Never change a winning system? Nicht das Motto von Julian Nagelsmann!
Nagelsmann in der System-Zwickmühle
Der 34-Jährige schlug im Sommer mit dem Ziel beim FC Bayern auf, für frischen Wind zu sorgen – auch in Bezug auf die taktische(n) Herangehensweise(n) des Rekordmeisters.
Hatte sein Vorgänger Hansi Flick ähnlich wie Jupp Heynckes noch fast ausnahmslos auf das 4-2-3-1 geschworen, zeigt sich Nagelsmann ähnlich wie sein großes Trainer-Vorbild Pep Guardiola weitaus experimentierfreudiger.
Nach SPORT1-Informationen würde er wie zu Leipziger Zeiten gerne langfristig ein System mit einer Dreier-Abwehrkette und zwei Schienenspielern etablieren.
Mehr Variabilität bei gleichbleibendem Erfolg, so lautet seine Mission. Doch gibt sein Kader das überhaupt her? (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
FC Bayern: Nagelsmann mit zu vielen Wechseln?
Auf eine Formation mit einem Dreieraufbau hatte er schon vermehrt im Laufe der Hinrunde gesetzt – und das sehr erfolgreich, klammert man das Pokal-Aus bei Borussia Mönchengladbach aus.
Das zeigt sich gerade an den Offensivzahlen von 56 Treffern in 17 Bundesliga-Hinrunden-Spielen und einem Torverhältnis von 22:3 in der Champions-League-Gruppenphase.
Zuletzt hielt Nagelsmann allerdings kaum an einem System fest, wechselte oft durch. Mal bot er eine Dreier-, dann mal wieder eine Viererkette auf. Auffällig: Er opferte dabei keinen seiner fünf Offensivspieler Robert Lewandowski, Thomas Müller, Leroy Sane, Kingsley Coman und Serge Gnabry. Das sorgte bisweilen für fehlende Stabilität.
Bei der überraschenden 2:4-Pleite in Bochum probierte er sogar eine sehr gewagte Grundordnung mit nur einem Sechser (Joshua Kimmich) aus, was gehörig daneben ging. Gegen die SpVgg Greuther Fürth am Sonntag begann er plötzlich wieder mit dem „alten“ 4-2-3-1.
Warum die vielen Wechsel?
Davies-Ausfall macht sich bemerkbar
Das Hauptproblem liegt darin, dass Nagelsmann mit Alphonso Davies seit Jahresbeginn ein Schlüsselspieler fehlt.
Der Kanadier ist der einzige offensivfreudige Außenverteidiger im Kader – und damit auch prädestiniert für die Rolle des „modernen“ Schienenspielers auf links.
Davies muss aber wegen seiner Herzmuskelentzündung noch immer kürzertreten, könnte frühestens im März wieder auf den Platz zurückkehren. Nagelsmann steckt in der System-Zwickmühle!
„Phonzie vermissen wir natürlich, er ist wichtig für unser Spiel“, gab der Bayern-Coach nach dem Duell mit Fürth zu. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Zwar hatte zuletzt Coman aushilfsweise in der Davies-Rolle einen sehr ordentlichen Eindruck hinterlassen. Gegen Fürth fehlte der Franzose aber wegen muskulärer Probleme.
Deshalb und auch um die zuletzt etwas abhanden gekommene Ballsicherheit wieder zu erlangen, stellte Nagelsmann wieder auf das altbewährte 4-2-3-1 um.
Seine Begründung: „Wir haben in der ersten Hälfte 4-2-3-1 gespielt, damit die Jungs in den gewohnten Positionen und Abläufen, die sie die letzten zwei, drei Jahre gespielt haben, in den Rhythmus kommen.“
Richards im 4-2-3-1 isoliert
Das funktionierte mit dem vorhandenen Personal jedoch nicht. Das Spiel nach vorne war behäbig und berechenbar, gerade der für Coman in die Startelf gerutschte Omar Richards wirkte links isoliert – auch, weil er kaum Unterstützung von dem meist ins Zentrum drängenden Sané erhielt.
