Das Interview von Ex-Nationalspieler Per Mertesacker im Spiegel hat für viel Aufsehen gesorgt.
Hanke: "70 Prozent denken wie Per"
Der 33-Jährige, der im Sommer seine aktive Karriere bei Premier-League-Klub FC Arsenal beenden wird und danach die Leitung der Nachwuchsakademie bei den Gunners übernimmt, hatte unter anderem beschrieben, wie ihm der öffentliche Druck zu schaffen gemacht und dass er Verletzungsphasen mitunter als dringend nötige Auszeiten betrachtet hat.
Für seine Aussagen hagelte es Kritik. Vor allem die beiden Ex-Nationalspieler und jetzigen Sky-Experten Lothar Matthäus und Christoph Metzelder gingen hart mit ihm ins Gericht.
Der Rekordnationalspieler sagte sogar, er könne sich Mertesacker nach diesen Aussagen künftig nicht als Jugendtrainer vorstellen. Metzelder hingegen ruderte kurze Zeit später ein wenig zurück.
Mike Hanke, der mit Mertesacker 2006 zusammen WM-Dritter wurde, springt Mertesacker zur Seite. Der 34-Jährige spricht im SPORT1-Interview über seinen ehemaligen Weggefährten, Druck im Fußballgeschäft und die Kritik von Matthäus und Metzelder.
SPORT1: Herr Hanke, wie stehen Sie zu den Aussagen von Mertesacker?
Mike Hanke: Ich habe Per eine Whatsapp geschrieben, dass ich seine Aussagen sensationell finde. Ich finde es sehr mutig, dass er sich so im Interview geäußert hat. Auch ich war in meiner Karriere öfter in der gleichen Lage und weiß, dass ganz viele aktuelle Profis auch in dieser Lage sind. Es gibt 70, 80 Prozent, die genauso denken wie Per, die aber noch sehr jung sind und wahrscheinlich erst die Karriere gestartet haben und nicht nur positive Momente als Profi sammeln. Es ist gerade als junger Spieler sehr schwierig damit umzugehen, weil man den Fußball zwar liebt. Aber es ist schon etwas anders als in der A-Jugend. Der Mediendruck und die Digitalisierung im Fußball durch Social Media werden immer brutaler, gerade, wenn es mal nicht läuft. Ich fand das Interview von Per sehr beeindruckend.
SPORT1: Warum kam Mertesacker erst jetzt damit um die Ecke?
Hanke: Per ist damit erst jetzt an die Öffentlichkeit gegangen, weil sich seine Karriere dem Ende zuneigt. Es ist schwierig, in der aktiven Zeit die Wahrheit anzusprechen, weil es so viel Pfiffe gibt. Ich glaube nicht, dass Per das nur wegen des Geldes getan hat und deshalb erst jetzt damit rauskommt. Wenn er das vorher gesagt hätte, wäre der Druck von außen extrem gewesen. Ähnlich wie bei Thomas Hitzlsperger, als er sich nach seiner Karriere 2014 zu seiner Homosexualität bekannte. Ich kann Per absolut verstehen. Es wird sich auch kein aktiver Spieler, der in der Blütezeit seiner Karriere ist, so dazu äußern wie es Per jetzt gemacht hat.
SPORT1: Schaden die Aussagen Mertesacker für seine neue Tätigkeit bei Arsenal?
Hanke: Nein, im Gegenteil. Er kann den jungen Spielern Unterstützung geben und ihnen helfen, mit solchen Druck-Situationen umzugehen, weil er ihn selbst erfahren hat. Per wird im neuen Job sehr gut zurechtkommen, es wird ihm keinesfalls schaden.
SPORT1: Lothar Matthäus und Christoph Metzelder sind Mertesacker hart angegangen, dafür hagelt es Kritik. Wie ist Ihre Meinung?
Hanke: Metzelder war in seinen Aussagen abgeschwächter als Matthäus, weil er es in der Vergangenheit hundertprozentig selbst erlebt hat. Ich kenne ihn und glaube, dass er auch Phasen in seiner Karriere hatte, wo er lieber das eine oder andere Training hätte ausfallen lassen und überlegt hat, mit dem Fußballspielen aufzuhören.
SPORT1: Und Matthäus?
Hanke: Matthäus finde ich etwas grenzwertig. Natürlich war er zu seiner Zeit ein Riesen-Fußballer und hat auch Druck verspürt. Aber damals war das mediale Interesse nicht so groß wie heute. Als er gespielt hat, gab es noch keine Handys. Er konnte machen, was er wollte, konnte auch feiern gehen. Von daher glaube ich nicht, dass er solch ein hartes Urteil über Per fällen kann, wie man sich in so einer Lage fühlt. Es hat sich enorm viel verändert im Profifußball.
SPORT1: Haben Sie Ähnliches erlebt wie Mertesacker?
Hanke: Ich habe es zu meiner Zeit bei Hannover 96 erlebt. Die letzten anderthalb Jahre dort waren Horror für mich. Ich bin ab und zu nach Hause gefahren und habe geweint, weil ich völlig fertig war, als ich im eigenen Stadion ausgepfiffen wurde. Ich wurde oft in der Stadt mit dem Kinderwagen von Fans angepöbelt. Das war schon nicht schön.
SPORT1: Nach dem Tod von Robert Enke forderten viele, dass sich etwas ändern muss. Ist es menschlicher geworden im harten Fußball-Geschäft?
Hanke: Nach dem Tod von Robert war uns das damals schon klar, dass es nicht besser wird mit der Menschlichkeit im Fußball. Zwei, drei Monate war es danach ein bisschen ruhiger. Aber wenn man das mit Ron-Robert Zieler sieht, wie er von Kölner Ultras beschimpft wurde, dann ist das sehr asozial und macht betroffen. Es hat sich absolut gar nichts verändert im Fußball und ich bin megaglücklich, dass ich da raus bin. Es ist schön, wenn es gut läuft, du Siege einfährst und Erfolge feiern kannst. Das ist alles super. Aber im Abstiegskampf oder in negativen Momenten ist es doppelt schlimm, wenn du von den Medien fertig gemacht wirst. Ich will mich nicht beklagen, weil ich irgendwann gelernt hatte, damit umzugehen. Ich habe das als positive Energie genommen, deshalb bin ich auch nie abgestiegen.
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