Bei Michael Rummenigge schlagen am Dienstagabend zwei Herzen in seiner Brust, wenn Borussia Dortmund im Supercup den FC Bayern empfängt. (Supercup: Borussia Dortmund - FC Bayern, Di. 20.30 Uhr im LIVETICKER)
Das rät Rummenigge Haaland
Der frühere Stürmer hat jedoch mehr Sympathien für die Schwarz-Gelben. Zudem wohnt er in Dortmund. Rummenigge spielte zu Beginn seiner Profikarriere von 1981 bis 1988 bei Bayern und danach fünf Jahre beim BVB.
Im SPORT1-Interview spricht der 57-Jährige über das Duell seiner Ex-Klubs, den neuen Bayern-Trainer Julian Nagelsmann, BVB-Coach Marco Rose - und Tormaschine Erling Haaland.
“Dann wird es für Nagelsmann gefährlich”
SPORT1: Herr Rummenigge, Borussia Dortmund gewinnt klar, der FC Bayern holt ein Dusel-Remis in Gladbach. Was sagen Sie zum Bundesliga-Start der beiden Kontrahenten?
Michael Rummenigge: Die Bayern hatten Glück, dass es ein Remis wurde. Und der BVB zeigte sich sehr souverän und in toller Form. Die Münchner haben eine holprige Vorbereitung hinter sich. Die EM-Spieler kamen erst spät dazu, es gibt einen neuen Trainer, einen neuen Vorstand. Es ist fast alles neu, es gibt mit Upamecano eigentlich nur einen Neuzugang. Die Bayern hatten anfangs leichte Probleme. Upamecano machte für mich nicht den sichersten Eindruck und er war später auch bei beiden strittigen Elfmeter-Szenen dabei. Den zweiten Strafstoß hätte man geben können. Alles nicht so schön für Julian Nagelsmann und sein neues Team. Das Remis war aber gerecht, weil die Bayern viele Torchancen hatten und die Gladbacher mit Yann Sommer einen ganz starken Torwart. Bayerns erste Elf ist okay, aber dann wird es für Nagelsmann gefährlich. Es könnte sehr eng werden. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
SPORT1: Was meinen Sie mit gefährlich?
Rummenigge: Nagelsmann sagte, dass ihm 14, 15 Spieler reichen, aber für eine lange Saison mit Meisterschaft, Pokal und Champions League ist das nur eine Pro-forma-Aussage. Du brauchst einen großen Kader und wenn es geht, überall doppelt und gleich gut besetzt. Das geht natürlich bei Manuel Neuer, Thomas Müller und Robert Lewandowski nicht, auch bei Leon Goretzka und Joshua Kimmich nicht, aber alle anderen Positionen sollten doppelt stark besetzt sein. Und das ist nicht der Fall. Das könnte für die Bayern im Endeffekt eng werden. Ich habe da so meine Bedenken und glaube nicht, dass es in dieser Saison so einfach wird, Deutscher Meister zu werden, wie in den Vorjahren. Der Kader ist nicht nur dünn besetzt, es sind auch einige Spieler dabei, die über 30 sind.
Haaland? “Können uns alle glücklich schätzen”
SPORT1: Wie haben Sie den BVB am ersten Spieltag gesehen?
Rummenigge: Stark. Die ersten 20 Minuten waren etwas holprig, aber dann hat der BVB aufgedreht und immer mehr ins Spiel gefunden. Am Anfang des Spiels habe ich mir schon Gedanken gemacht über Erling Haaland und plötzlich kommt er wie Phönix aus der Asche. Wahnsinn! Der Junge ist der legitime Nachfolger von Lewandowski. Mal schauen, ob Haaland in der nächsten Spielzeit überhaupt noch in der Bundesliga spielt. Wir können uns alle glücklich schätzen, so einen Spieler in Deutschland zu haben. Das 5:1 war ein Super-Spiel, alles gut, aber ich mache mir Sorgen um Eintracht Frankfurt. Ich weiß nicht, ob sie in dieser Spielzeit bundesligatauglich sind. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
SPORT1: Warum ist der BVB in so einer erstaunlichen Frühform?
