passiert. Aber ich kann mir auch durchaus vorstellen, noch das eine oder andere Jahr in Hoffenheim zu spielen.
SPORT1: Am Samstag geht es gegen die Bayern. Hätten die Münchner mit David Alaba defensiv weniger Probleme
Baumgartner: Wenn man Julian Nagelsmann fragen würde, ob er David gerne noch im Team hätte, würde er wohl ‚ja‘ sagen. Doch die Bayern sind nach wie vor das Nonplusultra in Deutschland und sie haben weiterhin enorme Qualität, das hat man beim 7:1 gegen Salzburg wieder gesehen. Ich traue es ihnen wieder zu, die Champions League zu gewinnen. Diese Saison hat aber gezeigt, dass es Möglichkeiten gibt gegen die Bayern. Wir freuen uns auf das Spiel und wollen gewinnen. Wir haben nach vier Siegen schließlich eine breite Brust.