Von Frank Hellmann
Ein Denkmal bröckelt
Frankfurt - In gewisser Hinsicht ist Thomas Schaaf unschlagbar.
Keine Frage, der der Trainer von Eintracht Frankfurt nach dem Training ausweicht. Kein Autogrammwunsch, den der 53-Jährige nach dem Training ausschlägt.
Und selbst wenn auf dem Weg zu den Kabinen noch ein letztes Selfie gemacht werden soll, bleibt der Fußballlehrer geduldig stehen und setzt sein Lächeln auf.
Was in der Ferienzeit dazu führt, dass Schaaf hinter allen Spielern den Weg die Treppen hoch in die Umkleiden kommt.
Wäre die Fanarbeit ein Indikator für Beliebtheit, dann hätte der neue Fußballlehrer dem alten Star längst den Rang abgelaufen: Demnach stände Thomas Schaaf bei den Anhängern höher im Kurs als Alexander Meier.
Der wird bekanntlich im Frankfurter Stadtwald nur mit dem Beinamen "Fußballgott" empfangen, doch seine Nichtberücksichtig im DFB-Pokal und in der Bundesliga hat klar gemacht: Vor dem Spiel am Samstag beim VfL Wolfsburg (ab 15 Uhr LIVE auf SPORT1.fm und im LIVE-TICKER), dem Meier zu allem Überfluss wegen anhaltender Kniebeschwerden fernbleiben muss, hat die Götterdämmerung eingesetzt.
Der gerne als "Lebensversicherung" bezeichnete Schlaks aus Buchholz in der Nordheide ist in der Mainmetropole zum austauschbaren Profi geworden. Und führt ein Leben als Einwechselspieler.
Die Nummer 14 nicht mehr gut genug für die Startelf? "Ich weiß, dass Alex Meier in der Öffentlichkeit einen größeren Raum einnimmt", sagt Schaaf, "weil er in seinen zehn Jahren viele Tore geschossen hat."
Nämlich in Pflichtspielen genau 100. Doch der Coach fügt auch an: "Wir führen jetzt eine emotionale Diskussion. Die rationale sieht anders aus."
Demnach sei einer der torgefährlichsten Mittelfeldspieler der Liga gerade nicht in dem Zustand, zur ersten Mannschaft zu gehören.
Wegen Spritzen in sein lädiertes Knie ? er hat Probleme an der Patellasehne - hat der 31-Jährige auch vor dem Spiel in Wolfsburg wieder eine Übungseinheit abgebrochen.
"Es ist alles okay", sagt Meier stets über seinen Gesundheitszustand ? sein Gemütszustand sieht anders aus. Der Fußballer wirkt frustriert.
"Ich habe keine Probleme mit dem Trainer und er nicht mit mir", lautet die pflichtschuldige Beschreibung seiner unbefriedigenden Situation.
Die Mimik des 1,96-Meter-Mannes, der sich neuerdings einen ulkigen Haarschopf bindet, spricht dabei Bände. Ist ja nicht so leicht, wenn ein Denkmal zu stürzen droht.
Die Entmachtung vollzieht sich schrittweise: Als nach den Abgängen von Pirmin Schwegler und Sebastian Jung ein neuer Kapitän in Frankfurt gesucht wurde, wäre eigentlich allein Meier die logische Lösung gewesen.
Doch Schaaf gab die Binde an den sichtlich überraschten Torwart Kevin Trapp. Nach dem Pokalspiel bei Viktoria Berlin (2:0) murrte Meier: Er sei nicht derjenige, der sein Gehalt fürs Warmlaufen beziehe.
Nachdem er auch beim Liga-Start gegen den SC Freiburg (1:0) draußen saß und bei seiner Einwechslung wie ein Messias begrüßt wurde, befleißigte er sich moderaterer Töne. "Es hat sich angedeutet: Damit muss ich leben."
Ein bisschen erinnert der Konflikt an das, was Schaaf in seiner Anfangszeit beim SV Werder mit Andreas Herzog machte. In der Saison 2001/2002 setzte er den verletzungsanfälligen Spielmacher auf die Bank.
Der damals bereits 33-jährige Österreicher beschwerte sich öffentlich und wechselte schlussendlich schmollend zu Rapid Wien. Später kam dafür Johan Micoud und der Erfolg nach Bremen ? Schaaf ("Ich musste etwas ändern") hatte alles richtig gemacht.
Auch bei Meier wirkt es bisweilen so, als sei sein Stil ? hinter den Spitzen auf Torabschlüsse lauern und phasenweise ganz aus dem Spiel abtauchen ? ein bisschen aus der Zeit gefallen.
Der Frankfurter Unterschied zu den Bremer Verhältnisse: Meier ist - anders als Herzog - nicht isoliert. Im Gegenteil.
Die Identifikationsfigur wird nicht nur von Vorstandschef Heribert Bruchhagen hoch geschätzt, und der Publikumsliebling stieg im Frühjahr nach wochenlangem Gefeilsche mit einem neuen Dreijahresvertrag zum Bestverdiener auf.
Hinter den Kulissen soll es nun bereits mehrere Krisengespräche gegeben haben.
Sportdirektor Bruno Hübner steht öffentlich Schaaf bei. Seine Forderung: Meier müsse in die Gänge kommen. Übersetzt heißt das: raus aus der Komfortzone. Immerhin schließt Meier-Berater Paul Koutsolikakos aus, dass ein Weggang noch zum Thema wird.
"Alex hatte mehrfach die Möglichkeiten, den Verein zu wechseln, und hat sich für die Eintracht entschieden. Über kurz oder lang wird er wieder in der Startelf stehen."
Aber wohl kaum am Samstag in Wolfsburg.