Es ist leicht, mir viel zu leicht, wieder mit Häme auf eine Entscheidung von Hertha BSC zu reagieren. In den sozialen Media war der Trainerwechsel von Pál Dárdai auf Tayfun Korkut am Montag gleich das Lieblingsthema der Fußball-Lustigen, in Form von jeder Menge Hohn und Spott für die Verantwortlichen. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Daran muss sich Bobic jetzt messen lassen
Was schnell vergessen wird: Es ist die erste große Personal-Entscheidung der neuen Führungsriege um Vorstand Fredi Bobic und seinem Sportchef Dirk Dufner, die im Sommer übernommen haben und seitdem - und das im Gegensatz zur Marschroute davor - vor allem auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis setzen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Die zwei Top-Transfers Suat Serdar (für acht Millionen Euro von Schalke geholt) und Marco Richter (für sieben Millionen Euro aus Augsburg), machten bisher jedes Spiel und lieferten schon Vorlagen und Tore, insgesamt fünf. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Gar keine Frage: Hertha BSC ist sportlich komplett im Sinkflug. Der Plan, zumindest mittelfristig zum absoluten nationalen Topklub aufzusteigen, kann schon als gescheitert bewertet werden. Viele Hauruck-Entscheidungen waren in erster Linie teuer - aber null hilfreich.
Doch mit dem Chaos rund um Jürgen Klinsmann, den vielen verprassten Millionen der letzten Monate von Manager Michael Preetz und diverser schwieriger Personalien - man erinnere nur das Intermezzo von Jens Lehmann im Aufsichtsrat inklusive schnellem Ende nach einer rassistischen WhatsApp-Nachricht - mit alledem hatte Fredi Bobic nichts zu tun.
Bobic muss sich an Korkut messen lassen
Bobic und sein wichtigster Mitarbeiter im sportlichen Bereich, Dirk Dufner, müssen sich jetzt an der Personalie Korkut messen lassen. Die Trennung von Dárdai war, anders als vielerorts vermutet, keine Kurzschlussreaktion, genauso wie die Idee mit Korkut.
Bobic und Dufner kennen Korkut seit vielen Jahren, schätzen den gebürtigen Stuttgarter als ausgezeichneten Fußball-Fachmann, der ihnen vielleicht so ein bisschen wie der Gegenentwurf zu Dárdai nun als ideale Lösung erscheint, den Hertha-Kader nach wüsten Monaten wieder zu sortieren und ihm eine Struktur zu verleihen.
Unter Dárdai, der, wie es auf der Hertha-Geschäftsstelle erzählt wird, in den letzten Wochen kaum noch Kontakt zu seinen Chefs pflegte, sondern sich (und seine Entscheidungen) mehr und mehr abschottete, der Umgang muss sehr schwierig geworden sein, hatten sich mehrere Gruppen gebildet.
Die Mannschaft spürte das angespannte Verhältnis zwischen ihrem Trainer und den Vereinsoberen, es wurde zum Dauerthema, nie in der Kabine, aber bei privaten Treffen oder den Gesprächen mit ihren Beratern. Daher war der Eingriff überfällig.
Es ging um mehr als den Klassenerhalt, den die Hertha am Ende sehr wahrscheinlich auch mit Dárdai geschafft hätte. Dafür waren sie gegen zu viele Mittelklasse-Teams auf Augenhöhe und konnten eben durch individuelle Qualitäten solche Duelle für sich entscheiden. Doch zeitgleich geriet zu vieles aus den Fugen.
Was sich die Hertha von Korkut erhofft
Der Fokus auf das Wesentliche, den Sport, das nächste Spiel, die Ideen, wie der kommende Gegner zu packen sein wird - da soll und wird Korkut ansetzen. Dafür haben sie ihn geholt. Vielleicht auch als Aufräumarbeiter, der die Hertha möglichst geräuschlos durch eine jetzt schon verlorene Saison führt, ohne noch mehr einzureißen.
Korkut, der unter Bobic vor zehn Jahren beim VfB Stuttgart die U19 trainierte und unter Dufner 2013 als Cheftrainer zu Hannover 96 wechselte, damals in der Bundesliga, soll bei Hertha jetzt die Basis schaffen, auf der sie die nächsten Jahre aufbauen können. Sie sehen sich nicht so schlecht aufgestellt - was nur gelingen muss, ist, aus den vielen guten und teuren Spielern eine Mannschaft zu bilden. Nicht einfach, weil wild zusammengestellt. Aber mit einem klaren Plan und, das scheint das Wichtigste, gemeinsamen Ambitionen, auf keinen Fall unmöglich.
Für die Hertha-Zukunft ist Korkut, der strukturierte Fußball-Lehrer, der jetzt von außen kommt, die bessere Lösung als das Festhalten am Dárdai-Weg. Und zwar auch dann, wenn es in der Tabelle nicht direkt mit großen Schritten nach oben geht.
Tobias Holtkamp, der Autor dieses Textes, war in der Chefredaktion von Sport Bild und Chefredakteur von transfermarkt.de. Heute berät er Sportler und Marken in ihrer inhaltlichen und strategischen Ausrichtung. Für SPORT1 schreibt Holtkamp als Kolumnist die wöchentliche „Bundesliga-Kolumne“.