Rummenigge: Sie haben mit Jadon Sancho nur einen Spieler verloren. Okay, er war ein Schlüsselspieler, der oft den Unterschied ausgemacht hat. Natürlich fehlt Sancho. Giovanni Reyna kann in seine Fußstapfen treten. Und für Marco Reus war es eine Riesen-Erleichterung, dass er mal fünf Wochen Urlaub hatte, in denen er sich vollkommen regenerieren konnte. Man hat gegen Frankfurt wieder gesehen, welche Spielfreude Reus ausstrahlt. Er ist eine Führungspersönlichkeit. Und hinzu kommt, dass die Dortmunder auch noch ohne Mats Hummels gespielt haben. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
SPORT1: Der BVB blüht unter Marco Rose also neu auf?
Rummenigge: Schon. Der BVB wirkt gefestigt. Axel Witsel hat sehr gut gespielt, Manuel Akanji hat sich in der Rückrunde der alten Saison unter Edin Terzic toll entwickelt, ist eine feste Größe geworden und hat auch eine gute EM gespielt. Er ist auf dem besten Weg, ein erstklassiger Innenverteidiger zu werden, hatte ähnlich wie Upamecano auch einige Klopse drin, aber das hat er behoben.
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SPORT1: Muss man sich bei Bayern Sorgen machen wegen des relativ kleinen Kaders?
Rummenigge: Momentan wirkt es so. Ich gehe davon aus, dass mit Kimmich und Goretzka verlängert wird. Auch die Schlüsselspieler haben schon neue Verträge unterschrieben. Aber der Kader ist in der Breite zu dünn und bei den vielen Spielen, die der FC Bayern hat, könnte das ein echtes Problem werden. Wenn man sie schlagen kann, dann in den ersten fünf bis zehn Spielen. Es muss personell noch mal nachgebessert werden. Aber das wird nicht so einfach, denn man braucht einen Spieler, der sofort funktioniert. Aus meiner Sicht muss noch ein Innenverteidiger her. Hernandez und Pavard sind sehr verletzungsanfällig und für Upamecano ist es nicht so leicht als Neuzugang. Aber beim BVB ist es nicht viel anders. Schultz auf links ist nicht die ganz große Erfüllung, Guerreiro ist leider verletzt und Passlack ist nicht mehr als ein Ergänzungsspieler. Das reicht gegen Eintracht Frankfurt, aber nicht gegen die Bayern, Leipzig oder Wolfsburg.
“Bei den Elfmeter-Szenen hechelte Upamecano nur hinterher”
SPORT1: Wird Dayot Upamecano nicht überschätzt? Schon in Leipzig hatte er den einen oder anderen Bock und auch gegen Gladbach war er nicht ganz sicher. Thomas Müller raunzte ihn einmal auf dem Platz an.
Rummenigge: Upamecano ist erst 22, hat schon einige Jahre Bundesliga und rund 42 Millionen Euro Ablöse auf dem Buckel. Und der Nachfolger von Boateng zu sein ist auch nicht ganz so einfach. Er braucht noch einige Spiele, um sich da einzufinden. Er hat immer mal wieder in seinen Aktionen so einen Hänger drin. Bei den beiden strittigen Elfmeter-Szenen hechelte Upamecano nur hinterher und brachte dann seinen Gegenspieler zu Fall. Das war alles andere als souverän. Und irgendwann wird so etwas gepfiffen. Upamecano ist ein guter Spieler, aber der FC Bayern ist eine andere Hausnummer, da muss man von der ersten Minute an funktionieren.
“Haaland ist der kommende Superstar”
SPORT1: “Haaland zerstörte die Eintracht: Der BVB-Stürmer beginnt die Saison mit einem Donnerschlag”, schrieb Mundo Deportivo aus Barcelona. Was sagen Sie zu solch großen Worten?
Rummenigge: Den Begriff Donnerschlag halte ich für übertrieben. Das war aber ein Ausrufezeichen. Dortmund ist da, Haaland sowieso. Schon gegen Wiesbaden im Pokal hat er sich eingeschossen. Ich höre auch immer, mit welcher Akribie er die Dinger im Training reinhaut. Der Junge ist unglaublich. Haaland ist der kommende Superstar. Er befindet sich momentan schon zwischen internationaler Klasse und Weltklasse. Gegen Frankfurt hat er das wieder eindrucksvoll bewiesen, da war er gar nicht zu stoppen. Ilsanker und Hinteregger konnten Haaland nicht stoppen. Boateng hätte ihn noch stoppen können. Mal schauen, ob Upamecano das am Dienstag gelingt.
