Christian Heidel kehrte knapp vier Jahre nach seinem damaligen Abgang zum FC Schalke 04 nach Mainz zurück.
Heidel wollte 60 Millionen für Tuchel
Von 1992 bis 2016 arbeitete Heidel bereits sehr erfolgreich mit den 05ern zusammen und war maßgeblich daran beteiligt, dass sich Mainz in der Bundesliga etablieren konnte.
Nach dreieinhalb Monaten bei den Rheinhessen zieht der 57-Jährige eine erste Bilanz über den steinigen Weg mit dem FSV im Abstiegskampf und dem Ziel "Klassenerhalt". Außerdem verrät er, warum Trainer Bo Svensson unverkäuflich ist und welchem Klub er in der Königsklasse die Daumen drückt.
SPORT1: Herr Heidel, Sie haben bei ihrem Dienstantritt Anfang des Jahres gesagt, dass sie nicht der Heiland und Messias sind. Aber nach dreieinhalb Monaten Hand auflegen, steht Mainz plötzlich auf Rang fünf der Rückrundentabelle. Wie ist das zu erklären?
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Heidel: Mit Hand auflegen geht es bestimmt nicht und ich bin trotzdem nicht der Heiland. Diese Zwischenetappe, die wir jetzt erreicht haben, die ist einfach der harten Arbeit von sehr, sehr vielen geschuldet. In allererster Linie ist das der Verdienst der Mannschaft. Die das einfach auf dem Platz jetzt umsetzt, was der Bo Svensson ihr mitgibt. Daraus entsteht dann, wenn ein Erfolgserlebnis kommt, einfach eine Einheit und ein großer Glauben an das, was wir tun. Das führt zu großem Selbstvertrauen und dann automatisch zu Erfolg. Aber trotzdem, da wiederhole ich mich in jedem Interview: Wir haben gerade noch gar nichts gewonnen. Wenn wir die nächsten sechs Spiele verlieren, dann stehen wir fast wieder da, wo wir angefangen haben.
"Bo und Martin musste ich Mainz 05 nicht erklären"
SPORT1: Aber dass man jetzt quasi punktemäßig nur hinter Leipzig, Bayern, Frankfurt und Wolfsburg steht, ist ja schon gewaltig. Liegt es vielleicht auch daran, dass Sie, Martin Schmidt und Bo Svensson genau wissen, wo die Triggerpunkte bei Mainz 05 und in dieser Stadt sind?
Heidel: Als ich mir das im Dezember überlegt habe, war schon so ein bisschen die Idee, dass ich Leute finden muss, die eigentlich vom ersten Tag an nicht mehr überlegen müssen. Die diese Stadt, diesen Verein und auch diese Mannschaft kennen. Wenn man jetzt jemanden geholt hätte, der das alles nicht weiß, der hätte natürlich nach vier oder fünf Wochen gesagt: "Ich musste mich da ja erstmal heimisch fühlen, mich akklimatisieren, den Verein und die Spieler kennenlernen." Durch diesen großen Rückstand war mir eigentlich klar, dass nur ein Modell eine Chance hat, wo dies wegfällt. Bo und Martin musste ich Mainz 05 nicht erklären. Mir selbst musste ich es auch nicht erklären, weil ich hier im Endeffekt alles weiß. Wir konnten vom ersten Tag an loslegen. Ein paar Veränderungen, Abgänge, Zugänge und dann ging die Post ab. Glück gehört auch dazu, aber das hat dann zum Glück von Anfang an gegriffen. Ich gebe zu, dass ich auch in der Art nicht erwartet hätte, dass wir nach ein paar Spielen da unten schon draußen sind oder zumindest mal über dem Strich stehen.
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Heidel: "Das ist unser Ziel!"
SPORT1: In der Rückrunde hat Mainz vier Punkte mehr geholt als Dortmund, neun mehr als Gladbach oder Leverkusen. Dass die Mannschaft nochmal in ein Loch fällt, ist derzeit kaum vorstellbar, oder?
