Christoph Daum ist eine lebende Trainer-Legende.
Daum: Darum bin ich nicht zum HSV
Seine Erfolge sprechen eine deutliche Sprache. Unter anderem wurde der Fußballlehrer 1992 mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister, 1995 gewann er mit Besiktas Istanbul den türkischen Meistertitel, 2003 feierte er mit Austria Wien den österreichischen Titelgewinn, 2004 und 2005 gewann er mit Fenerbahce Istanbul erneut den Meistertitel in der Türkei. 2008 feierte Daum mit dem 1. FC Köln in seiner zweiten Amtszeit bei den Geißböcken den Aufstieg in die Bundesliga.
Der 65-Jährige hat noch immer eine starke Meinung, wenn es um Fußball geht. Er vertritt sie aber mittlerweile viel lockerer als in der Vergangenheit.
Im ersten Teil des Exklusiv-Interviews mit SPORT1 spricht er über die Zukunft von Niko Kovac, seine Versöhnung mit dem früheren Erzfeind Uli Hoeneß, die Besonderheiten von Union Berlin und die Probleme des Hamburger SV.
SPORT1: Herr Daum, es ist Sommerpause. Was bleibt Ihnen von der alten Saison am ehesten im Kopf?
Christoph Daum: Die Entwicklung der Trainer war für mich sehr interessant. Friedhelm Funkel hat aus Fortuna Düsseldorf, einem potenziellen Absteiger, ein Team geformt, das über 40 Punkte holte. Ich kenne keinen, der im Sommer 2018 gesagt hat, Düsseldorf bleibt in der Liga. Da wurde teilweise richtig toller gespielt, und deshalb ist Friedhelm für mich einer der Trainerkandidaten der Saison. Er hat grandiose Arbeit abgeliefert und sensationelle Ergebnisse erzielt.
Ich habe aber auch riesigen Respekt vor Niko Kovac. Wie er sich beim FC Bayern in schwierigen Situationen und auch in Krisen souverän geschlagen hat, verdient größtmöglichen Respekt. Er hat das Infragestellen seiner Person und seiner Arbeit toll gemeistert und zum Ende der Saison noch das Double geholt.
Niko hat es allen gezeigt und bewiesen, dass er in der Lage ist, einen Spitzenklub mit zu formen. In seinem ersten Bayern-Jahr hat er wahrscheinlich so viel lernen können wie andere Trainer in vier bis fünf Jahren bei einem anderen Klub. Auch Bremens Trainer Florian Kohfeldt, der zum Trainer der Saison gewählt wurde, hat herzerfrischenden Fußball spielen lassen.
Ein Riesen-Kompliment auch an Borussia Dortmund und Lucien Favre. Mit einer komplett neu aufgestellten Mannschaft so lange die Bundesliga spannend gehalten zu haben, verdient größten Respekt. Und nicht zu vergessen Bayer Leverkusen. Die Mannschaft hat in der abgelaufenen Saison die Champions League erreicht. Auch dort wurde sehr gute Arbeit geleistet.
SPORT1: Worauf freuen Sie sich in der neuen Saison?
Daum: Ich freue mich darauf, Union Berlin in der Bundesliga zu erleben. Einerseits fragt man sich, was sie in der Bundesliga machen. Andererseits war ich selbst bei Union zu Gast, habe dort einen Vortrag gehalten und diesen spürbar anderen Verein kennengelernt. Ich vergleiche Union etwas mit St. Pauli. Dort ticken die Uhren einfach etwas anders. Das Selbstverständnis dieses Klubs ist großartig. Und alle, die Union aufgrund des Kaders schon als Abstiegskandidaten sehen, sollten ganz vorsichtig sein. Man wird im ersten Jahr von der Aufstiegs-Euphorie und dem Publikum zu Hause profitieren.
SPORT1: Ein großes Thema war in der abgelaufenen Saison der Umgang mit Bayern-Coach Niko Kovac. Er hat nicht immer den Rückhalt vom Vorstand gespürt. Wie haben Sie das alles beobachtet?
Daum: Der Saisonstart war sensationell mit fünf Siegen hintereinander. Ich war begeistert, was Niko mit diesen Superstars und dieser Ansammlung von Meinungsmachern, die um die Mannschaft herum arbeiten, umgegangen ist. In der Anfangsphase gab es unter ihm viel Rotation. Und dann haben einige der Superstars rebelliert. In dieser Situation gibt es nur eine Lösung, nämlich dem Trainer den Rücken zu stärken.