SPORT1: Was ist das Besondere am Phänomen Haaland und bringt er das Sieger-Gen mit, nach dem man beim BVB viele Jahre gesucht hat?
Rummenigge: Haaland ist eine Ausnahme-Erscheinung. So einen Spieler gibt es alle 30, 40 Jahre mal. Ich weiß nicht, wie seine Karriere-Planung ist, aber für die Dortmunder ist es super, dass er in dieser Saison noch das schwarz-gelbe Trikot trägt. Er ist eine absolute Tormaschine, seine Gegenspieler fliegen rechts und links nur so weg, wenn er losrennt. So etwas habe ich in dem Alter noch nie gesehen. Das einzige Manko ist bei seiner Größe sein Kopfballspiel. Da macht er zu wenig Tore. Ansonsten ist Haaland ein perfekter Spieler. Und sein Vorteil gegenüber Lewandowski ist, dass er noch Tore auflegt, wie man gegen Frankfurt gesehen hat.
SPORT1: Und Haaland ist besser als Lewandowski mit 21.
Rummenigge: Das stimmt. Unfassbar. Hoffentlich verletzt er sich nicht und fällt länger aus. Das wäre eine Katastrophe. Das wünsche ich ihm nicht. Was ihn auch noch auszeichnet: sein unglaublicher Wille und sein Biss. Mein Sohn hat mir gesagt, dass Haalands Cousin in Norwegen mit 16, 17 ebenfalls die Dinger am Fließband reinhaut. (SERVICE: Bundesliga-Spielplan zum Ausdrucken)
Haaland kann den BVB zum Meistertitel schießen
SPORT1: Kann Haaland den BVB zum Meistertitel schießen? Oder muss man sagen - wird?
Rummenigge: Er kann den BVB zum Meistertitel schießen, wenn er gesund bleibt. Gegen die Eintracht standen natürlich vier Offensivspieler auf dem Platz. Ich würde das 5:1 nicht zu hoch hängen, weil die Eintracht wirklich schwach war. Ein 3:1 wäre auch okay gewesen. Die Euphorie ist jetzt schon riesig.
SPORT1: Wie viel Rose steckt schon im neuen BVB?
Rummenigge: Nach zwei Spielen ist das schwer zu beurteilen. Bis auf Sancho ist es die gleiche Mannschaft von Terzic in der Rückrunde der alten Spielzeit. Was ich an Rose mag, ist, dass er offensiv spielen lässt. Mir gefällt seine Philosophie. Bei ihm geht es nach vorne. Genau das wollen die Leute in Dortmund sehen. Ich finde Rose auch sehr sympathisch. In Gladbach lief es zum Schluss nicht mehr so glücklich, aber das war irgendwie abzusehen nach der frühen Bekanntgabe seines Wechsels. Er ist ein super Trainer, an dem der BVB noch viel Freude haben wird. Für ihn war es ganz wichtig, die ersten beiden Spiele zu gewinnen nach dem Erfolg von Terzic.
“Damit muss Nagelsmann klar kommen”
SPORT1: Welche Gefahren lauern auf Julian Nagelsmann?
Rummenigge: Jeder Trainer hat so eine 100-Tage-Bilanz. Und in dieser Zeit muss Nagelsmann sich beweisen und seinen Weg finden und den Spielern Lösungen aufzeigen, wie Spiele gewonnen werden können. Beim FC Bayern musst du gewinnen. Egal wie. Damit muss Nagelsmann klar kommen. Das war in Leipzig und davor in Hoffenheim anders.
SPORT1: Die Kernfrage lautet: Kann der BVB in dieser Saison die Bayern überholen?
Rummenigge: Lothar (Matthäus, d. Red.) sagte, dass RB Leipzig Bayern-Verfolger Nummer 1 ist. Ich sehe es anders. Für mich bleibt der BVB die zweite Kraft in der Bundesliga. Aber sie können näher ranrücken als die Jahre zuvor, weil sie in sich gefestigt sind, nicht so viel Qualität verloren haben wie die Bayern. Und Haaland ist schon ein Jahr weiter. Von daher können die Dortmunder schon auch an den Bayern vorbeiziehen.
