Lothar Matthäus ist Rekordnationalspieler und einflussreicher Fußball-Experte.
Matthäus: Kein Haaland mit Lewy
Neuerdings ist er auch Markenbotschafter für "Interwetten".
Im Rahmen seiner prominenten Vorstellung hat er SPORT1 ein ausführliches Interview zu den brennendsten Themen der Bundesliga gegeben.
Lothar Matthäus: Diese Abgänge haben Bayern geschwächt
SPORT1: Rekordnationalspieler, Sky-Experte und jetzt auch noch das Gesicht von "Interwetten". Hat der Tag eines Lothar Matthäus mehr als 24 Stunden?
Lothar Matthäus: Wenn Sie so viel arbeiten würden wie ich, wäre Ihnen wahrscheinlich langweilig. Man sieht mich zwar häufig im TV, aber es sieht nach mehr aus, als es in Wirklichkeit ist. Ich freue mich jetzt auf die neue Aufgabe mit Interwetten. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass die Leute zufrieden sind. Aber Sie wissen ja auch: Wenn ich mich tagtäglich über die Bundesliga informiere, muss ich mich nicht tagelang darauf vorbereiten. Das ist dann Allgemeinwissen, Insiderwissen. Über die Bundesliga erfahre ich auch viel über meine Kontakte.
SPORT1: Würden Sie darauf wetten, dass der FC Bayern Deutscher Meister wird?
Matthäus: Es ist ein offenes Rennen und hängt von vielen Faktoren ab. Hat Bayern München weiterhin Pech, was Corona und die Verletztenliste betrifft? Der Kader ist in der Breite nicht so stark wie der von Leipzig. Es gehören auch Qualität und Spielglück dazu. Die Meisterschaft ist offen, weil Bayern Punkte hat liegen lassen. Jetzt hat es ein Mitstreiter mal ausgenutzt, was in den vergangenen Jahren nicht immer der Fall war. Leipzig hat einen guten Lauf, ist stabil, hat Ruhe im Verein und hat auch gegen Liverpool, wo sie 0:2 verloren haben, ein gutes Spiel gemacht. Ohne die persönlichen Fehler wäre es 0:0 ausgegangen. Das wäre eine gute Ausgangsposition gewesen, um an der Anfield Road die nächste Runde zu erreichen.
SPORT1: Hat die Qualität der Bayern abgenommen oder die Qualität der Konkurrenz zugenommen?
Matthäus: Die Abgänge von Philippe Coutinho, Thiago und Ivan Perisic haben den Kader der Bayern in der Breite geschwächt, weil vor allem die Neuzugänge für mich noch nicht so eingeschlagen haben, wie sich das auch die Verantwortlichen des FC Bayern vorgestellt haben. Es ist aber ein normaler Prozess. Denn kommt man zum FC Bayern, braucht man Zeit, um sich an den Verein zu gewöhnen. Schwierig für Neuzugänge ist es auch, bei einem Champions-League-Sieger zu Einsätzen zu kommen. Wenn etwa Thomas Müller ausfällt und Eric Maxim Choupo-Moting in die Mannschaft kommt: Bei allem Respekt, aber dann ist das nicht nur ein Persönlichkeits-, sondern auch ein Qualitätsverlust. So jemanden kann man dann, wenn man auf allerhöchstem Niveau seine Ziele hat, nicht ersetzen.
"Schalke 04 ist führungslos, nicht nur auf dem Platz"
SPORT1: Sie erwähnten Coutinho ...
Matthäus: Ja. Mit Coutinho hatte man im letzten Jahr einen Spieler, der für Glanzpunkte gesorgt hat, wenn er reingekommen ist. Ich weiß, was Coutinho beim FC Bayern verdient hat und die entsprechenden Einnahmen, wie man sie vor der Corona-Zeit hatte, hat man nicht mehr. Darauf muss auch der FC Bayern in der jetzigen Zeit Rücksicht nehmen. Leipzig ist jetzt der Konkurrent in diesem Meisterschaftskampf, denn sie sind in der Breite gut aufgestellt. Wenn sich Julian Nagelsmann zu seiner Bank umdreht, sieht er Willi Orban, Emil Forsberg oder Yussuf Poulsen. Da weiß er: "Ich kann noch was bewegen." Bei Bayern München haben die Spieler auf der Ersatzbank nicht das, was ich als Trainer gerne sehen würde. Bei Perisic im letzten Jahr, da wusste man: "Da passiert was." Die Bayern haben großen Stress, viele Spiele, große und einmalige Erfolge erzielt. Auf der anderen Seite ist jetzt verständlicherweise Müdigkeit vorhanden und die Verletzungsanfälligkeit ist größer geworden. Deswegen hängt es bei Bayern davon ab, inwiefern vor allem die wichtigen Spieler die kommenden zwei, drei Monate überstehen werden. Auch, was die körperliche Fitness betrifft.
