Michael Köllner führte den 1. FC Nürnberg 2018 in die Bundesliga und schrammte mit 1860 München 2021 und 2022 nur knapp am Aufstieg in die Zweite Liga vorbei. In der Saison 2020/21 wurde er zum Trainer des Jahres in der dritten Liga gewählt. Anfang April 2023 übernahm er den Cheftrainer-Posten beim Drittligisten FC Ingolstadt. Und auch dort hat er Erfolg.
Haben Sie Rachegelüste, Herr Köllner?
Die Schanzer belegen vor Köllners Rückkehr am Sonntag ins Grünwalder Stadion (1860 München - FC Ingolstadt, ab 16.30 Uhr im LIVETICKER) Platz vier. Im exklusiven SPORT1-Interview spricht der 54-Jährige über seine Arbeit, die Löwen und sein Händchen für Talente.
SPORT1: Herr Köllner, der FCI feierte vor einigen Tagen seine 20-jährige Vereinsgeschichte. Da waren auch Ex-Schanzer-Trainer wie Ralf Hasenhüttl und Tomas Oral dabei. Wie war das für Sie als relativ neuer FCI-Trainer?
Michael Köllner: Es war ein beeindruckendes Jubiläum, weil wir die ganze Geschichte des Klubs an einem Abend geballt erleben durften – auch durch das für diesen Tag extra geschaffene Museum. Es waren viele ehemalige Weggefährten des Vereins zu Gast. Der FCI hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Ich kannte viele Protagonisten, die vor Ort waren - und durch unseren Sieg gegen Dresden einen Tag zuvor, haben wir eine ideale Steilvorlage für eine schöne aktuelle Momentaufnahme geliefert.
„Du bist sofort gefragt und musst Ergebnisse liefern“
SPORT1: Sie können zufrieden sein mit der sportlichen Situation, oder?
Köllner: Absolut, aber wir werden zum aktuellen Zeitpunkt nicht anfangen, große Ziele zu formulieren. Vielmehr ist es ratsam, weiterhin im Hier und Jetzt zu bleiben. Der Umbruch im vergangenen Sommer war eine Mammut-Aufgabe für alle Beteiligten. So galt es in der Rückrunde der vergangenen Spielzeit zu retten, was zu retten war. Zur neuen Saison hat es zunächst seine Zeit gedauert, da wir Spieler aus unterschiedlichen Vereinen mit zum Teil komplett unterschiedlichen Spielstilen zu uns geholt haben. Daher wussten wir und haben es auch entsprechend einkalkuliert, dass der Start in die neue Saison ruckeln kann. Zum Glück haben wir uns schnell gefunden und Konstanz rein bekommen. Aus den zurückliegenden elf Spielen haben wir nur in Halle verloren. Jetzt gilt es, weiter dran zu bleiben und alles zu tun, unser Spiel auf den Platz zu bringen. Dieses ist vor allem von Tempo, Wucht und Intensität geprägt.
SPORT1: Wie gelingt ein solcher Umbruch?
Köllner: Ich trainiere meinen dritten Profiverein und habe jeden der Klubs in einer ähnlichen Situation übernommen, musste immer während einer Saison in einer jeweils sportlich sehr herausfordernden Lage eingreifen. Das ist nie leicht. Du bist sofort gefragt und musst Ergebnisse liefern, aber gleichzeitig auch schauen, was für die nächste Spielzeit perspektivisch verändert werden soll. Beim Club gelang mir während meiner Zeit dort der Aufstieg in die Bundesliga, bei 1860 waren wir unter anderem sofort nach meiner Übernahme 14 Spiele ungeschlagen und sind rückblickend immer knapp am Aufstieg in die 2. Liga vorbeigeschrammt. Jedoch sind Nürnberg, Sechzig und Ingolstadt drei völlig unterschiedliche Klubs. Der FCI ist ein junger, ambitionierter Verein, der bereits zwei Jahre im Oberhaus gespielt hat und bei dem ich als Trainer meine Spuren hinterlassen kann. Bei uns geht es im Hier und Jetzt darum, Spieler fußballerisch wie menschlich auszubilden und zu formen sowie durch Entwicklungen und Transfers monetäre Erlöse zu generieren. Wir haben einige Jungs in unseren Reihen, die vielversprechende Talente sind und denen ich einiges zutraue. Zudem ist Lukas Fröde, Neuzugang und Kapitän, schon gleich das Gesicht des Klubs geworden. Bei einem Verein wie in Ingolstadt ist die Geschichte noch jung, und jeder, der hier ist, kann sie entscheidend mitprägen. Generell gilt aber festzuhalten: Ein Umbruch ist immer schwierig.