Heidel: Ich finde diese Auffassung sehr gefährlich. So ein Trend führt eigentlich nur zu Selbstbewusstsein. Aber wenn er zu Überheblichkeit führt, ist dieser Trend ganz schnell wieder beendet. Das ist das, was wir den Jungs auch sagen. Sowas muss völlig aus den Köpfen raus. Lieber am Sonntag in das Spiel gegen Hertha gehen, als ob es das letzte wäre. Von der Einstellung und von allem. Aber mit Trends darf man sich nicht befassen. Weil wenn ein Trend immer die Basis für Erfolge wäre, dann dürfte ja keiner mehr verlieren, der mal zwei Spiele in Folge gewonnen hat. Ein Trend ist ganz, ganz schnell auch wieder unterbrochen.
SPORT1: Wenn wir zwei, drei Wochen weiter gucken: Gehen Sie davon aus, dass es von der DFL ein verordnetes Quarantäne-Trainingslager geben wird, um den Abschluss der Saison nicht zu gefährden?
Heidel: Sollte ein Trainingslager von Nöten sein, dann ziehen wir da mit. Wir haben hier in Mainz Glück, dass wir eigentlich kaum beeinträchtigt wurden von Corona, also die Spieler immer negativ sind. Ich freue mich jeden Morgen, wenn die Ergebnisse vom PCR-Test kommen und unsere Ärztin schreibt, dass alle negativ sind. Wir testen jeden Morgen jeden Spieler und ich glaube bzw. meine Hoffnung ist, dass wir es hinbekommen. Aber wenn die DFL entscheidet, dass wir in ein Trainingslager gehen sollen, um uns abzusichern, dann gehen wir auch in ein Trainingslager. Ich hoffe nicht, dass es kommt und wir es so hinbekommen. Aber da muss man sich dann einfach dem Votum stellen. Wenn die DFL der Auffassung ist, wir machen das so, dann ziehen wir mit.
SPORT1: Denken Sie, dass es in dieser Saison nochmal Zuschauer geben wird? UEFA-Präsident Ceferin pocht trotz steigender Infektionszahlen auf EM-Spiele mit Zuschauern.
Heidel: Wichtig ist, dass der Fußball sich nicht über die Gesundheit setzen darf. Sollten wir, beziehungsweise die Experten der Auffassung sein, dass wir Spiele mit zumindest ein paar Zuschauern veranstalten können, ohne dass ein größeres Risiko entsteht, dann würde ich mich riesig freuen. Aber ich bin der Letzte, der sagt, der Fußball sollte irgendwie eine Sonderrolle bekommen. Wir müssen das machen, was für die Menschen gut und wichtig ist. Jetzt eine Prognose zu stellen, ob vielleicht der letzte oder vorletzte Spieltag mit Zuschauern stattfindet, ist ganz schwierig. Ich würde mich freuen, wenn es so kommt, aber wir machen das schon so lange, da schaffen wir die letzten sechs Wochen auch noch und freuen uns auf eine neue Saison mit vollen Stadien.
"Da bin ich jetzt Chelsea-Fan!"
SPORT1: Blicken wir mal über den Tellerrand der Bundesliga hinaus. Thomas Tuchel hat aus einem schwächelnden Chelsea ein Team geformt, dass anscheinend überhaupt nicht mehr verlieren kann. Trauen Sie Chelsea den Titel zu?
Heidel: Das zeigt wieder einmal, was ein Trainer ausmacht. Und dass Thomas einer der besten Trainer der Welt ist, daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Ich traue ihm alles zu. Er marschiert da jetzt mit einer Ausnahme durch die Premier League, hat eine große Chance, sich über die Premier League noch für die Champions League zu qualifizieren. Aber ich glaube, er hat auch eine Riesenchance, sich über die Champions League für die Champions League nächstes Jahr zu qualifizieren, indem er sie einfach gewinnt. Es sind jetzt nur noch vier Mannschaften dabei und ich sehe Chelsea ganz sicher als eine der Mannschaften, die das Ding wuppen kann. Ich würde mich über nichts mehr freuen, als wenn ein Mainzer Trainer die Champions League gewinnt. Ich drücke Chelsea da wirklich die Daumen, dass sie es schaffen. Thomas, und da sind auch noch viele andere Mainzer bei Chelsea, alle die, die hier auch mit ihm in Mainz waren. Da bin ich jetzt Chelsea-Fan in der Champions League.
