Es war Anfang Mai 2019, als die Helden von 1969 mal wieder zusammengekommen waren beim FC Bayern. Und auch wenn Gerd Müller fehlte, war es doch ein Jubiläum vor allem zu seinen Ehren.
Gerd Müller machte Bayern groß
Der erste Doublegewinn wurde begangen, mit Franz Beckenbauer, Kapitän Werner Olk und vielen anderen, die vor 50 Jahren erstmals in einer Saison den deutschen Meistertitel und Pokalsieg errungen hatten. Und wie immer, wenn beim FC Bayern an die frühen Erfolge und die Basis für den Aufstieg des Vereins zur Weltmarke erinnert wird, war Müller einmal mehr Gesprächsthema.
Diesmal allerdings weniger, weil er 1969 mit 30 Treffern als Torschützenkönig sowie mit seinen beiden Toren zum 2:1-Sieg im Pokalfinale gegen den FC Schalke den größten Beitrag zur historischen Double-Premiere geleistet hatte. Sondern wegen der Sorgen um seinen Gesundheitszustand.
“Ich will nicht lügen: Es wird bei ihm immer weniger”, hatte Olk gesagt, was danach auch Müllers Frau Uschi einräumte. Schlecht ging es Müller wegen seiner Alzheimer-Erkrankung vor seinem Tod an diesem Sonntag schon lange, zumindest aus Sicht seiner Angehörigen und Weggefährten. Wie Müller das empfunden hat, weiß niemand.
Vielleicht war es das einzig Gute an seiner Demenz – wenn man das überhaupt so sehen kann –, dass Müller durch sie irgendwann wohl nicht mehr in der Lage war, diese wahrzunehmen oder zumindest zu erahnen. (REAKTIONEN: Die Fußball-Welt trauert um Müller)
Gerd Müller: Demenz-Erkrankung seit Jahren
Im Juli 2011, als Müller als Assistenzcoach im Trainingslager der zweiten Mannschaft in Südtirol umherirrte und nach 13 Stunden von der Polizei aufgegriffen wurde, war das für ihn vermutlich noch anders. Der FC Bayern schützte Müller damals zwar, beließ ihn noch bis Herbst 2014 im Trainerstab, um ihm Halt zu geben, und bat die vereinsnahen und eingeweihten Medienvertreter um Diskretion.
Alle hielten sich daran, doch das Publikum ahnte schon 2011, was der Verein erst im Oktober 2015 offiziell bestätigte, kurz vor Müllers 70. Geburtstag. Dieser war der Anlass, die Erkrankung öffentlich zu machen. Bereits seit Februar 2015 lebte Müller in einem Pflegeheim.
Als der Verein damit an die Öffentlichkeit ging, hob Karl-Heinz Rummenigge hervor, was auch durch Müllers Erkrankung niemals verblassen wird. “Ohne seine Tore wären der FC Bayern und der deutsche Fußball nicht das, was sie heute sind. Gerd Müller ist einer der ganz Großen des Weltfußballs”, sagte der Vorstandschef.
Ähnlich beschrieb es Beckenbauer bereits zu Müllers 50. Geburtstag 1995. Ohne ihn “würden wir uns heute noch in der alten Holzhütte aus den 60er Jahren am Trainingsplatz an der Säbener Straße umziehen. Ohne seine Tore stünde der FC Bayern heute nicht da, wo er ist”, sagte Beckenbauer über seinen langjährigen Mitspieler.
Wohl ewig unerreichbare 365 Tore in 427 Bundesligaspielen waren es, zudem 68 in 62 Länderspielen. Europameister 1972 wurde Müller und Weltmeister 1974, oder jeweils eher: wurde Deutschland dank Müller. “Gerd Müller ist der wichtigste und größte Fußballer, den Deutschland nach 1954 gehabt hat.
Gerd Müller ist der FC Bayern, Gerd Müller ist die deutsche Nationalmannschaft”, sagte Paul Breitner einmal, “der FC Bayern und die Nationalelf sind das, was sie geworden sind, durch Gerd Müller. Weil er derjenige war, der die Pokale und die Titel gebracht hat – kein anderer.” Aus “kleines, dickes Müller”, wie ihn sein erster Bayern-Trainer Zlatko “Tschik” Čajkovski wegen der untersetzten Figur zunächst eher abschätzig bezeichnete, wurde “der Bomber der Nation”.
