Norbert Dickel rang um Fassung. Borussia Dortmunds Stadionsprecher, am Mikrofon sonst kein Kind von Traurigkeit, stockte die Stimme, als er nach dem Schlusspfiff im Namen aller Fans sein Beileid bekundete.
Nur das Singen bleibt
"Wir sind voller Trauer und in Gedanken bei den Familien", brachte er schwerfällig und hörbar bewegt hervor.
Der tödliche Herzinfarkt eines 79-jährigen Fans auf der Südtribüne vereinte am Sonntagabend ein ganzes Stadion.
81.000 Zuschauer bekundeten ihre Trauer, indem sie die Fahnen und Banner einrollten, die Unterstützung der 22 Kicker auf dem Rasen einstellten.
Hummels denkt an Paris
Was blieb in diesem Meer aus Mitgefühl war ein unruhiges Gemurmel, die Stimmung merklich gedämpft.
"Wir haben uns während des Spiels kurz ausgetauscht, was sein könnte und haben schon vermutet, dass irgendwas passiert sein muss, weil die Stimmung so ja eben nicht alltäglich ist", sagte BVB-Kapitän Mats Hummels auf SPORT1-Nachfrage.
Der Nationalverteidiger fühlte sich an die Terror-Attacken während des Länderspiels in Frankreich erinnert.
"Das habe ich bisher nur in Paris so erlebt. Da waren große Parallelen zu sehen von der Atmosphäre im Stadion: Ruhig, aber trotzdem eine gewisse Aufgewühltheit, das war ganz seltsam", meinte der 27-Jährige.
Gänsehaut nach dem Schlusspfiff
Der Schulterschluss aller Fans, auch der Mainzer, die kurz vor dem Schlusspfiff "You'll never walk alone" intonierten, war bewegend.
Als die Mannschaft dann um 19:19 Uhr vor der Südtribüne stand, die zum zweiten Mal das Lied anstimmte, herrschte Gänsehaut-Atmosphäre.
"Es gibt Wichtigeres als Fußball, der wird in solchen Momenten schnell zur Nebensache", sagte Nuri Sahin, der erst nach seiner Auswechslung von dem tragischen Ereignis erfuhr.
Für die Akteure auf dem Platz war die Situation alles andere als leicht. "Wir waren natürlich erst überrascht, wir wussten ja nicht, was vorgefallen ist und hatten keine Infos. Nichtsdestotrotz mussten wir unser Spiel spielen und unsere Arbeit machen", sagte Hummels.
Rauball zollt Fans tiefen Respekt
Die reife Leistung des BVB beim 2:0-Erfolg gegen den FSV Mainz 05 rückte logischweise ebenfalls in den Hintergrund: Nach der Partie ging es in und vor den Kabinen ruhiger zu als sonst.
Als BVB-Präsident Reinhard Rauball aus der Kabine kam, lobte er ausdrücklich die Reaktion der Fans beider Seiten.
"Ich habe das eine oder andere Mal, wenn die Fans mal über die Stränge geschlagen haben, deutlich Kritik üben müssen", sagte Rauball auf SPORT1-Nachfrage.
"Aber was sie an Ehre in sich haben und was sie fühlen, was passieren muss, wenn so etwas passiert, das kann man nicht besser zum Ausdruck bringen", sagt Rauball. "Dafür habe ich tiefen Respekt", so der DFB-Vizepräsident.
Erinnerungen an Enke-Tragödie
Auch der Gegner zollte den Fans großen Respekt. "Es ist gut zu sehen, dass die Fans darauf direkt reagieren", sagte Mainz-Verteidiger Leon Balogun zu SPORT1.
"Nach der Sache mit Robert Enke, die ich unmittelbar miterlebt habe, wurde immer an die Menschlichkeit appelliert. Ich finde, lange Zeit, ist das nicht der Fall gewesen", meinte Balogun.
Gerade deshalb sei es "schön, dass man im Fußball und in der Fankultur offensichtlich ein bisschen gereift ist", sagte der 27-Jährige.