SPORT1: Ist Schalke für Sie ein sicherer Absteiger?
Matthäus: Ja. Wenn ein Schiff führungslos ist, ist es schwierig, es in einen Hafen zu bringen. Schalke 04 ist führungslos, nicht nur auf dem Platz. Hinter den Kulissen herrscht ein Machtkampf und keiner kann Entscheidungen treffen. Man geht jetzt praktisch führungslos der zweiten Liga entgegen und muss jetzt schon versuchen, sich so schnell wie möglich neu aufzustellen, damit der sofortige Wiederaufstieg klappt. Das in so einer kurzen Zeit zu schaffen, bei dieser wirtschaftlichen Situation, wird ein schwieriges Stück Arbeit. (Wie tief fällt Schalke?)
SPORT1: Glauben Sie, dass Marco Rose bis zum Saisonende Trainer in Gladbach bleibt?
Matthäus: Ich bin davon überzeugt. Auch aufgrund der Aussage von Max Eberl. Ich verstehe, dass die Fans enttäuscht sind. Aber er war der Wunschtrainer, hat sie in die Champions League gebracht, ist dort mit ihnen erstmals seit 1977 wieder weit gekommen. Er ist jetzt kein schlechterer Trainer geworden, nur weil er die Entscheidung getroffen hat, zur anderen Borussia zu gehen. Er ist leidenschaftlich dabei. Ich habe jahrelang Fußball gespielt und war auch einige Jahre als Trainer tätig. Ich wusste, dass meine Zeit damals bei Rapid Wien abgelaufen ist. Aber trotzdem habe ich meinen letzten Schweißtropfen dafür gegeben, um mit der Mannschaft Erfolg zu haben. Marco Rose schätze ich genauso ein. Wichtig ist, dass jetzt Ruhe in den Verein reinkommt. Auch von den Fans, trotz ihrer Enttäuschung. Dann wird Mönchengladbach noch einige schöne Siege mit ihm feiern. Nicht zu vergessen: Das Pokal-Endspiel winkt mit einem Heimsieg gegen Borussia Dortmund. Was ich 1984 nicht geschafft habe, würde ich Marco Rose gönnen: Dass er mit seiner Mannschaft, mit der jetzigen Borussia, einen Erfolg holt und von den Fans wieder geliebt wird.
SPORT1: Wie bewerten Sie Joachim Löw, der wieder regelmäßig Spiele in den Stadien verfolgt und die Spieler live sichtet?
Matthäus: Es ist nichts Besonderes, dass Jogi Löw am Wochenende in den Stadien sitzt. Ich war Nationaltrainer in Bulgarien: Ich habe mir jedes Wochenende drei, vier Spiele angeschaut. Ich bin nach Sofia geflogen und dann mit dem Auto von einem Spiel zum anderen gefahren. Es ist seine Aufgabe, nicht die ganze Woche nur vor dem Fernseher zu sitzen, sondern die Spiele im Stadion zu verfolgen und auch direkte Gespräch mit den Verantwortlichen zu führen. Natürlich ist es zurzeit mit Corona schwieriger. Trotzdem ist es seine Pflicht, so oft wie möglich im Stadion zu sein. Das ist also nichts, was mich zu Jubelstürmen hinreißen lässt.
Löw? "Ich hätte mir früher Aufklärung gewünscht"
SPORT1: Auf was wird es ankommen, damit es beim DFB sportlich wieder aufwärts geht?
Matthäus: Wichtig ist, dass Löw die richtigen Entscheidungen trifft, dass er wieder selbstsicher auftritt, dass er mit der Mannschaft eine Einheit bildet – nicht wie in Spanien beim 0:6, wo ich ihn im Stadion nicht gehört habe, obwohl keine Zuschauer dort waren. Wichtig ist auch, dass er sich den Fragen der Journalisten und der Fans stellt. Das ist er ihnen als Nationaltrainer schuldig. Das sind Dinge, die mich gestört haben.
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SPORT1: Wie meinen Sie das?
