In der Geschichte der Bundesliga fielen bislang 1088 Eigentore. Meist ernteten die Schützen Trost, zuweilen auch Mitleid oder Spott.
Als sich Beckenbauer fatal irrte
Manches hatte fatale Konsequenzen wie das von Michael Ballack vor 21 Jahren in Unterhaching, das Bayer Leverkusen die Meisterschaft kostete. Eigentore passierten den Größten, Franz Beckenbauer hat vier in seiner Bilanz, der Europameister von 1980, Manfred Kaltz, führt das Ranking mit sechs sogar an.
Sie alle konnten mit den Konsequenzen leben und wurden mit der Zeit nur noch ein Fall für die Statistik. Einer nicht. Der wurde ein Fall für die Polizei – vor genau 30 Jahren.
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Beckenbauer riet Nürnberg zu Kasalo
Die Geschichte von Vlada Kasalo wäre ohne Franz Beckenbauer kaum möglich. Der Kaiser höchst selbst war es, der in seiner damaligen Funktion als Teamchef der Nationalmannschaft einen besonders guten Überblick über die internationalen Spielfelder hatte und dem 1. FC Nürnberg einen langhaarigen Kroaten empfahl.
"Den könnt ihr blind nehmen", sagte er im Sommer 1989 zu Nürnbergs Präsidenten Gerd Schmelzer. Und wenn der Kaiser sich herablässt, gratis Ratschläge zu erteilen, warum sollte man da nicht zugreifen?
Kasalo, Libero von Dinamo Zagreb, hatte es schließlich sogar mal in die Weltauswahl gebracht. Nun wurde er zum teuersten Spieler der Vereinsgeschichte – stolze 1,3 Millionen D-Mark legten die Franken auf den Tisch. Sie bekamen einen Paradiesvogel, der zum Paradebeispiel für misslungene Integration wurde.
Kasalo integrierte sich nicht
Kasalo verstand kein Deutsch und lernte auch kein Deutsch, nahm an Mannschaftsabenden nicht teil und suchte Anschluss zur kroatischen Community Nürnbergs. So geriet der Bruder Leichtfuß, der bei der Verhandlung mit Präsident Schmelzer "30.000 Mark im Monat und ein Auto, das auch du fährst" forderte und bekam, in schlechte Gesellschaft.
Kasalo trug nur die teuersten Klamotten und Schuhe und "seine Sonnenbrille war teurer als alles andere in unserer Kabine" – erzählte Guido Schäfer, mit dem Kasalo ein Jahr nach "dem Kopf-Fall" noch in Mainz spielte.
Der Kopf-Fall sind eigentlich zwei Fälle, die mancher in einen Zusammenhang stellte, der nie bewiesen wurde. Fakt ist: im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart am 16. März 1991 köpft Kasalo das Tor des Tages – für den VfB. Mit der Stirn zum Kasten von Andy Köpke, quasi sehenden Auges. Sehr seltsam.
Zwei Eigentore in einer Woche
Am Samstag darauf, dem 23. März, ist Kasalo in Karlsruhe erneut Matchwinner wider Willen. Nach einer Stunde steigt er mit einem Gegenspieler zum Kopfball hoch, trifft den Ball mit dem Hinterkopf. Er schlägt zum 2:0-Endstand im eigenen Kasten ein. Sachen gibt's. Nur Beckenbauer ist das in der Bundesliga schon mal passiert, im Januar 1975 trifft er zweimal gegen seine Bayern und Torwart Sepp Maier witzelt in der Spielersitzung: "Wer deckt denn heute den Franz?"
In Nürnberg können sie nicht mehr lachen. Kasalo selbst am wenigsten, er sagt in Karlsruhe am Sat1-Mikrofon in gebrochenem Deutsch: "Jetzt für mich bisschen Angst!" Auf Nachfrage erklärt er zwar "vor nächste Spiel, ist schwierig!" Doch mancher, der mehr wissen will, interpretiert auch mehr herein. Vor wem hat er Angst? Hat er unabsichtlich dafür gesorgt, dass die Falschen gewinnen und damit Wettfreunde verärgert? Oder hat er Angst davor dass heraus kommt, dass Betrüger ihn dazu angestiftet haben, für genau diese Ergebnisse zu sorgen?
Gerüchte schwirren umher. Man weiß dass er viel Freizeit in Spielcasinos mit schillernden Namen wie "Tropicana" und "Monte Carlo" verbringt. Und angeblich viel Geld verspielt, laut Staatsanwaltschaft Nürnberg 70.000 Mark beim Würfelspiel "Seven Eleven". Die hat auch ein Fußballprofi nicht in der Westentasche stecken.
Kasalo sammelt Spielschulden an
Kasalo wird vor Gericht sagen, es sei eine Null weniger gewesen, aber jedenfalls hat er Spielschulden. Ist das seine Art, sie loszuwerden? Indem er für die richtigen Ergebnisse sorgt? Als ein Taxifahrer nach dem Spiel in Karlsruhe mitbekommt, wie sich seine Fahrgäste über das Eigentor freuten, weil sie viel Geld auf den KSC gesetzt haben, macht der bei der Polizei Meldung. Darauf vor allem wird sich die Anklage später stützen…
Im Verein wollen sie noch zu ihm halten. Trainer Arie Haan sagt: "Der Vlado hat trotz der beiden Eigentore sehr gut gespielt. Er ist und bleibt mein Libero. Aber er ist sehr von Stimmungen und Gefühlen abhängig."