SPORT1: Welche Parameter sind entscheidend bei einem Umbruch?
Köllner: Es geht auf der einen Seite um den Charakter sowie die Mentalität und auf der anderen Seite um Entwicklungsfähigkeit. Das mit dem Charakter ist nicht so einfach, da du nicht in die Jungs hineinschauen kannst. Hier brauchst du das nötige Fingerspitzengefühl, Menschenkenntnis und Erfahrung im Umgang. Im vergangenen Sommer haben Didi Beiersdorfer (Geschäftsführer, Anm. d. Red.), Ivo Grlic (Sportdirektor, Anm. d. Red.) und ich das Scouting sowie die Akquise der einzelnen Spieler sehr gut gemeinsam gemeistert. Das merkt man nicht nur an den Ergebnissen, die jetzt da sind, sondern daran, wie die Mannschaft zusammen agiert, wie die unterschiedlichen Charaktere auf und neben dem Platz eine Einheit bilden.
SPORT1: Warum wollen Sie das Wort Aufstieg nicht in den Mund nehmen? Mit Verlaub der FCI ist Vierter.
Köllner: Jeder Verein, der oben mitspielt in dieser Liga, hat Ambitionen. Bei uns gibt es aber Dinge, die uns von anderen Konkurrenten unterscheiden: Wir haben ein kleines, feines Publikum und sehr viele Menschen in der Region, die den FCI extrem lieben. Innerhalb von 20 Jahren kann einfach noch nicht so eine Wucht wie bei 1860 oder Dynamo Dresden vorhanden sein. Das muss über Jahre und Jahrzehnte wachsen. Zudem haben wir mit den kleinsten Kader in der Liga und mit Deniz Zeitler den jüngsten Spieler der Schanzer-Geschichte (im Dezember 17 Jahre alt geworden, Anm. d. R.) in unseren Reihen. Was ich damit sagen will - wir müssen komplett bei uns bleiben, uns jeden Punkt hart erarbeiten und es müssen viele Dinge richtig gemacht werden, damit wir unsere Performance aus den letzten Spielen Woche für Woche wiederholen können.
„Audi schüttet unseren Verein nicht mit Geld zu“
SPORT1: Was sind die Rahmenbedingungen in Ingolstadt - wie tickt ein solcher Verein, der für viele als Plastikklub wahrgenommen wird?
Köllner: Kein Verein kann ohne Sponsoren und finanzielle Zuwendung im Profifußball überleben. Audi schüttet unseren Verein nicht mit Geld zu, sondern wir müssen selbstverständlich wirtschaftlich verantwortungsvoll und gut arbeiten und sind darüber hinaus auf die Einnahmen der vielen anderen Sponsoren hier angewiesen. Die erzielten Einnahmen aus den Bundesliga-Jahren sind mittlerweile aufgebraucht und unser Etat in diesem Jahr ist ein deutliches Stück niedriger als im vergangenen Jahr. Heißt: Ich kann keinen Wunschzettel schreiben und diesen mit Spielern versehen. Stattdessen gehört zu unserem Agieren auch unabdingbar dazu, clevere Deals mit Jungprofis, die woanders noch nicht durchgestartet sind, zu machen um Transfererlöse zu erzielen. Unser Stadion war zudem das Werk von Peter Jackwerth (FCI-Präsident, Anm. d. Red.), der Audi wenig später mit ins Boot geholt hat. Der FCI ist ein Klub, der von vielen Menschen hier mit vollster Leidenschaft gegründet und mit vielen Emotionen gelebt wird und natürlich das Glück hat, mit Audi einen unfassbar starken Partner an der Seite zu haben.
SPORT1: Was sind die Unterschiede zu Ihren Stationen Nürnberg und 1860? Das waren Traditionsvereine.
Köllner: Natürlich ist es beeindruckend, vor 50.000 Menschen ins Max-Morlock-Stadion einzulaufen. Da kriege ich heute noch Gänsehaut. Ich sehe es aber grundsätzlich etwas nüchterner, denn meinen Job reduziere ich auf die Arbeit mit der Mannschaft. Ich gehe in die Kabine und dann ist es mir egal, ob die toll ausgestattet ist wie in Nürnberg oder beim FCI oder etwas antiquierter aussieht wie bei 1860. Da sitzen 25 bis 30 Jungs, die alle eine hohe Erwartung an sich selbst und an mich als Trainer haben.
SPORT1: Sie haben sicher auch ein Commitment mit den Spielern.