Matthäus: Ich kann nicht sagen, ich mache die Pressekonferenz, wenn ich will. Diese hätte spätestens einige Tage nach der Niederlage gegen Spanien stattfinden sollen. Man kann zwei Tage darüber nachdenken, aber er darf sich nicht sechs oder acht Wochen verstecken oder drei Wochen nichts sagen. Der Zuschauer, der Fan und der Journalist, sie alle haben vom Bundestrainer Antworten zu bekommen. Man muss ja keine Zukunfts-Konzepte erklären. Es waren ohnehin hauptsächlich Fragen zu den schlechten Ergebnissen in der Vergangenheit. Ich hätte mir früher Aufklärung gewünscht, denn wir müssen versuchen, im deutschen Fußball, gerade in der jetzigen Zeit, die Fans bei Laune zu halten. Wenn sie schon nicht ins Stadion können, sollten wenigstens die Protagonisten Rede und Antwort stehen. Geschieht das nicht, sorgt das für Unruhe – auch beim DFB. Verbandsintern muss vieles hinterfragt werden: Wer geht voran? Was macht man gemeinsam? Wer hat was zu entscheiden? Wenn hingegen außerhalb des Platzes mehr geredet wird als auf dem Platz, dann ist das immer schlecht für die Ergebnisse der Mannschaft.
SPORT1: Glauben Sie, dass Hansi Flick schwach werden könnte, wenn ihn Oliver Bierhoff mit allen Mitteln als Bundestrainer zum DFB holen wollen würde?
Matthäus: Nein, Hansi Flick hat einen Vertrag bis 2023. Er ist jemand, der Verträge erfüllt, auch wenn es vielleicht mal nicht so läuft. Hansi ist lange genug dabei, er ist 1985 zum FC Bayern gekommen und weiß, was im Fußball los ist. Er ist ein Mensch, der sich über vieles Gedanken macht. Ich glaube, dass er beim FC Bayern zurzeit einen Job hat, der ihm unwahrscheinlich Spaß macht; nicht nur mit der Mannschaft, sondern auch mit seinem Staff, wie er immer so schön sagt. Deswegen bin ich überzeugt, dass Hansi seinen Vertrag auf jeden Fall erfüllen wird.
Kein Haaland mit Lewandowski
SPORT1: Bitte vervollständigen Sie: Erling Haaland ist ...
Matthäus: ... mit seinen jungen Jahren ein Stürmer, wie ich ihn live noch nie gesehen habe: Diese Torquote mit 20 Jahren, diese Wucht, diese Leidenschaft, diese Energie, auch die Qualität. Vor allem ist er jemand, der nicht abzuheben scheint, sondern er macht mir den Eindruck, dass er sich weiter verbessern will. Das muss er auch, um seine ganz großen Ziele zu erreichen. Er kann mit Kylian Mbappé in die Fußstapfen der anderen großen Weltfußballer der letzten 13, 14 Jahre treten. Er könnte auch einen Robert Lewandowski bei Bayern München in zwei, drei Jahren beerben, wenn Lewandowski über sein Karriereende nachdenken sollte, auch aufgrund seines Alters. Aber: Lewandowski ist zurzeit in Form, Haaland auch und solange Lewandowski bei Bayern spielt, glaube ich nicht, dass Haaland kommen wird, denn sie werden nicht mit einer Doppelspitze Haaland/Lewandowski spielen können, weil sie sich gegenseitig ihre Stärken nehmen würden. Das ist auch der Grund, warum Haaland noch nicht nach München gekommen ist, denn die Bayern waren ja bereits an ihm interessiert.
SPORT1: Welche Ziele könnte ihn reizen?
Matthäus: Haaland ist jetzt schon bei Top-Vereinen auf dem Zettel, ganz oben als Sturmspitze. Auch bei Real Madrid, weil sie mit Karim Benzema einen Spieler im gewissen Alter haben. In der Premier League hat sein Vater schon gespielt. Das könnte auch interessant werden. Er wird Borussia Dortmund nicht lebenslang dienen. Er wird nach größeren Klubs suchen, er wird ein höheres Einkommen bekommen. Wenn er in der Bundesliga bleibt, dann gibt es für ihn aber nur einen Schritt: Den FC Bayern.
SPORT1: Müssten die Bayern darüber nachdenken, Lewandowski ein Jahr vor Vertragsende in 2023 zu verkaufen, wenn man dafür Haaland bekommen könnte?
Matthäus: Die Bayern werden nicht darüber nachdenken, Lewandowski zu verkaufen. Er wird seine große Karriere in München beenden. Erst, wenn Lewandowski nicht mehr bei Bayern sein sollte, ist der Platz für Haaland in München frei.