Herbert Hainer blickt auf eines der erfolgreichsten und zugleich ereignisreichsten Jahre in der Geschichte des FC Bayern zurück. Unter seiner Regie als Präsident, Hainer wurde am 15. November 2019 gewählt, holten die Münchner 2020 das Triple und steuern bei der Klub-WM in Katar 2021 den sechsten Titel in Folge an.
Boateng und Alaba? So plant Hainer
In Teil 2 des großen SPORT1-Interviews (hier zu Teil 1) spricht das Bayern-Oberhaupt über die zukünftigen Personalplanungen des FC Bayern, die vor allem Sportvorstand Hasan Salihamidzic vorantreiben soll.
Der 66-Jährige verrät, wie lange Salihamidzic beim FC Bayern unterschrieben hat, er fordert mehr von Leroy Sané und äußert sich zur Nachfolge von Robert Lewandowski.
SPORT1: Herr Hainer, was ist vom FC Bayern trotz der Corona-Krise zukünftig auf dem Transfermarkt zu erwarten?
Herbert Hainer: Der sportliche Erfolg steht bei uns im Vordergrund. Seit einigen Jahren stärken wir zudem unseren Campus. Wir fördern junge Talente und holen sie zum FC Bayern, um eine Mischung aus Topleuten mit den jungen und selbst ausgebildeten Spielern zusammenzuführen. Dazu zähle ich zum Beispiel einen Alphonso Davies, Jamal Musiala und Chris Richards. Man sieht jetzt die ersten Erfolge der Campus-Arbeit, die wir vor fünf Jahren begonnen haben. Wir werden aber immer wieder Topleute holen, um eine Mannschaft zu haben, die jederzeit in der Lage ist, um die europäische Krone zu spielen oder ein Triple zu gewinnen.
SPORT1: Warum war der FC Bayern bislang kein Verkäuferverein?
Hainer: Weil wir wirtschaftlich sehr gut gearbeitet haben. Wir haben das eigene Stadion und den Campus abbezahlt. Wir haben eine hervorragende Mannschaft und wollen sportlich erfolgreich sein. Wenn man die besten Leute immer nur verkauft, wird man auf Dauer keinen Erfolg haben. In diesem Verein steht der Sport im Mittelpunkt. Im Fußball wie im Basketball. Dort wollen wir auch in die europäische Spitze gelangen und uns schrittweise weiterentwickeln.
"Der Kader ist unheimlich gut besetzt"
SPORT1: Hansi Flick zeigte sich bis zum 2:0 gegen Lok Moskau mit der Defensivarbeit seiner Spieler unzufrieden. Die Bayern gewinnen, aber nicht mehr derart souverän wie im Sommer. Stottert der Motor, weil der Kader schwächer ist als in der Vorsaison oder liegt es an der Belastung?
Hainer: Der Kader ist unheimlich gut besetzt. Ansonsten hätten wir keine fünf Titel in den vergangenen zwölf Monaten gewonnen. Man kann nicht immer auf dem Topniveau spielen wie gegen Barcelona, Schalke und viele andere. Wir haben zudem viele Verletzte zu beklagen. Joshua Kimmich fehlt uns deutlich. Ebenso Alphonso Davies auf der linken Außenseite. Den FC Bayern hat aber immer ausgezeichnet, dass er Spiele auch gewinnen kann, wenn er einen Tag mal nicht auf Topniveau agiert. Das zeigt die individuelle Klasse unseres Kaders.
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SPORT1: Bislang wurde die Vertragslaufzeit von Sportvorstand Hasan Salihamidzic nicht öffentlich kommuniziert. Können Sie Abhilfe schaffen?
Hainer: Im Sommer haben wir seinen Vertrag um drei Jahre bis 2023 verlängert, als wir ihn zum Sportvorstand gemacht haben. Denn wir sind absolut überzeugt von ihm. Bereits nach seinen drei Jahren als Sportdirektor haben wir sehen können, was Hasan hier bewegt. Am Campus haben wir Erfolge erzielt und wir haben zahlreiche Titel mit Spielern eingefahren, die Hasan mit seiner Scouting-Abteilung geholt hat. Es macht auch viel Sinn, wie er in die Zukunft denkt und unsere Mannschaft aufstellen will.
SPORT1: Allerdings hat man für die Rekordtransfers Lucas Hernández, Leroy Sané und Corentin Tolisso um die 170 Millionen Euro ausgegeben. Diese Spieler haben teilweise noch nicht gänzlich eingeschlagen und sind verletzungsanfällig. Hat man Geld verbrannt?
