Martin Schmidt hat sich bewusst für den Schritt vom Trainer zum Sportdirektor entschieden.
Deshalb wurde Schmidt Sportdirektor
Der Schweizer war in seiner neuen Rolle beim FSV Mainz 05 auf Anhieb gefordert. Im Interview mit SPORT1 spricht Schmidt über seine Aufgaben, die Kader-Planung im Winter, Sportvorstand Christian Heidel, Trainer Bo Svensson und den Abstiegskampf.
SPORT1: Martin Schmidt, Sie haben entschieden, den Schritt vom Trainer zum Sportdirektoren zu gehen. Wann reifte die Idee dazu?
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Martin Schmidt: Die Entscheidung, Sportdirektor zu werden, reifte bei mir in den letzten Jahren. Das war kein plötzlicher Einfall im vergangenen Herbst. Ich habe mich schon bei meinen Trainertätigkeiten für das große Ganze bei einem Verein interessiert. Als Trainer bist du in der täglichen Arbeit aber so tief drin, dass du dich kaum um andere Dinge kümmern kannst. Nach dem Aus in Augsburg wollte ich mich neu aufstellen und andere Wege gehen.
SPORT1: Ist Ihnen der Übergang in die neue Rolle gelungen?
Schmidt: In der Rolle als Sportdirektor war ich schnell drin. Christian Heidel und ich haben den Klub in einer schwierigen Phase übernommen. Der Fokus lag erstmal auf der Kaderplanung und der Trainerfrage. Wir mussten sofort die Gespräche mit dem neuen Trainer Bo Svensson führen. Im Gegensatz zu meiner Zeit als Trainer muss ich nun Beratergespräche und Verhandlungen führen und Verträge fixieren. Ich bin in der neuen Rolle aber schon angekommen.
Schmidt: Bin als Trainer nicht gescheitert
SPORT1: Fühlen Sie sich als Trainer etwas gescheitert, nachdem auf den Stationen Wolfsburg und Augsburg der Erfolg ausblieb?
Schmidt: Nein, ich bin als Trainer nicht gescheitert. Ich war sechs Saisons in über 130 Spielen in der Bundesliga tätig und habe vor allem in Mainz Erfolg gehabt, konnte den Verein zum ersten Mal in seiner Geschichte in die Gruppenphase der Europa League führen. Mit Augsburg stand ich letztes Jahr zum jetzigen Zeitpunkt mit 26 Punkten auf Platz 10. Bei allen Vereinen habe ich viel an Erfahrung mitgenommen und das hilft mir jetzt.
SPORT1: Der Schritt vom Trainer zum Sportdirektor ist einer, den es nicht so häufig gibt. Hatten Sie ein Vorbild?
Schmidt: Ich hatte als Trainer kein Vorbild und habe auch als Sportchef keins. Ich möchte als Sportchef so auftreten, wie es mir in meiner Trainerkarriere guttat. Damals unter Christian Heidel konnte ich gut arbeiten, hatte meine Freiheiten, konnte Entscheidungen treffen und das Team führen, wie ich wollte. Das gab mir ein gutes Gefühl. Ich möchte nicht Persönlichkeiten wie Ralf Rangnick oder Felix Magath kopieren, die den Schritt von der Trainerbank in die Sportdirektive schon früher gegangen sind, sondern meine neue Rolle selber definieren und eigene Wege gehen.
SPORT1: Wie dankbar sind Sie Christian Heidel, dass er Ihnen in dieser schwierigen sportlichen Situation das Vertrauen für einen völlig neuen Posten geschenkt hat?
Schmidt: Christian Heidel ist der beste Lehrmeister, den man sich wünschen kann. Er hat das Business von der Pike auf erlernt, verfügt über jahrzehntelange Erfahrung. Wir haben zudem ein freundschaftliches Verhältnis, das von Respekt und Vertrauen geprägt ist. Unser Kontakt ist nie abgebrochen. Es freut mich, dass er sich für das Projekt in Mainz an mich erinnert hat. Dass Christian mir nun Vertrauen schenkt, bedeutet mir viel.
Mateta-Abgang war nicht alternativlos
SPORT1: Spüren Sie schon diese vielbeschworene Mainzer DNA bereits?
Schmidt: Wenn ich in der Stadt unterwegs bin, dann geben mir die Menschen ein gutes Gefühl. Auf dem Fußballplatz ist Mentalität zu spüren, da ging in den vergangenen Wochen ein Ruck durch die Mannschaft. Wir sind wieder zurück auf den Mainzer Weg eingebogen, der uns guttut und auf dem wir Gas geben können.
SPORT1: Sie haben als Sportdirektor nun das erste Transferfenster hinter sich gebracht und den Kader rasch umgebaut. War der Eindruck von außen also nicht so falsch, dass die Mannschaft charakterlich eher falsch zusammengestellt war?
Schmidt: Ich will nicht bewerten, wie die Mannschaft zusammengestellt war. Dass in ihr aber ein charakterstarkes Team steckt, haben wir in den letzten Wochen deutlich gesehen. Wir haben deshalb kleine Veränderungen vorgenommen. Spieler, die nicht mehr so zufrieden waren, haben wir verliehen. Dafür haben wir mit Dominik Kohr Zweikampfstärke in der Mitte, mit Danny da Costa Tempo für die Außenbahn und mit Robert Glatzel einen Stoßstürmer als Ersatz für Jean-Philippe Mateta dazugeholt.
SPORT1: Ein Reizthema war Jean-Philippe Mateta. War sein Abgang im Winter alternativlos?
