Sie haben es geschafft.
Bochums Aufstieg - ein Glücksfall
Nach elf langen Jahren kehrt der VfL Bochum in die Bundesliga zurück. Würde das Teilnehmerfeld anhand der Ewigen Tabelle zusammengestellt werden, wäre der VfL trotz dieser langen Abstinenz sowieso dabei, da steht er auf Platz 13. Typisch für die einst graueste Maus der Liga, die sich dort 34 Jahre aufhielt und nie etwas anderes wollte, als drinzubleiben.
Lange gelang das, vom Aufstieg 1971 bis 1993 hielt sich der Ruhrpottklub im Oberhaus. Danach fuhr er noch eine Weile Fahrstuhl mit Ausreißern nach ganz oben - zweimal kam Bochum tatsächlich nach Europa in den UEFA-Cup und die Fans sangen "Wir steigen auf, wir steigen ab und zwischendurch UEFA-Cup!" Für die Jüngeren ist das alles neu beziehungsweise unvorstellbar. Ein guter Grund zu beleuchten, was die Bundesliga diesem Verein zu verdanken und was sie ihm gebracht hat.
Bochum-Lied eine der schönsten Hymnen
Das Wort "Unabsteigbar": Eine Fankneipe in Hamburg heißt so, auf HSV-Shirts und Hoodies ist das Wort aufgedruckt und in den Duden hat es auch Eingang gefunden. Der wohl von den Boulevardmedien vor 30 Jahren erfundene Begriff hat bei Sprachwissenschaftlern zwar zu Schnappatmungen geführt, ist aber längst etabliert und wird trotz der Kaperung durch HSV-Fans, als ihr Klub noch ein "Dino" war, unzweifelhaft mit dem VfL Bochum in Verbindung gebracht.
Einfach, weil er 22 Jahre lang nie abstieg, obwohl ihm das vor jeder Saison mangels knapper Kasse und Stars stets aufs Neue prophezeit wurde. 1993 geschah es zwar doch und danach noch fünfmal, aber die Marke blieb präsent. Traditionsklubs brauchen ihre Mythen zum Nachschlagen und Immer-wieder-vorlesen. Erst recht, wenn es sonst keine Titel gibt.
Das Bochum-Lied: So subjektiv darf man sein: Es gibt kaum ein schöneres Vereinslied als das von Herbert Grönemeyer, das zwar der ganzen Stadt gewidmet ist, aber vor jedem Heimspiel gespielt wird und auch die Gästefans zum Mitsingen reizt, wenn sie es auch nie zugeben würden. Die "Blume im Revier", die da "tief im Westen" blüht und einen Klub, der "mit einem Doppelpass jeden Gegner nass" macht, kennt jeder. Schön, dass wir es wieder in der Bundesliga hören können.
Die Bundesliga erhält das kleine Revierderby zurück
Das kleine Revierderby: Erstmals seit 30 Jahren fällt das große Revierderby zwischen Dortmund und Schalke weg, S04 hat nächste Saison bekanntlich andere Reiseziele. Die Lücke schließt der VfL zwar nicht so ganz, aber zumindest im Revier hat auch BVB-VfL Gänsehautpotenzial. 62 Mal wurde es in der Bundesliga ausgetragen, an leere Ränge kann sich niemand erinnern.
Umso gegenwärtiger ist der 6:1-Sieg im Ruhrstadion im September 1985 - drei Tore von Stefan Kuntz, einer von drei Torschützenkönigen, die der VfL hervorbrachte (zudem Thomas Christiansen und Theofanis Gekas). 1985/86 war übrigens eine von vier Spielzeiten, die der VfL als die Nummer eins im Revier beendete. Nach elf Jahren Pause ist das nun endlich wieder möglich, also theoretisch.
Die Bochumer Jungen: In der Aufstiegssaison 1971/72 entstand der älteste Fanklub in Deutschland, nach dem die Fankneipe in Stadionnähe heißt. Wer sie betritt, saugt unwillkürlich auf, was der Verein für die Menschen dort bedeutet. Da reicht ein Blick an die mit Fanschals und Spielerfotos dekorierten Wände. Auch in Bochum heißt es "Blau und Weiß, wie lieb' ich Dich".
Der Neururer-Shuffle: Im Mai 2004 setzte Peter Neururer neue Maßstäbe in Sachen Trainerekstasen. Brüllen und schlau daher reden und vor Weißbierduschen fliehen kann jeder, "Peterchen" tanzte. Der auch aus seiner Sicht etwas ungelenke Breakdance-Verschnitt nach dem zweiten UEFA-Cup-Einzug der Vereinsgeschichte wurde bis heute in seiner Spontanität und Originalität von keinem Kollegen übertroffen, nicht mal von Feierbiest Louis van Gaal, obwohl der 2010 auf dem Münchner Marienplatz wirklich alles gab. Und so kultig wie Neururer, der 2013 noch einen Rettereinsatz in Liga 2 beim VfL hatte, in Bochum ist, können wir eine Wiederholung nicht vollends ausschließen.
Der VfL Bochum und das verrückteste Spiel aller Zeiten
Das verrückteste Spiel aller Zeiten: Der VfL hält einige Bundesligarekorde, auch einen auf den ersten Blick wenig schmeichelhaften. Aber wer es gesehen hat, erzählt noch auf dem Totenbett davon. Nur 17.000 sahen es allerdings, weil das Ruhrstadion im Herbst 1976 umgebaut wurde. Am 18. September kreuzten damals die schwankenden Riesen aus München auf. Maier, Beckenbauer, Müller hatten alles gewonnen, was es zu gewinnen gab, und waren nur noch schwer zu motivieren nach dem Europacup-Hattrick im Mai 1976. So kam es, dass sie in Bochum zur Pause 0:3 zurücklagen.