Hainer: Ich würde nie irgendeine Einzelbetrachtung machen. Wir haben in diesem Zeitraum acht bis zehn Spieler geholt, teilweise ablösefrei, und Topstars werden wir immer wieder holen. Lucas Hernández haben wir vor Corona für 80 Millionen Euro geholt. Heute würde der Preis ein anderer sein, aber er ist einer der besten Abwehrspieler in Europa und verletzte sich dann leider. Wir sind zuversichtlich, dass er sich wieder dahin entwickelt, und er hat zuletzt wirklich hervorragend gespielt. Über das Talent von Leroy Sané braucht man nicht streiten. Auch er hat mit Verletzungen und Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Er hat jetzt mehrere Joker-Tore erzielt und den Unterschied gemacht, als er reinkam. Man muss ihm Zeit geben. Der Kerl ist jung und mit unheimlich viel Talent gesegnet. Verletzungen passieren, aber es gibt halt Spieler wie Thomas Müller, die scheinen nie verletzt zu sein. Das liegt vielleicht an den Genen oder der guten bayerischen Luft.
"Thomas Müller kann jeder Mannschaft auf der Welt helfen"
SPORT1: Wo Sie ihn gerade ansprechen: Muss Thomas Müller zurück in die Nationalmannschaft?
Hainer: In seiner momentanen Verfassung kann Thomas Müller jeder Mannschaft auf der Welt helfen - und Joachim Löw hat gesagt, dass er die beste Mannschaft für den Erfolg aufs Feld schicken will ...
SPORT1: Wie bewerten Sie das Theater beim DFB und die Entscheidung, dass Joachim Löw Bundestrainer bleibt?
Hainer: Es wäre wünschenswert für den DFB, wenn er nach außen hin zukünftig geschlossener auftreten würde. Sollte es Meinungsverschiedenheiten geben, müssen diese intern bewältigt werden. Das wünsche ich dem DFB. Die Entscheidung, dass Joachim Löw weiterhin Bundestrainer bleibt, ist getroffen. Wir alle tun gut daran, ihn im Sinne des deutschen Fußballs zu unterstützen. Denn wir wollen alle eine erfolgreiche Nationalmannschaft bei der EM 2021 sehen.
SPORT1: Zurück zu Leroy Sané: Erwartet man beim FC Bayern mehr von ihm? Nach der Auswechslung gegen Leipzig wirkte er frustriert.
Hainer: Ich glaube, dass Leroy Sané deutlich mehr kann. Man darf aber nicht vergessen, dass er monatelang verletzt war. Da spielen sich viele Dinge im Kopf ab. Dann kommt man zu einer Mannschaft wie dem FC Bayern, die absolute europäische Spitze ist. Da sind elf Spieler auf dem Feld, die internationales Top-Niveau haben. Da muss man sich erstmal reinarbeiten. Das geht nicht von heute auf morgen. Es ist eine neue Umgebung für ihn, die Familie musste umziehen. Wir sind im Verein alle von seinem Potenzial überzeugt. Er hat geniale Dinge an sich.
Hainer zur Boateng-Zukunft: "Wir haben noch Zeit"
SPORT1: Ist bereits entschieden, dass Jérôme Boatengs auslaufender Vertrag nicht verlängert wird?
Hainer: Wie Hasan Salihamidzic schon gesagt hat, werden wir uns mit Jérôme zu gegebener Zeit zusammensetzen und eine vernünftige und faire Lösung für beide Seiten finden. Bis dahin haben wir noch Zeit.
SPORT1: Glauben Sie daran, dass David Alaba in der kommenden Saison noch ein Spieler des FC Bayern sein wird?
Hainer: Ich möchte es so beantworten, wie ich es schon gesagt habe, denn es gibt keinen anderen Status: Wir haben dem Management von David Alaba ein sehr gutes Angebot gemacht, denn er ist in unseren Augen ein sehr guter Spieler. Das wurde als ungenügend zurückgewiesen. Daraufhin haben wir unser Angebot vom Tisch genommen. Das ist der Stand der Dinge.
SPORT1: Hansi Flick soll diese Entscheidung nicht gefallen haben. Welche Rolle spielt die Meinung des Trainers bei Vertragsverlängerungen?
Hainer: Ich finde es gut, dass unser Trainer hinter seinen Spielern steht und sich für sie einsetzt. Am Ende des Tages müssen wir im Verein entscheiden, was zum Wohl und Wehe des Vereins mittel- und langfristig gut ist. Das machen wir auch.
