14 Stunden brauchte Uli Hoeneß, um die Bild-Meldung vom bevorstehenden Rücktritt zu kommentieren: "Am 29. August werde ich dem Aufsichtsrat meine Entscheidung mitteilen, vorher gibt es von mir keine offizielle Erklärung", sagte er dem Kicker. Das ausbleibende Dementi wird als Bestätigung gewertet: Der Mann, der den FC Bayern zur Weltmarke aufbaute, tritt als Präsident und Vorsitzender des Aufsichtsrats zurück.
Kolumne: FCB braucht Anti-Hoeneß
Die Lücke soll rasch geschlossen werden. Herbert Hainer, 15 Jahre lang Adidas-Chef und Mitglied im Aufsichtsrat, ist als Nachfolger auserkoren. (Kommentar: Hoeneß riskiert sein Vermächtnis)
Ein Generationswechsel wäre das nicht: Der 65-jährige Hainer ist nur zwei Jahre jünger als Hoeneß. Seine Herausforderung wird gleichwohl komplizierter: Als Anti-Hoeneß soll er die zerrüttete Führungsspitze beim FC Bayern vor der Zerreißprobe bewahren. Hainers Fähigkeiten sind gefragter denn je.
Aufgabe als Friedensstifter
Hainer bringt alles mit, was Hoeneß nicht hat: Wegbegleiter beschreiben ihn als "entspannt, aber zielführend", immer sachbezogen und nie aufbrausend. Er sagte sofort zu, als ihn DFB-Direktor Oliver Bierhoff in eine Task Force zur Nationalelf berief. Aber öffentlich darüber reden - das wollte Hainer nie. Zurückhaltung und Bodenständigkeit verschafften ihm Popularität. Beim DFB wollten sie ihn zum Präsidenten machen. Verrückt ist Hainer nicht.
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Der Anti-Hoeneß weiß: Im Verband kann er beim Konflikt zwischen Profifußball und Amateurwesen nur verlieren. Beim FC Bayern ist das anders. Hier arbeiten Profis. Und im Vergleich zum Milliardenunternehmen Adidas ist der Rekordmeister mit seinen 650 Millionen Euro Umsatz ein überschaubares Projekt. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass seine Aufgabe als Friedensstifter einfach wird.
Allein das Chaos, das die Meldung vom Hoeneß-Rücktritt beim FC Bayern auslöste, entlarvt die Lage in der Vereinsführung: Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge erfuhr von Reportern auf der PR-Tournee in den USA, was zu Hause los war, und konnte seinen Kommunikationschef Stefan Mennerich nur Belangloses mitteilen lassen; er musste auf Zeit spielen. Die linke Hand wusste nicht, was die rechte tut. Nicht das erste Mal.
Hainer probte bereits den Ernstfall
Rummenigge wollte Thomas Tuchel als Trainer - Hoeneß aber nicht. Hoeneß wollte Max Eberl als Sportchef - Rummenigge aber nicht. Rummenigge wollte Philipp Lahm im Vorstand - Hoeneß aber nicht. So ging das seit Jahren, der Erfolg verdeckte alles, aber es war kein Ende in Sicht. Als klar war, dass Rummenigge übernächstes Jahr aufhört und durch Oliver Kahn ersetzt wird, schien ein Burgfrieden hergestellt. Doch auch das: eine Täuschung.
Schon Mitte März 2014 durfte Hainer den Ernstfall proben. Uli Hoeneß, schon damals Präsident und Chef im Aufsichtsrat, musste seine jahrelange Gefängnisstrafe wegen Steuerhinterziehung antreten. Also übernahm Hainer übergangsweise den Vorsitz, bevor die Nachfolge geregelt war, und erweckte in den sechs Monaten nicht eine Sekunde lang den Eindruck, dass er gegen die Interessen des allmächtigen Klubpatrons handeln würde.
Von seinem Erscheinungsbild sollte man sich nicht täuschen lassen. Herbert Hainer wird schnell unterschätzt, weil er nicht wie jemand aussieht, der ein Unternehmen mit heute 56 Milliarden Euro Marktwert geleitet hat. Studentenbrille, Zehn-Euro-Haarschnitt und ein lockerer Kleidungsstil: So sehen ihn Sportschau-Zuschauer oftmals neben Uli Hoeneß auf der Ehrentribüne der Allianz-Arena sitzen.
Revolution bei Bayern? Eher nicht
Man sieht ihn sogar auffallend oft vertraut mit Hoeneß: auf der Tribüne, bei Veranstaltungen, vor wichtigen Sitzungen, zuletzt im Herbst auf einer Parkbank bei einem gemeinsamen Interview für die FAZ am Sonntag. Hainer im schwarzen Polohemd, mit Jeans und weißen Sportschuhe, Hoeneß im weißen Hemd zu dunklen Sneakern - alles betont locker. "Ein Freund, mit dem man weinen kann, ist ein Geschenk", hieß die Überschrift.
Im Nachhinein wirkt das Interview wie eine versteckte Botschaft, dass Hainer der Auserkorene sein soll. Frühzeitig hatte Hoeneß angekündigt, in diesem Sommer eine Entscheidung über seine Zukunft beim FC Bayern treffen zu wollen. Als er die Möglichkeit eines Rücktritts im Februar wiederholte, wertete man den Satz als Koketterie. FC Bayern ohne Hoeneß: Das schien einfach undenkbar.
Wenn Herbert Hainer am Ende des Jahres also wie erwartet das Hoeneß-Erbe antritt und beide Posten auf sich vereinigt, darf man auf der Geschäftsstelle an der Säbener Straße in München sicher sein: Eine Revolution steht dem FC Bayern nicht bevor. Eher darf man davon ausgehen, dass Hoeneß zwar Ämter abgibt - aber nicht seine Macht. Hainer wird ganz in seinem Sinne handeln.
ZUR PERSON
Pit Gottschalk, 50, ist Journalist und Buchautor. Ehemals Chefredakteur von Sport Bild in Hamburg und bei Funke Sport in Essen. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit’ch erhalten Sie hier: http://newsletter.pitgottschalk.de
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