Köllner: Ganz genau. Ich will die Jungs besser machen. Bis jetzt habe ich mit vielen tollen Spielern zusammenarbeiten dürfen. Die Zeit in Ingolstadt ist schon jetzt etwas ganz Besonderes für mich. Auch bei meinen anderen Stationen hatte ich das Glück, außergewöhnlich lange dort arbeiten zu dürfen. In Nürnberg waren es zum Beispiel zwei Jahre Profizeit und ein Jahr NLZ, bei den Löwen über drei Jahre. Und ich hoffe, dass meine Zeit beim FCI nicht in vier Wochen vorbei ist. Denn ich arbeite unheimlich gerne mit meinen Spielern zusammen und tue alles dafür, damit wir unsere Ziele erreichen.
SPORT1: Sie fördern und formen stets junge Talente wie Morgalla oder Wörl bei 1860. Was braucht es dazu an Vorstellungskraft, dem Glauben, die Fertigkeiten, um die richtigen Punkte bei den Spielern zu treffen?
Köllner: Das lief in Nürnberg schon bei Eduard Löwen (für rund zehn Millionen Euro zu Hertha BSC, Anm. d. Red.) so, der zum Rekordverkauf wurde. Für den Club war das ein enormer Mehrwert. Genauso Abdelhamid Sabiri. Ich will das aber gar nicht nur auf Nachwuchsspieler beziehen, denn bei denen zahlst du auch eine gewisse ‚Ausbildungsentschädigung‘, denn Fehler gehören nun Mal in jungen Jahren dazu. Vielmehr ist es für mich wichtig, Spieler zur Höchstform zu treiben, egal wie alt sie sind. Sascha Mölders war zum Beispiel schon deutlich erfahrener. Auch ein Hanno Behrens spielte bei mir in Nürnberg wahrscheinlich die beste Saison in seiner Karriere. Marcel Bär bei 1860 mit dem Gewinn der Torjägerkanone hatte sicherlich auch ein neues Level in seiner Karriere erreicht. Am Ende der gemeinsamen Zeit soll ein Spieler sagen ‚Der Köllner hat mich besser gemacht‘. Da schließe ich keinen 36-Jährigen aus, aber auch keinen 16-Jährigen. Es gehört viel Einfühlungsvermögen dazu. Beim Teenager ist es vielleicht nochmal etwas schwieriger, da er noch zur Schule geht, während der 36-Jährige womöglich schon drei Kinder zuhause hat. (lacht)
„Ich traue mir die Bundesliga definitiv zu“
SPORT1: Sie gehören mit dem FCI zu einer der angriffsstärksten Mannschaften der Liga. Ist das jetzt Ihre Handschrift?
Köllner: Man muss am Ende den Stil finden, der am besten zum Verein passt und danach dann auch bestmöglich die Spieler passend zu ihren Stärken einsetzen. Nicht einfach nur sagen ‚Das ist der Köllner-Fußball‘. Sondern sich hinterfragen, was den Verein stark macht und welche Eigenschaften man selbst mitbringt. Die Mischung macht es aus. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, einen sehr wuchtigen Fußball mit guten Standards zu spielen. Ich freue mich, dass die Dinge nach und nach aufgehen.
SPORT1: Wie anstrengend ist der Trainerjob für Sie?
Köllner: Das ist ein 24/7-Job. Ich mache diesen Beruf schon immer mit einer großen Freude und mein täglicher Antrieb ist das Miteinander zwischen Mannschaft und mir. Dafür brenne ich jeden Tag als Trainer. Auch zu den Verantwortlichen muss es eine gute Verbindung geben. Dann passt es für mich. Ich will sehen, wie Dinge im Verein wachsen und dass am Ende das Puzzle zusammengefügt werden kann. Ich war immer schon ein Workaholic und konnte als Trainer noch nie wirklich abschalten. Mir reicht eine Stunde am Tag für mich selbst, meistens gehe ich dann laufen. Der Trainerjob ist sehr herausfordernd, man ist an sehr vielen Themen beteiligt. Jeder der mich verpflichtet, weiß, was er von mir kriegt.
SPORT1: Würden Sie sich auch die Bundesliga zutrauen?
Köllner: Ich traue mir die Bundesliga definitiv zu! Ich war mit dem 1. FC Nürnberg ja bereits in der Bundesliga. Wer den FCN, 1860 und die Schanzer kann, der kann auch Bundesliga. Beim ‚Club‘ hatte ich einen e.V.-Verein, mit 1860 einen Verein, der von einem Investor mitgeführt wird und beim FCI einen Klub, der stark von einem Konzern geprägt ist. Mit diesen Vereinen habe ich also schon eine große Schnittmenge an Konstellationen, die es im Profifußball gibt und ich war dadurch auch in allen deutschen Profiligen tätig. Generell will ich einfach sportlich gesehen das Maximum herausholen. Ich habe aber keinen fixen Karriereplan, sondern lebe im Hier und Jetzt und genieße es.
