Auf St. Pauli schwärmen sie noch heute von dem Tag, als sie den Weltpokalsieger stürzten. Man schrieb den 6. Februar 2002. Englische Woche, ein Mittwochabend unter Flutlichtatmosphäre.
Eine historische Bayern-Demütigung
Der FC Bayern kam damals als dreifacher Titelträger ans Millerntor: Meister, Champions-League-Sieger und seit November 2001 auch als Weltpokalsieger.
Der FC St. Pauli wiederum war der kleine Fahrstuhl-Klub, der er immer war, freute sich noch über seinen dritten Aufstieg und machte sich auf Platz 18 auch schon wieder auf den nächsten Abstieg gefasst.
Aber es galt noch mitzunehmen, was zu kriegen war: zum Beispiel den Skalp der Bayern, die als Tabellenvierter schon eine echte Krise hatten.
FC St. Pauli - FC Bayern: Ottmar Hitzfeld warnte im Vorfeld
An diesem Tag waren sie auch für den Letzten nicht stark genug. Vergeblich warnte Trainer Ottmar Hitzfeld noch: „Diese Partie ist schwieriger als die Begegnungen gegen Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund.“
Er sollte Recht bekommen. Vor der Pause wurden sie von Pauli regelrecht vorgeführt; Tore von Thomas Meggle (30.) und Nico Patschinski (33.) drückten die Überlegenheit nur unvollkommen aus, es hätte 6:0 stehen können.
In der Pause krachte es heftig in der Bayern-Kabine, Trainer Ottmar Hitzfeld brachte mit Mehmet Scholl und Paulo Sergio neue Kräfte. Aber mehr als ein Kopfball-Tor von Willy Sagnol (87.) sprang nicht mehr heraus.
Nach dem Spiel machte Manager Uli Hoeneß seinem Ärger Luft, hakte die Meisterschaft ab („Jetzt geht es um Platz drei“) und hielt seine berühmte „Scampi-Rede“, in der er seine verwöhnten Spieler kritisierte für ihre Einstellung zum Beruf.
Hoeneß und seine berühmte „Scampi-Rede“
Im O-Ton: „30 Minuten nach Spielschluss werden schon wieder Karten gespielt und Sprüche geklopft. Die Spieler essen Scampis und ich habe eine schlaflose Nacht.“ Die Wutrede schlug hohe Wellen, der Boulevard hatte seinen Spaß mit den „Scampi-Bayern“. Torwart Oliver Kahn gab dem Manager contra: „Scampi habe ich das letzte Mal vor eineinhalb Jahren gegessen – nicht bei Bayern. Und Uli isst sie auch gerne. Mit seiner sachlichen Kritik hatte er ja Recht.“
Drei Wochen später erklärte Hoeneß in der Welt: „Ich bin überrascht von der Qualität, die das angenommen hat. Es war nur ein Synonym. Ich hätte auch Seezunge oder Hummer sagen können. Ich wollte ausdrücken, dass die Spieler schnell zur Tagesordnung zurückkehren, während wir uns Sorgen machen.“
Dem FC St. Pauli ging es da viel besser, der Klub entwickelte Kreativität im Bemühen darum, den historischen Tag im Gedächtnis des Fußballs zu verewigen. Besoffen vom eigenen Erfolg druckten sie die berühmten „Weltpokalsieger-Besieger“-Shirts mit den Namen der Spieler auf der Rückseite, die auf dem Kiez der Renner wurden. Allein 2010 , als die Insolvenz drohte, wurden im Rahmen der Retterkampagne rund 100.000 Shirts verkauft.
„Weltpokalsieger-Besieger“-Shirts noch heute erhältlich
Die Idee mit dem Shirt kam übrigens zwei Fans bei der ausführlichen Spielanalyse in der Siegesnacht am Tresen der Kiezkneipe Jolly Roger, entscheidenden Einfluss soll ein spanischer Weinbrand namens „Carlos I“ genommen haben.
Der Verein nahm die Idee gerne auf, die Shirts sind heute noch im Fanshop erhältlich (24,95 Euro). Abgestiegen sind sie damals übrigens trotzdem, aber sie hatten wenigstens was erlebt. Und die Bayern? Beendete die Saison auf einem dritten Platz. Mit einem Sieg bei St. Pauli hätte es für den Titel gereicht.