„Omar war auf dem linken Flügel häufig ein bisschen einsam. Wir haben es nicht geschafft, ihn freizuspielen und in 2-gegen-1-Situationen zu kommen“, erklärte Nagelsmann.
Daher wechselte er Richards zur Pause aus und kehrte zur Dreierkette zurück. Eric Maxim Choupo-Moting rückte dafür ins Angriffszentrum neben Goalgetter Lewandowski, während Sané die linke Schiene beackerte.
Ein Schachzug, der gegen die tief stehenden Fürther aufging. Seine Mannschaft gewann nicht nur an Breite in ihrem Spiel, auch die Strafraumbesetzung wurde besser.
Choupo-Moting traf ein-, Lewandowski sogar zweimal. Scharfe Bälle in die Box, wie auch beim erzwungenen Eigentor zum zwischenzeitlichen 2:1 durch Fürths Sebastian Griesbeck deutlich wurde, entpuppten sich als Erfolgsfaktoren.
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Mehr Power – aber wo ist die Balance?
„Wir hatten vor allem in den ersten 20 Minuten nach der Pause deutlich mehr Power“, hielt Nagelsmann fest. Die defensive Stabilität war ob der sehr offensiven Ausrichtung in Durchgang zwei dennoch nicht gegeben.
Der Tabellenletzte aus Fürth gab fünf seiner acht Torschüsse nach dem Seitenwechsel ab, ließ dabei jedoch die nötige Präzision vermissen. Die Erkenntnis? Es fehlt noch an einer gesunden Balance im Bayern-Spiel. Kein neues Phänomen, gerade mit Blick auf die 44 Gegentore in der vergangenen Bundesliga-Saison.
„Die Mannschaft ist drauf gepolt, das war auch unter Hansi Flick schon so, schnell Angriffe wieder nach vorne zu bringen und zu Ende zu spielen“, sagte Nagelsmann nach dem Fürth-Spiel. „Es gibt immer mal wieder Momente, wo du mal auf den Ball steigen musst – das ist richtig. Aber es ist auch die Tugend der Spieler: Die sind darauf gepolt, schnell Richtung Tor zu spielen. Wir haben im Moment keinen Spieler, der extrem gerne draufsteigt und das Spiel beruhigt.“
Das sei aber nun einmal die Art und Weise der Spieler. „Diese Tugend musst du als Trainer gewinnbringend nutzen, in dem du über 70 Tore in der Bundesliga schießt. Immer auf Kosten, dass immer mal was passieren kann.“
Kein „Spielberuhiger“, kein Pendant zu Davies
Nagelsmann wird also auch nach der Davies-Rückkehr weiter tüfteln müssen, um seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Denn neben einem „Spielberuhiger“ mangelt es auch an einem klaren Pendant zu Davies auf der rechten Seite. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Gnabry, wie Coman zuletzt mit mehr Defensivaufgaben betraut, ist eigentlich gelernter Offensivspieler und fühlt sich wohler, wenn er hinter sich noch einen Spieler hat, der zum einen absichert und zum anderen mit Tiefenläufen unterstützt. Das machte unter Nagelsmann-Vorgänger Flick im 4-2-3-1 noch Benjamin Pavard.
Doch dem geht bekanntlich der volle Offensivdrang ab. Der Franzose sieht sich auch selbst lieber auf einer tieferen Position, vorzugsweise in der Innenverteidigung.
Kein Wunder also, dass die Münchner Kaderplaner auf der Suche nach einem offensiver als Pavard ausgerichteten Akteur für die rechte Seite sind, um eine Gnabry-Alternative in der Hinterhand zu haben – und diesen dann möglicherweise auf einer offensiveren Position aufzubieten.
Anderenfalls könnte Nagelsmann noch länger in der System-Zwickmühle stecken – und seine Idee, die Bayern variabler zu machen, zum Wohle der obersten Priorität (Erfolg) auf Eis legen.
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