Schmidt: Alternativlos war der Abgang nicht, aber Jean-Philippe Mateta wollte sich schon im Sommer verändern. Damals gab es allerdings kein passendes Angebot. Er wollte dann auch im Winter wechseln. Als das Topangebot von Crystal Palace kam, wollten wir Jean-Philippe keine Steine in den Weg legen und haben den Transfer ermöglicht. Er hat jetzt eineinhalb Jahre Leihvertrag und kann sich in England beweisen.
SPORT1: Dominik Kohr und Danny da Costa entschieden sich trotz Champions-League-Ambitionen in Frankfurt für Mainz. Könnte das Duo bei einem Klassenverbleib länger gebunden werden?
Schmidt: Danny da Costa und Dominik Kohr sind zwei Typen, die zu Mainz wie der Deckel auf den Topf passen. Sie bringen die Emotionalität und Mentalität mit, die Mainz guttut. Die beiden schmeißen alles rein und kämpfen bis zum Umfallen. Dass sie sich für uns entschieden haben, war keine Selbstverständlichkeit, und sie haben unseren Kader direkt verstärkt. Wenn wir unser Ziel Klassenerhalt erreichen sollten, dann kann ich mir vorstellen, dass man mit da Costa und Kohr reden kann, ob diese Zusammenarbeit nicht auch etwas für die Zukunft wäre. Sie sind vorerst aber bis zum Sommer ohne Kaufoption ausgeliehen.
Schmidt: Sehe bei Svensson Züge von Klopp und Tuchel
SPORT1: Robert Glatzel haben Sie Last-Minute aus England geholt. Wie konnten Sie ihn überzeugen?
Schmidt: Wir hatten Robert Glatzel zwar lange im Kopf, aber wir mussten noch etwas abwarten. Nach der Ausleihe von zwei Offensivkräften wussten wir, dass wir noch etwas auf dem Transfermarkt machen wollen. Die Kontakte zu Robert bestanden schon. Der war direkt heiß, er hat für die Aufgabe gebrannt. Sein Traum war die 1. Bundesliga und dann kam das Angebot, da hat er nicht lange überlegt. Im täglichen Training, aber auch mit seinem Tor in Leverkusen hat er schon angedeutet, wie wichtig er noch für uns werden kann.
SPORT1: Der wichtigste Transfer war aber der des Trainers. Sehen Sie in ihm aber auch, wie Christian Heidel einmal sagte, Potenzial für ein Champions-League-Team?
Schmidt: Wenn Christian Heidel das so sagt, dann möchte ich nicht widersprechen. Bo Svensson hat den Übergang vom Profi zum Trainer schnell gemeistert, weil er einen sehr guten und strategischen Blick auf das Feld hat. Als Innenverteidiger hatte er schon als Aktiver das Spiel vor sich. Bo weiß, wie die Struktur sein muss und wie man gegen den Ball arbeitet. Wenn ich ihn auf dem Trainingsplatz sehe, dann sehe ich Züge von seinen Vorgängern Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel. Dabei geht es nicht nur um die Mimik, sondern auch um seine Ansprache. Sein Potenzial ist unbestritten groß und wir sind froh, dass er hier ist.
SPORT1: Obwohl es sportlich für Mainz etwas besser läuft: Ist die Relegation dennoch das Höchste der Gefühle?
Schmidt: Wir haben das Team in einer schwierigen Situation übernommen. An Weihnachten war der Relegationsplatz das höchste der Gefühle. Diesen Rang streben wir mit aller Kraft an. Wir haben den Abstand schon etwas verkürzt und wenn uns das weiter gelingt, dann kann am Ende vielleicht auch die direkte Rettung möglich sein. Wenn wir den Punkteschnitt unter Svensson halten, dann kämen wir im Mai auf knapp 30 Punkte. Das könnte für Platz 15 oder 16 reichen. Aber die Konkurrenz aus Berlin, Köln, Bielefeld oder Augsburg wird auch punkten. Deshalb kämpfen wir zuvorderst um Platz 16.
Mainz benötigt keine Zwangsverkäufe
SPORT1: Das Szenario 2. Liga lässt sich nicht ignorieren. Welchen Fokus hat man bei der Kaderplanung?
Schmidt: Wir fahren zweigleisig bei der Kaderplanung, aber das war bei Mainz 05 schon immer so. Es gibt bestehende Verträge und wir wollen ligaunabhängig vor allem mit den jungen Talenten verlängern. Wenn wir den Klassenerhalt nicht schaffen sollten, dann wird es natürlich schwer werden, einige Spieler zu halten. Prinzipiell wollen wir den Kader weiter umbauen und an unsere Philosophie anpassen. Es wird im Sommer dementsprechend so oder so Veränderungen geben.
SPORT: Wie sieht die finanzielle Lage insgesamt aus?
Schmidt: Diese Saison stehen wir trotz aller Umstände auf guten, soliden Beinen. Wir benötigen keine Zwangsverkäufe, um zu überleben. Aber die Corona-Lage bereitet allen Bundesligisten Schwierigkeiten, wir alle hoffen auf eine schnelle Rückkehr der Zuschauer.
SPORT1: Wenn Sie Bo Svensson so an der Trainerbank sehen – zieht es einen da nicht nochmal selbst zurück in die Rolle als Coach? Oder würden Sie dies für die Zukunft ausschließen?
Schmidt: Ich mache mir im Moment keine Gedanken darüber. Natürlich weiß man nie, was in fünf oder sechs Jahren ist. Aber ich fühle mich in meiner neuen Rolle als Sportdirektor sehr wohl, sammle jetzt Erfahrung und schaue weiter. Ich hätte früher übrigens auch nicht gedacht, dass ich irgendwann als Trainer oder Sportdirektor in der Bundesliga arbeite. Was kommt, das kommt mit der Zeit sowieso.