Kevin-Prince Boateng kann zufrieden sein. Seine Rückkehr in die Bundesliga ist geglückt.
Boateng kämpft gegen Rassismus
Nach seinem Wechsel im Sommer 2017 von UD Las Palmas zu Eintracht Frankfurt gab es viele negative Stimmen, doch der 30-Jährige hat seine Kritiker verstummen lassen.
Bei den Hessen ist Boateng Leistungsträger und belegt mit seinem Klub nach 18 Spielen Platz neun. Sportlich läuft es also.
Dennoch ist seine Laune getrübt, ein Thema bringt Boateng auf die Palme: Rassismus.
Er selbst war während seiner Zeit beim AC Mailand (2010 bis 2013 und 2016) Opfer rassistischer Anfeindungen geworden. Er verließ daraufhin das Spielfeld und hielt kurze Zeit später am internationalen Tag gegen Rassismus eine Rede vor den Vereinten Nationen.
Zwei aktuelle Ereignisse erzürnen Boateng: Am vergangenen Samstag sorgten die Fans von Hannover 96 für einen Eklat, als sie die beiden Mainzer Profis Leon Balogun und Anthony Ujah mit Affenrufen beleidigten.
Zudem reagierte er kürzlich auf einen Rassismus-Skandal bei H&M. Bereits zuvor hatte sich der Frankfurter mit dem französischen Nationalspieler Blaise Matuidi solidarisiert, der in der italienischen Liga wiederholt von gegnerischen Fans rassistisch beleidigt worden war. "Genug ist genug!!!", schrieb Boateng bei Twitter.
Im SPORT1-Interview spricht Boateng über dieses brisante Thema und kündigt an, wie er dagegen kämpfen will. Zudem verrät er, warum Niko Kovac als Trainer zu Bayern passen würde.
SPORT1: Herr Boateng, Sie sind nun ein halbes Jahr bei Eintracht Frankfurt. Inwiefern haben Sie alles richtig gemacht ?
Kevin-PrinceBoateng: Alles richtig gemacht habe ich in meinem Leben - glaube ich - noch nie. Es hat vieles für mich gepasst und ich habe den Schritt, zur Eintracht zu wechseln, bisher keine Sekunde bereut. Am wichtigsten war es für uns, dass die Familie endlich wieder vereint ist. Meine Frau und unser Sohn (drei Jahre, d. Red.) wohnen bei mir in Frankfurt.
SPORT1: Lassen Sie uns über ein trauriges Thema sprechen. Was sagen Sie zu den Rassismus-Vorfällen im Fußball, die immer mehr zunehmen?
Boateng: Es wird immer schlimmer und es ist sehr schwierig, immer neue Worte dafür zu finden. Ich habe dazu schon sehr viel gesagt und werde weiter noch sehr viel dazu sagen müssen, weil das Thema leider immer präsent ist. Es ist einfach traurig, aber es nützt nichts sauer zu sein. Ich kann das gar nicht als Rassismus sehen, es sind eher Dummheit und Ignoranz. Die Aussagen entstehen, weil diese Leute anderen Menschen weh tun wollen, nicht weil sie sagen wollen, ich mag dunkelhäutige Menschen nicht. Ich habe Leon Balogun, der von den Fans von Hannover 96 mit Affenlauten beschimpft wurde, direkt geschrieben. Wir müssen dagegen vorgehen. Momentan gibt es für mich keinen Schritt nach vorne. Es wird jetzt gegen die 96-Fans ermittelt - aber was passiert dann? Sie bekommen eine Strafe und dann ist alles vorbei? Nein, das darf nicht passieren.
SPORT1: Die H&M Werbekampagne "Coolest Monkey in the Jungle" hat Sie tief getroffen, oder? Beschreiben Sie Ihre Gefühle...
Boateng: Ich war absolut geschockt über diese Kampagne. Ich hätte nicht gedacht, dass dies wirklich eine reale Kampagne sei, sondern ich dachte an einen Internet-Fake. Bei einem so großen Konzern sehe ich das nicht als Fehler. H&M hat rund 30 Millionen Follower im Netz und ein professionelles Marketing, da kann das kein Fehler sein.
SPORT1: Denken Sie, dass dies gewollt war?
Boateng: So einen Fehler kann man nicht begehen, weil es offensichtlich ist. Der Marketingchef ist ja nun auch entlassen worden. Trotzdem denke ich aber nicht, dass man dem Jungen bewusst schaden wollte. Die Entschuldigung von H&M ist jedenfalls nutzlos, gerade in der heutigen Zeit, in der das Thema jeden Tag präsent ist. Heutzutage darf so etwas einfach nicht passieren.
SPORT1: Sie haben angekündigt. dagegen zu kämpfen. Wie wollen Sie das tun?
Boateng: Ich habe sehr viel Unterstützung und Nachrichten bekommen. Dieses Thema braucht Zeit und man muss einen Plan ausarbeiten. Einfach auf die Straße rennen und "No to racism" schreien, reicht nicht. Ich werde nicht müde, dagegen etwas zu tun.
