Es waren zehn Sekunden, die nach Schlusspfiff in Köln tief blicken ließen. Daichi Kamada, der erst ein- und eine Minute vor Schluss wieder ausgewechselt wurde, lief über den Rasen und musste sich deutliche Worte von Oliver Glasner anhören.
Glasner in Rage: Kamada angezählt
Der Trainer von Eintracht Frankfurt war in Rage, machte seinem Unmut gestenreich Luft, selbst die auf ihn gerichteten Kameras konnten ihn nicht mehr stoppen. Und Kamada? Der nickte brav ab und ging seiner Wege. Wie es im sensiblen, introvertierten Japaner tatsächlich aussah, der beim Kölner 1:0-Siegtor keine glückliche Figur gemacht hatte? Schwer zu sagen.
Warum performen die Leistungsträger nicht?
Die Hessen sind in diesen Wochen dabei, ihre Ziele in der Bundesliga zu verspielen. Auffällig ist vor allem die fehlende Form der Leistungsträger im Jahr 2022. Daichi Kamada? Ein Tor. Filip Kostic? Ein Assist. Rafael Borré? Wartet seit fünf Partien auf einen Treffer. Jesper Lindström? Pfeilschnell unterwegs, aktuell aber die falschen Entscheidungen treffend.
Der Däne ist dabei noch das Zugpferd der Frankfurter, er ist an beinahe jeder gefährlichen Aktion mitbeteiligt. Doch ihm fehlt noch die Erfahrung, er kann die Last im vorderen Bereich nicht ganz alleine tragen und benötigt Unterstützung.
Aber es sind nicht nur die Offensivleute, die der Eintracht in der aktuellen Verfassung kaum helfen können. Evan N‘Dicka etwa hob in Köln vor dem Gegentor das Abseits auf – was ihm zuvor auch schon am 19. Spieltag in Augsburg passiert war.
Bei allem Offensivgeist, der den Franzosen auszeichnet, patzt er in letzter Reihe zu häufig. Martin Hinteregger stabilisierte sich zwar, die Anzahl der Fehler in der Rückserie sind in dieser Menge allerdings ungewöhnlich.
Djibril Sow taucht ebenfalls mit ab, kann keine Impulse verleihen. Warum suchen alle Leistungsträger zeitgleich ihre Form und strahlen keine Sicherheit aus? Wo ist die Achse, die den Klub im Vorjahr beinahe in die Champions League führte?
Glasner will Dinge „klar ansprechen“
Glasner selbst gab zu: „In den direkten Duellen waren wir wieder zu inkonsequent. Wir haben die schlechteste Zweikampfquote der Liga. Dabei sind es diese Duelle, die über Sieg oder Niederlage entscheiden.“ Der Österreicher kündigte an: „Wir müssen die Dinge klar ansprechen. Das werden wir auch machen.“
Die Gründe für die mäßigen Leistungen sind dabei vielschichtig. Kostic etwa lag nach seiner Corona-Infektion auch noch mit Grippe flach. Der Serbe hängt körperlich etwas durch, wobei seine Rolle gegen Köln durchaus fragwürdig war.
Weshalb stand Kostic so tief? Er war mehr Linksverteidiger statt Schienenspieler. So konnte Kostic seine Stärken in der Vorwärtsbewegung kaum ausspielen, den Gegner nicht unter Druck setzen. Die wenigen gefährlichen Momente? Sie fanden ohne den Superstar und Topscorer (drei Tore/sieben Vorlagen) statt. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Verliert Glasner Spielmacher Kamada?
Bei Kamada hingegen ziehen sich die Probleme durch die gesamte Spielzeit. Der 25-Jährige stand nur in sieben Bundesligapartien über 90 Minuten auf dem Platz, zwei Tore und ein Assist sind weit unter den eigenen Ansprüchen.
Fehlt das für ihn so wichtige Vertrauen von Glasner? Kamada kommt mit seiner Rolle, nicht unumstritten zu sein, nicht so gut zurecht. Aus dem Immer-Spieler wird so ein Zauderer. Die Entscheidung, einen verunsicherten Akteur nach Einwechslung wieder vorzeitig vom Feld zu nehmen, hilft nicht weiter. So kann Glasner seinen Spielmacher auch ohne offiziellen Wechsel schnell verlieren.
Ein weiterer Faktor ist die Zukunftsfrage. Was passiert bei Kostic, Kamada und N‘Dicka? Verlängern sie ihre bis 2023 laufenden Verträge? Verlassen sie Frankfurt? Oder droht in 18 Monaten gar ein ablösefreier Verlust? Die Gedanken kreisen sich nicht nur um das Hier und Jetzt, die Berater sondieren den Markt.
Eintracht-Mannschaft ist weiterhin intakt
Glasner befindet sich deshalb in einer kniffligen Situation. Obwohl seine Ideen in Sachen Pressing phasenweise gut greifen, fehlt die Formvollendung und Konsequenz in beiden Sechzehnern. Was zwischen den Strafräumen ordentlich aussieht, macht sich die Eintracht durch individuelle Fehlleistungen selbst kaputt.
Der Frust in der Kabine ist angesichts von vier Punkten aus sechs Partien groß, doch das Verhältnis mannschaftsintern SPORT1-Informationen zufolge weiterhin intakt. Der Coach erreicht das Team noch.
Die vergebenen Möglichkeiten lassen sich jedoch nicht nur mit fehlendem Spielglück erklären. Der Kader ist nicht optimal zusammengestellt. Ein Stoßstürmer, der die Hereingaben von Kostic verwerten kann, steht auch nach dem Wintertransferfenster nicht auf dem Feld.
Neuzugang Ansgar Knauff kam für die rechte Seite, doch in Köln spielten taktisch bedingt erst Timothy Chandler und später Danny da Costa. Knauff kam bislang nur zweimal zu Kurzeinsätzen. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Kader nicht optimal zusammengestellt
Im defensiven Mittelfeld fehlt weiterhin die Qualität für einen sauberen Spielaufbau. Sow ist ein starker Verbindungsspieler, aber kein klassischer Sechser. Sebastian Rode kommt körperlich an seine Grenzen, ihn werfen häufig Verletzungen zurück. Kristijan Jakic ist eine Kämpfernatur, doch insgesamt nicht das benötigte Puzzleteilchen auf dieser Position.
Stattdessen gibt es im Kader fünf Akteure für die rechte Seite und viele ähnliche Spielertypen für die Rolle hinter der einzigen Spitze. Die offensichtlichen Baustellen wurden von Sportvorstand Markus Krösche in zwei Transferperioden noch nicht angegangen.
Statt Tempo und Tiefgang hätte dem Team neben einem Stoßstürmer auch Leader gut zu Gesicht gestanden. Ein Profi, der enge Partien mit seiner Mentalität in die richtige Richtung lenken kann. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Qualitätsspieler müssen jetzt wieder liefern
Umso wichtiger ist es für Glasner, die Qualitätsspieler abzuholen und wieder auf ihr Top-Level zu führen. Die Eintracht benötigt Hinteregger, Kamada, Kostic, N‘Dicka und Sow auf dem bestmöglichen Niveau.
Wenn sie nicht liefern, dann droht das graue Mittelmaß - und somit eine unbefriedigende Saison im Niemandsland der Tabelle. Die Europapokal-Plätze? Sie liegen inzwischen sechs Punkte entfernt.