Bomber der Nation mit zig Tore-Bestmarken
Hinzu kamen für Müller je vier deutsche Meisterschaften und Pokaltitel, dreimal der Gewinn des Europapokals der Landesmeister und einmal der Pokalsieger.
Torschützenkönig der Bundesliga wurde Müller sieben Mal, 1971/72 gar mit 40 Toren - eine für die Ewigkeit wirkende Bestmarke, die in erst der vergangenen Saison durch FCB-Goalgetter Robert Lewandowski um einen Treffer noch überboten wurde. Viele davon erzielte Müller mit seinem unvergleichlichen Stil und vor allem Instinkt, er ließ es “müllern”.
Gesanglich war er nicht ganz so begabt, mit “Dann macht es bumm” sorgte Müller aber zumindest auch für Aufsehen. Ebenso wie mit seiner Kündigung beim FC Bayern 1979, nachdem er mit 33 Jahren erstmals aus Leistungsgründen vom damaligen Trainer Pál Csernai ausgewechselt worden war. In den USA bei den Fort Lauderdale Strikers ließ er seine Profi-Karriere bis 1981 ausklingen und eröffnete dort das “Ambry”-Restaurant, das bis heute existiert.
Schon damals trank er zunehmend Alkohol. Nach seiner Rückkehr nach München 1984 fehlte Müller immer mehr ein Lebensinhalt. Alte Mitspieler vom FC Bayern, besonders der damalige Manager Uli Hoeneß, nahmen sich seiner 1991 an, als Müllers Alkoholsucht lebensbedrohliche Ausmaße erreicht hatte.
Es folgten eine erfolgreiche Entziehungskur und der Trainerjob im Nachwuchsbereich der Münchner, der ihm neuen Halt gab. “Dass ich die Sucht bezwungen habe, war mein größter Sieg, wichtiger noch als der WM-Titel”, sagte Müller einmal. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Begonnen hatte für ihn alles als fünftes und jüngstes Kind in einfachen Verhältnissen im schwäbischen Nördlingen, wo er mit zwölf Jahren dem örtlichen TSV 1861 beitrat. Der Bundesligist TSV 1860 München wurde später auf ihn aufmerksam, kam der Legende nach aber eine Stunde zu spät, nachdem Müller gerade dem damals zweitklassigen FC Bayern zugesagt hatte.
Auch der FC Barcelona lockte Müller
Auch der FC Augsburg hatte zuvor loses Interesse bekundet. Der 1. FC Nürnberg, Müllers damaliger Lieblingsverein, lehnte ihn ab, weil bereits zwei Müllers im Kader standen.
Müller unterschrieb für 4400 D-Mark Ablöse, 5000 D-Mark Handgeld und die Vermittlung einer Halbtagsstelle als Möbelpacker einen Vierjahresvertrag beim FC Bayern, der wiederum durch einen Friseur überhaupt erst von dem nur 1,76 Meter großen Stürmer mit den dicken Oberschenkeln erfahren haben soll. 160 D-Mark Gehalt monatlich erhielt er anfangs vom FC Bayern, weitere 400 D-Mark kamen für den gelernten Weber durch den Nebenjob hinzu.
Es waren diese aus heutiger Sicht kuriosen Rahmenbedingungen in jungen Jahren, die Müller tief verinnerlicht hatte. “Er war ein Torjäger, wie es ihn vermutlich nicht mehr geben wird, und bei allen Erfolgen ist er stets bescheiden und zurückhaltend geblieben, was mich besonders beeindruckt hat”, sagte Rummenigge einmal.
Wie sich beispielsweise Anfang der 70er-Jahre zeigte, als ihm der FC Barcelona Millionen offerierte, Müller aber mit den Worten ablehnte: “Mog i ned. I kann doch ned mehr als ein Schnitzel essen.”
Nun ist Gerd Müller im Alter von 75 Jahren von der großen Fußball-Bühne für immer abgetreten.