SPORT1: Würden Sie vielleicht auch ein Konzert zu diesem Thema veranstalten?
Boateng: Das kann ich mir vorstellen. Es gibt viele Ideen von Freunden, aber auch von Fremden. Ich werde mich persönlich für das Thema einsetzen, etwas entfachen, das hohe Wellen schlägt.
SPORT1: Sie haben gefordert, dass bei Affenlauten während eines Spiels die Partie sofort abgebrochen werden muss. Ist das immer noch Ihre Meinung?
Boateng: Absolut. Und das ist kein Wunsch. Es ist das, was ich durchsetzen möchte. Ich würde auch als Einzelner vom Platz gehen, wenn ich so etwas höre. Und meine Mannschaft würde mir folgen. Ohne vorherige Absprache würden alle mitkommen. Wir sind eine Mannschaft. So wie ich bei jedem Kollegen auch sofort mitgehen würde. Wenn wir Affenlaute im Stadion zulassen, gibt es gar keine Regeln mehr. Sobald Pyrotechnik abgefeuert wird, wird das Spiel ja auch unterbrochen.
SPORT1: Sie waren persönlich ja auch Leitragender von Rassismus.
Boateng: Ja, ich habe deshalb ja schon vor der UNO gesprochen. Zum Glück erlebe ich das nicht jeden Tag. Aber wenn ich als Dunkelhäutiger in einem schönen Auto sitze, werde ich komisch angeschaut. Ich habe einmal einer älteren Dame im Supermarkt meine Hilfe angeboten, die sie dann abgelehnt hat. Ich hätte eine Idee...
SPORT1: Nämlich welche?
Boateng: Die Idee ist es, kleine Clips zu drehen, die Notsituationen zeigen. Denn wenn wir in Not sind, zählt keine Hautfarbe oder woher wir kommen. Wenn man unter einem brennenden Auto liegt und es kommt ein Dunkelhäutiger oder ein Chinese und hilft dir, dann ist es völlig egal. Dann bist du froh um jede Hilfe. Aber müssen wir erst in Not sein, damit wir uns akzeptieren?
SPORT1: Erzählen Sie von Ihrem Besuch bei der UNO.
Boateng: Ich wurde wegen der rassistischen Äußerungen gegen mich während eines Spiels eingeladen und deshalb, weil meine gesamte Mannschaft mit mir vom Platz gegangen war. Zu dem Thema durfte ich einen kurzen Vortrag halten. Es war einer der stolzesten Momente meines Lebens.
SPORT1: Der Vorfall um den Nationalspieler Matuidi war für Sie zuviel, oder?
Boateng: Ja. Ich habe bereits 2015 gesagt, dass unsere Kinder das Wort Rassismus nicht mehr kennen sollten. Wie schön wäre das. Und jetzt haben wir 2018. Wir als Dunkelhäutige haben noch immer den Gedanken, dass für uns alles schwieriger ist. Ich versetzte mich in die Lage von Blaise Matuidi. Er kommt aus Frankreich, musste für alles hart kämpfen und ist heute einer der besten Mittelfeldspieler der Welt. Er hat es jedem Kritiker gezeigt und alles erreicht. Er hat es geschafft, dass man stolz auf ihn sein kann. Und trotzdem wird er diskriminiert, nur weil er eine andere Hautfarbe hat. Warum ist man als Dunkelhäutiger nicht angesehen und darf seiner Familie keinen Stolz bringen? Matuidi geht nach Hause und fühlt sich ganz klein. So habe ich mich auch schon gefühlt und so fühlen sich sehr viele andere Menschen. Was ist das für ein Gefühl? Du gehst nach Hause und wirst gehasst, weil Du eine andere Hautfarbe hast. Das können sich viele Menschen nicht vorstellen, was das für ein Schmerz ist.
SPORT1: Fühlen Sie sich manchmal auch so?
Boateng: Ja, natürlich. Aber ich weiß meine Gefühle einzuordnen. Es gibt Momente, in denen man den Schmerz zulässt und fühlt. Ich kann mir nicht erklären, warum sich nicht alle Menschen gleich fühlen dürfen, denn das sind wir. Ich muss nicht mit jedem ein Bier trinken gehen, aber jemanden zu hassen, nur weil er anders ist und ihm den Tod zu wünschen, da läuft irgendetwas schief.
SPORT1: Zu den sportlichen Themen: Warum ist Niko Kovac der perfekte Trainer für Sie und für die Eintracht?
Boateng: Niko ist ein Voll-Profi und das 24 Stunden am Tag. Er lebt das auch intensiv vor. Und er verlangt es von uns Spielern. Mit meinen 30 Jahren bringt er mich auf ein Level, das ich selbst nicht mehr für möglich gehalten hätte.
SPORT1: Aber wie macht er das konkret?