SPORT1: Es ist ja durchaus möglich, dass Chelsea gegen Tuchels Ex-Klub PSG im Finale spielt...
Heidel: Ach, das haben wir im Fußball doch schon öfters erlebt, so Dinger. Ich glaube, es zeigt zwei Dinge: Paris hat eine tolle Mannschaft und Chelsea hat eine tolle Mannschaft mit einem tollen Trainer. Wobei ich den Paris-Trainer Pochettino auch sehr schätze, muss ich dazu sagen. Aber da ist alles offen. Jetzt müssen sie erstmal sehen, dass sie überhaupt ins Finale kommen, das wird schwer genug. Aber ein Endspiel Paris gegen Chelsea, gegen Thomas, das hätte schon was.
Heidel: Ich wollte 60 Millionen für Tuchel
SPORT1: Wie sehen Sie die Entwicklung, dass Trainer zunehmend Ausstiegsklausel in ihren Verträgen haben, die auch gezogen werden? Was denken Sie über die Summen, die mittlerweile für Trainer gezahlt werden?
Heidel: Zum einen finde ich es absolut in Ordnung, da es vertraglich vereinbart ist. Beide Parteien haben sich dabei etwas gedacht. Deswegen null Kritik an Hütter, dass er es gemacht hat, denn es steht ihm eben zu. Was die Ablösesummen angeht: Man erinnert sich vielleicht, wir hatten ja in Mainz auch mal so ein Fall, als Thomas Tuchel damals von Schalke umworben wurde und ich gesagt habe, der kostet 60 Millionen Euro. Ich verstehe überhaupt nicht, wenn so etwas passiert, dass ein Trainer billiger sein soll als ein Spieler. Ich glaube, da sind wir noch lange nicht am Ende der Fahnenstange. Wenn wir heute sagen, wir verpflichten einen Spieler für 7,5 Millionen Euro, dann ist das nichts Besonderes mehr. Bei Trainern gibt es dann aber plötzlich einen großen Aufschrei. Nur, wenn der Spieler 7,5 Millionen Euro kostet, ist der Trainer der Chef dieses 7,5 Millionen-Euro-Spielers. Also warum die günstiger sein sollen, weiß ich nicht. Ich habe eigentlich immer gesagt, der Trainer ist der wichtigste Mann in einer Mannschaft, in einem Verein. Deswegen kann ich total nachvollziehen, dass diese Preise nach oben gehen. Bo steht nicht zur Debatte, das muss ich ganz klar sagen. Aber wenn uns irgendwann ein Verein mal anruft und einen Trainer von uns wegnehmen will, wüsste ich nicht, warum der Klub weniger bezahlen soll als für einen Spieler. Das ist für mich nichts Besonderes und kann ich total nachvollziehen.
SPORT1: Sie hatten aber damals genau wie alle Mainz-Fans ein Riesen-Krawatte, als Tuchel nach Erreichen des Europapokals sagte: "Tschüss, das war es". Würden Sie mit einem Trainer eine Ausstiegsklausel vereinbaren?
Heidel: Das war damals ein ganz anderer Fall. Thomas ist ja nicht zu einem Klub gewechselt, sondern hat ganz einfach beschlossen, dass er jetzt beenden möchte. Das ist ja auch Schnee von vorgestern. Ich bin kein Freund von Ausstiegsklauseln. Wenn überhaupt, dann muss es zumindest so sein, dass das nicht nach einem halben Jahr schon passieren kann. Ein Verein stellt sich auf den Trainer ein, er plant mit einem Trainer, er baut die Mannschaft für diesen Trainer zusammen und dann ist es natürlich schon etwas grotesk, wenn er auf einmal nach drei Wochen wegmarschiert, weil er eine Ausstiegsklausel hat. Aber nochmal: Das ist eine Sache zwischen dem Trainer und dem aufnehmenden Verein. Wenn man sich über den Weg einig ist, kann man sich später nicht hinstellen und meckern. Das habe ich aber zum Beispiel aus Frankfurt jetzt auch nicht gehört. Beide Seiten wussten, was sie vereinbart haben, deswegen ist das alles in Ordnung.