Egal, wie der Rebell heißt: Wenn einer meint, man könne sich beim Vorstand ausweinen, dann wird die Position des Trainers geschwächt, wenn der Vorstand nicht klar zum ihm hält. Bei so einem Star-Ensemble muss der Trainer vom Vorstand gedeckt werden. Doch in München ist das nicht so leicht. Franck Ribéry hat seit zehn Jahren das beste Verhältnis zu Uli Hoeneß, da ergeben sich auch private Gespräche. Dies trägt alles dazu bei, dass es ein hoch explosives Gemisch wird.
Ich habe etwas die Rückendeckung und die Unterstützung für Niko vermisst. Das hat aber Uli Hoeneß sehr schnell erkannt und Niko nicht infrage gestellt. Das war das richtige Signal an alle Spieler. Die Aussagen danach von Karl-Heinz Rummenigge waren eher an die Mannschaft gerichtet, um sie wach zu halten.
Man hatte Dortmund klar geschlagen. Die Meisterschaft lag wie ein Selbstläufer vor dem Team und auch der Pokal. In dieser Situation hat Rummenigge reagiert und gemeint, dass kein Arbeitsplatz sicher ist, auch nicht der des Cheftrainers. Er hat es auf alle Spieler bezogen und jedem ein Signal gegeben.
Das wurde medial dann wieder einseitig auf Niko Kovac bezogen. Und nach so einem Erfolg tritt Franz Beckenbauer auch noch auf und bringt Jürgen Klopp ins Gespräch. Da kam wieder Unruhe rein. Das ist aber ein Lernprozess, den Niko exzellent bei den Bayern durchlaufen hat. Er wird seinen Weg zum absoluten Spitzentrainer weitergehen.
SPORT1: Uli Hoeneß galt seit der Koks-Affäre als Ihr Erzfeind. Konnten sie sich persönlich jemals richtig aussprechen?
Daum: Ein persönliches Treffen gab es nie. Es gab aber ein langes Telefonat. Das liegt jetzt schon zwei Jahre zurück, als er mich anrief. Es war ein tolles offenes Gespräch, für das ich Uli Hoeneß sehr dankbar bin.
Ich war überrascht von der Offenheit, die er mir gegenüber an den Tag legte. Ich hatte meinen Frieden mit ihm bereits geschlossen.
Ich konnte sehr gut nachvollziehen, was er und seine Familie mit der Steuer-Geschichte durchmachen mussten. Denn ich hatte ja auch eine schwierige Situation 2000 mit der Koks-Affäre. Ich konnte mich wehren, meine Familie nicht.
SPORT1: Ein weiteres beliebtes Opfer der Öffentlichkeit war zuletzt der HSV. Was sagen Sie dazu, dass Hamburg ein zweites Jahr in der 2. Liga verbringen muss?
Daum: Beim HSV muss man sich eigentlich nur anschauen, wie oft in den vergangenen Jahren das Führungspersonal ausgewechselt worden ist. Und jeder neue Coach sagt, dass er für das, was er dort vorfindet, nicht verantwortlich ist. Es gab einen permanenten Neubeginn. Viele Mitarbeiter und Spieler waren einfach überfordert.
Diese Fluktuation in vielen Bereichen und die fehlende Kontinuität haben zu einer Labilität geführt. Nach Christian Titz kam Hannes Wolf. Ich freue mich immer über alle jungen Trainer, die in Führungspositionen auftauchen. Aber bei manchen von ihnen habe ich das Gefühl, dass sie wie ein Kuchen, der zu früh aus dem Backofen geholt wird, noch nicht richtig durch sind. (lacht)
Ein junger Trainer wird heutzutage sofort ins kalte Wasser geworfen. In Hamburg gab es die Anfangseuphorie. Aber die Stärken eines Trainers zeigen sich in der täglichen Arbeit und in einer Krise. Der Schwerpunkt der Ausbildung verschiebt sich immer mehr in Richtung Führungskompetenzen und kommunikative Fähigkeiten. Diese Trainer haben eine sehr hohe Qualifikation. Manchmal geht es mir aber mit den jungen Trainern zu schnell.
SPORT1: Würden Sie dem HSV gerne nochmal helfen? Sie hatten in der Vergangenheit bereits Kontakt zum Verein.
Daum: Damals ging es um den Posten des Sportdirektors. Wunschkandidat war aber Matthias Sammer, den ich sehr schätze. Er hatte sich mit dem Verein geeinigt und dann war ich außen vor. Nach seiner überraschenden Absage bin ich aber nicht mehr in die Verhandlungen eingestiegen.