SPORT1: Wird der FC Bayern in Vertragsverhandlungen zukünftig noch resoluter?
Hainer: Wir haben klare Vorstellungen, was wir wollen. Wir haben uns in den unterschiedlichen Verhandlungen immer bemüht, für den Sportler faire Angebote und Gegenleistungen zu skizzieren. Das ist uns zum Beispiel in diesem Frühjahr bei Manuel Neuer und Thomas Müller gut gelungen.
SPORT1: Wird es beim FC Bayern zukünftig Obergrenzen für Gehälter und Ablösesummen geben?
Hainer: Es gibt eine Obergrenze beim FC Bayern und die heißt: Unwirtschaftlichkeit. Wenn es unwirtschaftlich wird, machen wir das nicht mehr. Das kann man aber nicht an einer einzigen Zahl ablesen. Wenn wir vier Spieler holen, einer kostet sehr viel und die anderen kaum etwas, dann haben wir immer noch sehr wirtschaftlich gearbeitet. Wir werden immer versuchen, die Mannschaft so zu verstärken, dass sie die Chance hat, die größten europäischen Titel zu erringen. Wir werden das aber nicht auf dem Rücken der Finanzkraft und der Wirtschaftlichkeit des FC Bayern München machen.
SPORT1: Erling Haaland wird beim FC Bayern Nachfolger von Robert Lewandowski, oder?
Hainer: Erling Haaland ist ein sehr guter und junger Spieler, der mit Sicherheit noch eine Menge Potenzial hat.
SPORT1: Und der bis zu seinem Vertragsende 2024 bei Borussia Dortmund gut aufgehoben ist? Der Vertrag von Robert Lewandowski endet 2023.
Hainer(lächelt): Guter Versuch.
SPORT1: Muss sich der FC Bayern jetzt schon mit einem Lewandowski-Nachfolger beschäftigen?
Hainer: Wir haben Robert Lewandowski noch drei Jahre unter Vertrag. Ich bin davon überzeugt, dass er aufgrund seiner körperlichen Fitness noch sehr lange auf absolut höchstem Niveau spielen kann, weil er kaum verletzt ist und schon seit Jahren so beständig hervorragend spielt. Was in drei Jahren sein wird, kann ich heute noch nicht sagen. Zu einem geeigneten Zeitpunkt werden wir uns mit Sicherheit über einen Nachfolger von Robert Lewandowski Gedanken machen.
SPORT1: Er wird Weltfußballer?
Hainer: Das würde ich ihm wünschen. Er hat es sich verdient.
Kapitän Kimmich? "Kann passieren!"
SPORT1: Joshua Kimmich wird eines Tages Kapitän des FC Bayern?
Hainer: Ja, das könnte passieren. Er hat sich nicht nur fußballerisch hervorragend entwickelt, sondern auch von seiner Persönlichkeit her. Er verkörpert das Bayern-Gen wie kaum ein anderer. Er kämpft mit Leidenschaft und jeder Faser seines Körpers bis zur letzten Sekunde. Das sind Tugenden, die einen guten Kapitän ausmachen.
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SPORT1: 2022 laufen die Verträge von Leon Goretzka und Niklas Süle aus. Ebenso der Jugendspieler-Vertrag von Jamal Musiala. Wird man mit allen Spielern verlängern?
Hainer: Wir haben eine kurz- und langfristige Planung und arbeiten schon jetzt am Kader für die Zukunft. Jamal Musiala ist ein Riesen-Talent. Mir geht wirklich das Herz auf, wenn dieser junge Kerl zum Beispiel gegen Leipzig reinkommt und mit seinen 17 Jahren gleich volles Rohr geht, ohne in diesem Team voller Top-Spieler eine Sekunde zu fremdeln.
SPORT1: Wer würde Jamal Musial erden, würde er abheben? Sie?
Hainer: Das würde vermutlich Hermann Gerland (Co-Trainer, d.Red.) machen, aber bei Jamal Musiala habe ich überhaupt keine Befürchtungen. Er hat nicht mal einen Anflug von zu hohem Selbstbewusstsein. Er freut sich einfach, dass er spielen darf. Wir beim FC Bayern geben ihm dank Hansi Flick jetzt schon die Möglichkeit, auf höchstem Niveau zu spielen. Es ist echt schön zu sehen, wie er sich entwickelt.