SPORT1: Bei 1860 hatten Sie die längste Amtszeit nach Werner Lorant. Wie stolz macht Sie das?
Köllner: Das macht mich irgendwo schon stolz. Nach Daniel Bierofka die Münchener Löwen zu übernehmen, war nicht einfach. Damals war die Mannschaft sportlich wie mental in keinem guten Zustand. Die Spieler waren auch von den Nebengeräuschen belastet. Am Ende ist es mir gelungen, Ruhe reinzukriegen und den Klub zu stabilisieren. Auch wären wir zweimal fast aufgestiegen, das war schon eine insgesamt tolle Zeit. Ich schaue gerne zurück, weil die Vergangenheit immer ein Teil von einem ist, aber die Zeit ist vorbei. Nun bin ich Trainer beim FCI, das ist es, was zählt.
SPORT1: Spüren Sie etwas Genugtuung? Unter Ihnen lief es bei den Löwen deutlich besser.
Köllner: Ich spüre keine Genugtuung. Das Ende war damals absehbar. Es war klar, dass mich gewisse Leute nicht mehr an der Seitenlinie haben wollten. Und daher wusste ich nach so manchen Gesprächen, dass der nächste Fehltritt, also die nächste Niederlage, mir meinen Job vermutlich kosten kann. Daher war ich vorbereitet. Was ich aber nicht wusste, dass ich schon einige Wochen später in Ingolstadt einen neuen Klub übernehmen werde. Ich hatte mich nämlich auf eine längere Pause eingestellt (lacht). Rachegelüste habe ich also nicht, ganz im Gegenteil. Die Zeit bei 1860 nimmt mir niemand und von sehr vielen Löwen-Fans bekomme ich noch immer positives Feedback.
SPORT1: Werden Sie etwas nervös sein am Sonntag vor der Rückkehr ins Grünwalder Stadion?
Köllner: Vor dem Hinspiel war ich nervös. Zudem lagen wir in der Halbzeit 0:1 zurück und ich sah die Blitztabelle auf der Anzeigentafel, da waren wir Letzter. Das war kein schöner Moment. Aber wir haben das Spiel dann, dank einer tollen zweiten Halbzeit, noch gewonnen und die Spieltagstabelle danach sah auch wieder freundlicher aus (lacht). Ich bin nun fast ein Jahr beim FCI und mache das unheimlich gerne. Ich bin total zufrieden bei den Schanzern und identifiziere mich total. Sechzig ist für mich Vergangenheit. Das Grünwalder Stadion ist einzigartig ‚old fashion‘, da gibt es keine Business-Räume, du riechst keine Bratwurst, weil es keine Bratwurst gibt. (lacht) Die Stehhalle und die Kurve sind immens. Ich freue mich auf die Rückkehr und das Wirken an meiner alten Stätte. Für beide Teams geht es um wichtige Punkte.
SPORT1: Welche Trainer haben Sie inspiriert?
Köllner: Louis van Gaal habe ich beim FC Bayern ausführlich verfolgen können, weil ich damals im Münchner Stadtteil Harlaching gewohnt habe. Somit war ich regelmäßig beim Training vor Ort. Zudem war ich gefühlt bei jedem Champions-League-Spiel dabei und habe mir sogar das Aufwärmen immer minutiös angeschaut und mitgefilmt. Es war unglaublich, wie van Gaal alles geplant hat. Matthias Sammer ermöglichte mir Hospitationen bei den Bayern unter Pep Guardiola. Ich konnte mir unfassbar viel abschauen. Das war schon beeindruckend, Inhalte von van Gaal oder Guardiola aus nächster Nähe zu beobachten und aufsaugen zu können - und sich sogar persönlich inhaltlich auszutauschen. Aber der Austausch bringt nur etwas, wenn man die nächsten Schritte dann auch selbst geht.
SPORT1: Was kann Klopp nach seiner Liverpool-Zeit noch machen?
Köllner: Das kann nur er wissen. Alles, was Jürgen bisher machte, ist authentisch. Eine kleine Anekdote - ich habe wie Miro Klose eine Absage von ihm bekommen, als ich bei ihm hospitieren wollte. Er sagte mir, ‚Das geht nicht, das machen nur ehemalige Spieler bei mir‘. Er muss sich keine Sorgen um seine Zukunft machen. Er kann sich den nächsten Arbeitgeber aussuchen, wenn er das will.