Ihr Trainer Dettmar Cramer versuchte es mit einem Psychotrick und ordnete an: "Reden wir uns ein, dass es 0:0 steht." Klappte auch nicht sofort, nach 53 Minuten erhöhte ein gewisser Hans-Joachim Pochstein auf 4:0 und auf den Rängen war Freibierstimmung. Dann geschah das Unfassbare, weil Erst- und immer noch Einmalige: Bochum verlor trotz eines Vier-Tore-Vorsprungs.
Die Weltstars aus dem Süden zogen die Zügel an und führten 22 Minuten später mit 5:4, auch Karl-Heinz Rummenigge war unter den Torschützen. Jupp Kaczor glich noch einmal aus (80.), doch Uli Hoeneß musste schon als 24-Jähriger das letzte Wort haben - 5:6 (89.). "So ein Spiel kannst Du eigentlich nicht mehr vergeigen, auch gegen die Bayern nicht", seufzte Kaczor. Das konnte wirklich nur der VfL. Übrigens gibt es von diesem Spiel nur wackelige Amateuraufnahmen, Sportschau und Sportstudio hatten es buchstäblich nicht auf dem Schirm. Das kann in der neuen Saison schon mal nicht mehr passieren.
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Diese Rekorde bringt Bochum mit
Der Weiße-Westen-Rekord: Manuel Neuer hätten wir ihn zugetraut, Oliver Kahn selbstredend, auch Frank Rost oder Oliver Reck. Aber der Torwart, der am längsten in Heimspielen unbezwungen blieb, ist immer noch ein Bochumer. Ja, wirklich. Der Niederländer Rein van Duijnhoven hielt seinen Kasten vom 20. September 2003 bis 27. März 2004 über 15 Stunden (911 Minuten) sauber, solange selbiger im Ruhrstadion stand.
Der Elfmeterrekord: Es gab in Bochum mal eine Zeit, da war Elfmeter gleich Tor. Der VfL trotzte der Statistikregel, dass von vier einer vergeben wird, denn er hatte Hans-Joachim Abel. 15 Mal lief er zwischen 1977 und 1982 zur Exekution an, 15 Mal war der Ball drin. Seinen 16. und letzten verwandelte er zwar für Schalke, aber dadurch lassen sich die Bochumer ihren Rekord nicht kleinreden. Bis heute hat keiner, der nie einen Elfmeter verschoss, so oft verwandelt. Zuletzt scheiterte Union Berlins Max Kruse daran, Mister Hundertprozent zu werden. Am nächsten und doch weit weg sind nun Vincenzo Grifo (Freiburg) und Daniel Brosinski (Mainz/je acht), die erst zusammengenommen einen Abel machen. SPORT1-Prognose: Dieser Rekord fällt noch lange nicht.
Der Ata-Rekord: Wer an die gute alte Bochumer Zeit denkt, nennt als erstes seinen Namen: Ata Lameck, der offiziell Michael heißt. So lange er spielte, war der VfL unabsteigbar. Und er spielte sehr lange - von 1972 bis 1988 lief er in 518 Bundesligaspielen auf. Das macht ihn nicht nur zum Rekordspieler des VfL, es ergab sich auch ein typischer Bochum-Rekord: Kein Nicht-Nationalspieler kommt auf mehr Einsätze. Als Bochumer segelte der zähe Mittelfeldspieler eben all die Jahre unter dem Radar, aber woanders wollte er nie spielen. Auch sein Rekord ist noch Jahrzehnte sicher, der schärfste noch aktive Verfolger, Hoffenheims Torwart Oliver Baumann, steht bei 360 Einsätzen und war außerdem neulich schon mal im DFB-Aufgebot. Ata kann weiter ruhig schlafen.
Der Promille-Rekord: Was macht ein Fußballer aus dem Ruhrpott, wenn er aussortiert wird? Für Dieter Versen stellte sich diese Frage nicht, er ging einen trinken. Und das schon vormittags. Dumm nur, dass ihn Trainer Heinz Höher im März 1979 doch noch brauchte, um auf Schalke die Bank voll zu bekommen. Sie suchten und fanden ihn beim Frühschoppen und das war gut so, denn bereits nach acht Minuten musste er einen verletzten Kollegen ablösen. Bochum gewann 3:1 und Höher berichtete gut gelaunt: "Zum Frühschoppen hatte der Dieter, in Unkenntnis dessen, dass wir ihn noch mal benötigen könnten, zwei Bier getrunken. Mit der Folge, dass er sich in gewohnter Form befand." Nach dem letzten Spiel angetrunken zu sein, versteht jeder, doch nicht ganz nüchtern ins letzte Spiel zu gehen - das gab's auch nur in Bochum. Soweit wir wissen.
Die heftigste Kabinenprügelei: So weit bekannt, rauschte es in der Bundesliga nie heftiger als im Februar 2004 beim VfL. Angeblich wegen einer rassistischen Beleidigung tickte der Nigerianer Sunday Oliseh aus und brach dem Iraner Vahid Hashemian das Nasenbein. Hashemian erzählte: "Ich war entsetzt, alles war voll Blut. Ich habe gesagt: Sunday, so etwas macht kein Mensch. Das macht nur ein Tier". Oliseh entschuldigte sich alsbald telefonisch bei Hashemian, aber zwei Tage nach dem Vorfall erhielt er seine Papiere.