Von Julian Draxler spricht auf Schalke im Moment niemand mehr.
Rasselbande lässt Draxler vergessen
Der Frust nach dem überraschenden Wechsel nach Wolfsburg? Scheint vergessen. Die Angst, dass der Verlust des Eigengewächses eine Lücke reißen und somit Probleme bringen könnte? Offenbar unbegründet.
Denn die Schalker scheinen durch den Abgang des einstigen Hoffnungsträgers eher wie von einer Last befreit und sind vor dem zweiten Gruppenspiel in der Europa League am Donnerstag gegen den griechischen Klub Asteras Tripolis (ab 19 Uhr im LIVETICKER und in unserem Sportradio SPORT1.fm) zum besten Saisonstart seit Einführung der Drei-Punkte-Regel gestürmt.
Bei aller Aufbruchstimmung unter dem neuen Trainer Andre Breitenreiter haben damit wohl nur unverbesserliche Optimisten gerechnet.
Doch Breitenreiter hat das geschafft, woran viele seiner Vorgänger früher oder später gescheitert sind: Er hat aus einer Ansammlung talentierter Einzelkämpfer und Diven eine Mannschaft geformt. Und gleichzeitig mit dem Einbau von Identifikationsfiguren aus dem vereinseigenen Fundus "Knappenschmiede" eine beeindruckende Konstanz geschaffen.
Die Zukunft des Klubs
Die waschechten Eigengewächse Leroy Sane (19) und Max Meyer (20) sowie Leon Goretzka (20) gehören in dieser Saison zu den Säulen des Teams, sie symbolisieren die Zukunft des Klubs und den Aufschwung der Gegenwart. Dabei achtet Breitenreiter mit wachsamem Auge darauf, die Talente nicht zu verheizen oder zu sehr unter Druck zu setzen.
Denn sie sollen das behalten, was sie stark macht: die Unbekümmertheit. Gleichzeitig vermittelt er ihnen das wohl wichtigste, was Profis in jungen Jahren brauchen: Vertrauen. Sie dürfen Fehler machen, ohne dass ihnen sofort die Bank blüht.
Sie dürfen und sollen sich austoben, auch mal etwas Ungewöhnliches probieren. Ihre Einsatzzeiten werden dabei wohl dosiert. Breitenreiter lobt und fördert, verpasst den Jungs aber auch einen Tritt in den Hintern, wenn es nötig ist.
Meyer blüht regelrecht auf, seit er die Position von Draxler auf der linken Seite ausfüllt. Vorher waren seine Unbekümmertheit, seine Tempo-Dribblings und kreativen Überraschungsmomente oft nur temporär gefragt.
Goretzka hat wegen eines doppelten Muskelbündelrisses eine verlorene Vorsaison hinter sich, startet jetzt wieder durch und ist ganz nebenbei der Sieggarant: Immer wenn er in der Startelf stand, gewann Schalke auch das Spiel.
"Das spiegelt sich in der Leistung wider"
"Die Vorbereitung hat mir sehr, sehr gut getan. Ich habe keine Probleme mehr, die Wege zu gehen, die ich gehen möchte. Das spiegelt sich in der Leistung wider", sagte Goretzka nach dem Sieg beim Hamburger SV, dem fünften Pflichtspielerfolg in Serie.
Er bereitete das 1:0 durch Sane vor, der damit innerhalb von einer Woche in drei Bundesligaspielen drei Tore erzielte, davon zweimal den Siegtreffer.
Sane überzeugt mit seinen unwiderstehlichen Tempovorstößen, seiner Zweikampfstärke und dem Zug zum Tor, immer wieder gespickt mit kleinen technischen Kunststücken - von denen sich der Trainer aber nicht blenden lässt. "Er muss in der Defensive noch viel lernen. Er ist wie viele andere bei uns auch ein junger Bursche, sie bekommen die Zeit", sagt Breitenreiter.
Denn die Worte Draxlers hallen immer noch nach. "Ich kam zu der Überzeugung, dass ich es auf Schalke nicht mehr geschafft hätte, dem Druck und der Erwartungshaltung standzuhalten", hatte der Weltmeister als einen wichtigen Grund für seinen Wechsel nach Wolfsburg genannt. Das hat sich auf Schalke offenbar eingebrannt. Als Mahnung.
Nicht zu groß machen
"Dass sie Potenzial haben, zeigen sie eindeutig", sagte Breitenreiter über seine jungen Wilden, zu denen auch der 22 Jahre alte Johannes Geis zählt, der im Sommer aus Mainz kam. Nicht zu vergessen Joel Matip, ebenfalls ein Eigengewächs und gerade einmal 24 Jahre alt.
"Sie sollen mit dieser Unbekümmertheit auf den Platz gehen. Dann werden wir viel Freude mit ihnen haben. Und ich möchte auch, dass wir sie nicht zu groß machen", sagt Breitenreiter.
Sane wurde dafür zum Beispiel mit einem Interview-Verbot belegt. Auch über Max Meyer hat er seine schützende Hand gelegt. "Eine schützende Hand ist schön, aber letztendlich sind wir selbst gefordert", sagt Goretzka.
Doch die Verantwortlichen wissen: Auf Schalke kann das emotionale Umfeld im Erfolgsfall Flügel verleihen, der Hype sogar Kräfte freisetzen. Umgekehrt kann das aber auch schnell mal zur Bürde werden. Wie bei Julian Draxler.