Dann kommt Ostern 1991, es stehen nur Pokalspiele an und da der Club schon ausgeschieden ist, haben die Spieler frei. Einer für unbestimmte Zeit. Am Karfreitag, der Kalender zeigt den 29. März 1991, wird Bundesliga-Geschichte geschrieben. Erstmals wird ein Spieler wegen eines Eigentors entlassen, denn es war eins zu viel.
Der Interims-Präsident des wieder mal in Turbulenzen geratenen Vereins, Sven Oberhof, beruft sich im Gespräch mit dem kicker auf "Hinweise aus Zockerkreisen". Demnach habe Kasalo schon nach dem 0:1 gegen Stuttgart "im Geld geschwommen" und in dem Zusammenhang seien "Gerüchte über die Eigentore" aufgekommen. Oberhof: "Wir haben aus uns vorliegenden Fakten die Konsequenzen gezogen."
Oberhof weist Spieler hart zurecht
Man habe Kasalo freigestellt, "er ist derzeit der Situation psychisch nicht gewachsen". Es folgen harte Worte: "Wichtig ist uns nur, dass er mit seinen großen persönlichen Problemen der Mannschaft erspart bleibt."
Die Probleme, von denen alle wussten, waren bis dahin eher harmloserer Natur. Kasalo machte sich eben gern seine eigenen Regeln. Der Verein verknackt ihn im Herbst 1990 zu 25.000 DM, weil er ohne Genehmigung zu einem Länderspiel von Kroatien gereist ist. Sie wurde verweigert, weil Kroatien noch kein Staat und das Spiel nicht offiziell ist – ihm ist das egal.
Und gleich dreimal hat die Polizei den Kroaten ohne Führerschein am Steuer erwischt. Spielschulden und quasi vorbestraft, fertig ist das Täterprofil. Dieser Mann hat ein Motiv, ganz klar. Der DFB leitet ein Ermittlungsverfahren wegen Spielbetrugs ein und entzieht Kasalo "vorsorglich die Spiellizenz".
Die Lizenz zum Glückspiel hat er noch und so steuert Kasalo unverdrossen wieder das "Monte Carlo" an, wo er am 5. April 1991 verhaftet wird. Er hat gerade einen prima Wurf beim "Seven Eleven" gemacht und die Arme zum Jubel hochgerissen, als die Beamten ihn mit vorgehaltener Waffe anrufen: "Hände hoch". "Ich habe sie doch schon oben", will er entgegnet haben. So erzählt er es jedenfalls gern – auch dem Magazin 11 Freunde, das ihn 2014 in Zagreb besucht hat.
Kasalo bestreitet Wettmafia-Zugehörigkeit
Die Beamten nehmen ihn mit aufs Revier. Es herrsche Fluchtgefahr, da er nun ohne festen Arbeitsplatz sei. Vorwurf: "illegales Glückspiel, Fahren ohne Führerschein." Nun kommt noch Verdacht auf Wettbetrug hinzu und das Gerücht, das nie zur unwiderlegbaren Wahrheit werden wird, ist ein offizieller Vorgang. Der Ruf des Vlado Kasalo ist ruiniert. Was hilft da sein Dementi? "Wo hätte ich denn wetten sollen?"
Fahren ohne Führerschein und Glücksspiel gibt er zu, "aber Wettmafia? Niemals." Was hilft es da, dass Werder-Trainer Otto Rehhagel über sein Eigentor von Karlsruhe sagt: "Wenn das Absicht war, dann kann er im Zirkus auftreten."
Nichts. Der kicker moralisiert am 8. April 1991: "In der Bundesliga hat sich längst herumgesprochen, dass Ausländer, zumal aus den östlichen Ländern, einer besonderen Betreuung bedürfen. Im Falle Vlado Kasalo kann davon sicher nicht die Rede sein. Mit fatalen Folgen. Der jugoslawische Nationalspieler hat sein Leben verpfuscht."
Comeback in der 2. Bundesliga
Ganz so schlimm wird es nicht. Das Amtsgericht Nürnberg verurteilt ihn zwar zu 15.000 DM Strafe und einem halben Jahr Haft auf Bewährung. Aber nur wegen seiner Führerscheineskapaden und illegalen Glücksspiels, mit Wettbetrug kommt die Anklage nicht durch. Amtsrichter Rühl spottet: "Eigentore hat auch Beckenbauer geschossen."
Auch der DFB stellt das Verfahren mangels Beweisen ein und erlaubt später sogar Kasalos Comeback in der 2. Liga bei Mainz 05 (1992 bis 94). In seiner Heimat wird er noch Sportdirektor bei Dinamo Zagreb. Auch dort kam er mit dem Gesetz in Konflikt und fährt ein Jahr ins Gefängnis ein wegen verbotenen Waffenbesitzes.
Dennoch: Dem Mann, der sich nicht immer an Recht und Gesetz hielt, wurde aller Wahrscheinlichkeit nach Unrecht getan. Das Recht auf diese Feststellung zumindest hat er.