Boateng: Er redet immer wieder intensiv mit uns, dass wir beim Thema Fitness und Siegermentalität nicht nachlassen sollen und immer einen Schritt mehr machen müssen. Das alles lebt er auch selber vor. Er will das von jedem Spieler jeden Tag sehen. Es gibt keinen Moment, in dem wir uns ausruhen können. Niko will immer ans Limit gehen. Es ist gut in meinem Alter einen Menschen wie ihn zu haben, der mich so pusht. Er gibt einem das professionelle Leben mit, in jeder Besprechung, auf und auch außerhalb des Platzes.
SPORT1: Klappt es deshalb auch so gut zwischen ihnen, weil Sie in Berlin schon zusammen gespielt haben?
Boateng: Wir sind keine Freunde, er ist mein Boss. Aber wir schätzen uns sehr. Er weiß ganz genau, wie ich ticke, wie er mit mir umgehen muss. Er weiß auch, wann er mal dazwischen hauen und wann er mich mal streicheln muss. Das macht er perfekt.
SPORT1: Wann haben Sie bemerkt, dass Sie ruhiger werden mussten, um der Leader zu sein?
Boateng: Das kann ich nicht sagen, es war ein Lernprozess. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass ich mich nicht in den Mittelpunkt stellen darf. Dies müssen andere tun. Wenn man gute Arbeit leistet. Ich habe wirklich viel gelernt und es funktioniert.
SPORT1: Was haben Sie konkret dafür getan, um bei der Eintracht ein Führungsspieler zu werden?
Boateng: Für mich gab es zwei Regeln: Erstens: Vollgas geben. Und zweitens: sich mit dem Verein identifizieren. Das war das Wichtigste. Auch wenn es schief gegangen wäre, hätte mir so niemand einen Vorwurf machen können. Aber es läuft gut.
SPORT1: Wie sieht eine Identifikation mit einem Klub aus?
Boateng: Auf jeden Fall reicht es nicht das Wappen zu küssen, das habe ich auch noch nie gemacht. Es gibt nur einen Verein, den ich wirklich im Herzen trage und das ist der AC Mailand - und dann vielleicht noch Hertha BSC. Deshalb würde ich nicht sagen, der Adler sei für immer bei mir oder so etwas. Das wäre nicht ich. Stattdessen informiere ich mich und bin interessiert am Verein. Ich möchte wissen, was für die Fans wichtig ist. Ich bin nicht nur ein Spieler, der auf den Platz geht und Fußball spielt. Ich möchte Dinge verbessern, ich will mich zeigen, das ist meine Art. Der Adler ist schließlich wichtig für die Stadt und die Fans.
SPORT1: Viele halten Niko Kovac für den kommenden Trainer beim FC Bayern. Kann das schon im Sommer sein oder käme das nicht zu früh?
Boateng: Was heißt zu früh? Es gibt 16-Jährige, die eigentlich schon Bundesliga-Stammspieler sein sollten. Für mich gibt es kein zu früh. Entweder ist er der Mann für Bayern oder nicht. Das müssen aber andere entscheiden. Ich denke, dass er da als Trainertyp perfekt hinpassen würde. Er hat selbst bei Bayern gespielt, hat immer noch gute Beziehungen dorthin. Aber er hat in Frankfurt noch einen Vertrag. Er wird bei der Eintracht jeden Tag größer und es wird nicht so leicht, ihn hier wegzulotsen.
SPORT1: Bayerns früherer Mediendirektor Markus Hörwick sagte im "Doppelpass", es sei definitiv noch zu früh ?
Boateng: Wie gesagt, zu früh gibt es für mich nicht. Wenn jemand die Qualität hat, sich als Trainer wohl fühlt und bereit ist für den nächsten Schritt, kann er das machen. Ob es klappt, ist eine andere Sache. Ich denke für Niko ist es nicht zu früh, er ist ein gestandener Trainer, hat sich inzwischen auch sehr interessant gemacht für andere Vereine in Europa. Und gerade die Diskussion um ihn zeigt, dass er von der Idee her zu den Bayern passen würde. Egal wann.
SPORT1: Warum passt er zur SGE?
Boateng: Es sind viele Puzzleteile, die bei ihm gut zusammen passen: Seine Art, wie er als Spieler war und was er einer Mannschaft abverlangen kann. Und seine Mentalität. Die Vorstellung ihn mit all dem bei Bayern zu sehen, macht für mich absolut Sinn.
SPORT1: Ist Eintracht schon bereit für Europa?
Boateng: Mein Wunsch vor dieser Saison war, dass wir konstanter spielen als in der vergangenen Spielzeit. Wenn wir das schaffen, ist es für mich zweitranging, ob wir in der Europa League spielen oder im Mittelfeld landen. Wir hatten im vergangenen Jahr in der Rückrunde einen großen Einbruch und das soll dieses Mal nicht wieder passieren. Das ist mein Ziel mit dem Verein.