SPORT1: Der bislang eher unbekannte Josip Stanisic darf sich gegen Borussia Mönchengladbach in der Startelf empfehlen und nutzt seine Chance. Julian Nagelsmann hält viel von ihm. Macht er aus der Not eine Tugend?
Rummenigge: Na klar. Die Situation verlangte es. Nagelsmann hat den Jungen aus der 2. Mannschaft geholt und so etwas gibt es immer wieder, dass junge Spieler dann nach oben kommen und überraschen. Musiala war auch so ein Fall.
“Liverpool könnte ich mir gut vorstellen für Haaland”
SPORT1: Stimmen Sie der Prognose zu, dass Haaland zusammen mit Mbappé den Weltfußball in den kommenden Jahren dominieren wird.
Rummenigge: Ja. Das könnte hinkommen. Man muss abwarten, wo er nach dieser Saison hin geht. Real und Barca haben finanzielle Probleme und deshalb könnte ich mir vorstellen, dass er nach England wechselt. Sein Vater spielte früher auch dort. Liverpool könnte ich mir gut vorstellen für Haaland. England wäre eher etwas für ihn wie Italien oder Spanien.
SPORT1: Jan-Aage Fjörtoft berichtete im STAHLWERK Doppelpass davon, dass Haaland ihn schon mal nachts um 2.30 Uhr nach Rat gefragt hat, was er besser machen muss.
Rummenigge: Echt? Das zeigt wie professionell dieser Junge ist. Aber er darf nicht zu verbissen sein. Der Körper muss auch abschalten und der Kopf muss frei sein. Nach einer Gala wie gegen Frankfurt dürfte der Kopf eigentlich frei sein (lacht). Haaland hat doch solch ein Selbstvertrauen, er könnte aus dem Stand auf den Eiffelturm springen.
SPORT1: Wie sehen Sie die Entwicklung von Marco Reus in den vergangenen Monaten? Muss ihn Hansi Flick nicht anflehen, dass er zurückkehrt in die Nationalmannschaft?
Rummenigge: Warum nicht? Was vor der EM mit Löw war, ist vergessen. Dass er nicht beim Turnier war, tat ihm gut. Hansi Flick hat schon gesagt, dass Reus im letzten Drittel einer der besten Spieler ist. Er ist 31 und will noch den einen oder anderen Titel gewinnen. Bis jetzt ist er nur Pokalsieger geworden. Er ist ein unglaublich wichtiger Spieler für den BVB. Unter Terzic war er schon enorm stark, jetzt ist er auch aus dem Stand da. In Deutschland sollten immer die besten Spieler das DFB-Trikot tragen.
“Wenn die Bayern verlieren, brennt schon der Baum”
SPORT1: Wie ist Ihre Prognose für den Supercup?
Rummenigge: Der BVB hat mehr Vorteile, nicht nur, weil das Spiel in Dortmund ist. Bayern ist noch nicht gefestigt. Es ist ein Prestige-Duell und es könnte ein Fingerzeig für die Bundesliga und die Champions League sein. Und Rose will bestimmt seinen ersten Titel gewinnen. Wenn die Bayern verlieren, brennt schon der Baum.
SPORT1: Letzte Frage: Wie geht es Ihrem Bruder? Vermisst er den FC Bayern?
Rummenigge: Ein bisschen schon. Wir haben uns zuletzt auf Sylt getroffen und Kalle ist viel lockerer geworden. Wir lachen viel über irgendwelchen Blödsinn wie früher. Man wird ihn nicht mehr so in der Öffentlichkeit sehen. Er will jetzt das Leben mit der Familie genießen. Er hat jetzt mehr Zeit für seine Frau und die Kinder. Mein Bruder verfolgt natürlich alles nach wie vor. Vor dem Gladbach-Spiel der Bayern sagte ich zu ihm ‘Das wird eng’ und er meinte nur ‘nein, das schaffen wir’. Er ist weiter mit dem Herzen dabei, musste aber runterkommen von 100 auf null und das tut ihm gut - körperlich und seelisch.