Tradition gegen Kommerz-Kreation, das Bundesliga-Establishment gegen Emporkömmling: Am Samstag treffen beim Spitzenspiel der Dortmunder gegen Leipzig (Sa., ab 18 Uhr LIVE in unserem Sportradio SPORT1.fm und im LIVETICKER) wieder einmal zwei Fußballwelten aufeinander.
BVB-Fan über RB: "Tod einer Kultur"
Bereits beim Hinspiel blieben einige Teile der BVB-Fanszene dem Spiel in Sachsen fern, schauten lieber den schwarz-gelben Amateuren in der Regionalliga West gegen Wuppertal zu.
Nun reist der Aufsteiger mit elf Punkten Vorsprung zum Champions-League-Achtelfinalisten, bei dem die Stimmung durch fehlende Punkte und internen Wirbel durchaus besser sein könnte.
SPORT1 sprach mit BVB-Fanvertreter und Filmemacher Jan-Henrik Gruszecki vor der Partie über Boykotts, Tradition, Kommerz und die Entwicklung in der Bundesliga.
SPORT1: Herr Gruszecki, ist für das Rückspiel heute in Dortmund wieder eine Protestaktion geplant?
Jan-Henrik Gruszecki: Es gibt keinen expliziten Aufruf, mit Sicherheit wird es aber Proteste im Stadion von den BVB-Fans geben. Die Leute werden ihren Unmut darüber äußern, dass ein Konstrukt wie Red Bull Leipzig überhaupt in der Bundesliga spielen darf.
SPORT1: Vor dem Hinspiel sagten Sie, RB führe den Fußball "ad absurdum". Leipzig ist nach einer richtig guten Hinrunde nun Tabellenzweiter. Hat das etwas an Ihrer Meinung gegenüber dem Verein geändert?
Gruszecki: An meiner Einstellung zu dem, was in Österreich entstand und in Leipzig gewachsen ist, hat sich überhaupt nichts geändert. Wir haben nie kritisiert, dass Red Bull Leipzig nicht in der Bundesliga spielen darf, weil sie schlechten Fußball spielen. Unsere Kritik bewegt sich in die Richtung, dass Leipzig ein reines Marketingkonstrukt und kein Fußballverein ist. Red Bull hat für uns im Profifußball im Allgemeinen nichts zu suchen.
SPORT1: Das Verhältnis ist also nach wie vor angespannt.
Gruszecki: Das Verhältnis zwischen aktiven kritischen Fußballfans und einem Konstrukt wie Red Bull Leipzig wird sich in den nächsten Jahren hoffentlich niemals entspannen. Dass der Verein überhaupt zugelassen wurde, bedeutet langfristig den Tod einer gesamten Fußballkultur. Zumindest wenn mehrere Unternehmen auf die Idee kommen, diesem Modell zu folgen. Ich glaube, die Bundesliga war sehr schlecht beraten, als sie Leipzig die Lizenz erteilt hat.
SPORT1: Bei vielen Fußballfans scheint sich das Bild allmählich zu wandeln.
Gruszecki: Ich verdrehe oft die Augen, wenn ich höre, wie toll doch dieses ganze Fußballprojekt in Leipzig sein soll. Da prallen verschiedene Welten, Fußballphilosophien und Einstellungen aufeinander. Ich werde meine Meinung zu Red Bull niemals ändern, nur weil sie tollen Fußball spielen und einen tollen Trainer haben. Darum geht es aber auch gar nicht, unsere Kritik ist eine völlig andere: In Leipzig wird Fußball gespielt, um eine Dose zu verkaufen. Alle anderen Vereine verfolgen doch auch noch ein anderes Ziel.
SPORT1: Was ist der Unterschied zu 1860 München, die einen Großinvestor haben oder dem HSV mit Gönner Klaus-Michael Kühne? Auch der BVB verfolgt kommerzielle Ziele.
Gruszecki: Der HSV wird, wenn Kühne weg ist, vielleicht absteigen, sich aber nicht auflösen. Nur weil Vereine einen Sponsor haben oder ihren Stadionnamen verkauft haben, sind sie weit davon entfernt, ein Konstrukt wie Red Bull zu sein. Bei Red Bull war es so, dass man in der Konzernzentrale gesessen und sich gefragt hat: "Wo können wir einen Fußballverein aufbauen, der unser Produkt richtig nach vorne bringt?" Dann kam man auf Leipzig. Das hat nichts mit Aufbau Ost und einer super Entwicklung zu tun. Da stecken rein kommerzielle Interessen dahinter. Der BVB dagegen würde immer noch weiter Fußball spielen, auch wenn die Sponsoren abhauen. Das ist immer noch der große Unterschied zwischen Red Bull Leipzig und Vereinen wie dem BVB, Nürnberg, Stuttgart oder Köln.
SPORT1: Ist es für Sie absehbar, dass die Kritik mit der Zeit immer mehr verstummen wird?
Gruszecki: Wenn Leute sich an etwas gewöhnen, wird es sehr schnell normal. Es ist völlig klar, dass die Kritik in den nächsten fünf Jahren von vielen Menschen nicht so laut vorgetragen wird, wie es in der jüngeren Vergangenheit war. Das ist frustrierend und man resigniert teilweise. Grundsätzlich sind aber so viele aktive Fußballfans der Meinung, dass es mit der Fußballkultur in Deutschland bergab geht. Die Einschaltquoten sinken, die Stadien sind nicht mehr so voll, die Bundesliga hat einen "Langeweile-Faktor" bekommen, auch wenn es sportlich jetzt einmal wieder ein bisschen spannend ist. Das Rad lässt sich aber nicht mehr zurückdrehen. Es ist eher eine Blase, die platzt. Ich glaube, dass wir über dem Limit sind und dass die Bundesliga einen Abwärtstrend eingeleitet hat. Am Ende müssen der Fußball und die Vereine die Menschen mitnehmen. Und das sehe ich immer weniger.
SPORT1: Sehen Sie eine derartige Entwicklung auch beim BVB?
Gruszecki: Natürlich. Man muss sich fragen, ob es richtig ist, Heerscharen von Touristen aus anderen Ländern ranzuziehen. Wenn man die Basis kaputt macht, wird eine Internationalisierung auch nicht funktionieren. Fußball ist deutlich mehr Entertainment als Sport derzeit. Aber für mich bedeutet Fußball ein Gegeneinander, an dessen Ende der Bessere gewinnt. Das geht dem Fußball ab, weil das Geld zu wichtig geworden ist. Einer der Treiber dieser Bewegung war auf jeden Fall auch Borussia Dortmund. Das sind Sachen, die wir immer kritisiert haben und immer kritisieren werden.