Jo Laumann ist vieles – Abenteurer, Fußball-Lehrer, Grenzgänger. Geboren in Marrakesch, aufgewachsen im Ruhrgebiet, hat ihn der Fußball rund um den Globus geführt: Stationen in Vietnam, Zypern und zuletzt als Co-Trainer der ghanaischen Nationalmannschaft pflastern seinen ungewöhnlichen Weg.
Seine Bundesliga-Karriere dauerte 38 Sekunden
38 Sekunden Bundesliga
Dabei sah zunächst alles nach einer schillernden Spielerkarriere aus: Als vielversprechender Nachwuchskicker bei Schalke 04 stand ihm einst die Tür zum Profi-Fußball auf höchstem Niveau weit offen. Doch eine schwere Erkrankung stoppte jäh seinen Aufstieg und zwang ihn zum Umdenken.
Im Gespräch mit SPORT1 blickt Laumann zurück auf Höhen und Tiefen seines Weges, spricht über den Fußball in Afrika, seine Trainerphilosophie, Duelle mit Wayne Rooney und erzählt, wie ihm ein kleiner Schwindel beim Probetraining einst zum Verhängnis wurde.
Weltenbummler führt es nach Ghana
SPORT1: Herr Laumann, auf dem Trainermarkt ist aktuell viel los. Wie sieht es bei Ihnen aus? Sieht man Sie ab kommender Saison wieder irgendwo an der Seitenlinie?
Laumann: Ich hoffe es (lacht). Es kann zwar auch noch Wochen und Monate dauern, es kann aber auch immer ganz schnell gehen. Mir geht es immer um die Chemie. Ich muss spüren, dass der Verein Bock auf mich hat und ich auf das Projekt. Ich bin aktuell mit einigen Sportdirektoren, meinem Berater und Trainerkollegen im Austausch. Gucken wir mal, was passiert.
SPORT1: Sie sind in Ihrer Karriere schon ordentlich herumgekommen. Zuletzt waren Sie knapp eineinhalb Jahre als Co-Trainer der ghanaischen Nationalmannschaft, der „Black Stars“, tätig - an der Seite von Cheftrainer und Ex-BVB-Spieler Otto Addo. Wie war diese Erfahrung für Sie?
Laumann: Es war super spannend und ich durfte die ghanaische Kultur und die Menschen im Land kennenlernen. Wir waren auch in Libyen und Angola. Das größte Learning für mich war, dass ich mit Topstars, die einen Marktwert von über 40 Millionen Euro haben, zusammenarbeiten konnte – mit Stars aus der Premier League. Mit Otto und dem Staff lief es auch super, wir sind nach wie vor regelmäßig im Austausch. Ich konnte viel von ihm lernen und bin ihm sehr dankbar.
SPORT1: Wie unterscheidet sich der Fußball in Afrika von dem in Europa oder Deutschland?
Laumann: Die Infrastruktur, die Fußballplätze und die Bedingungen vor Ort sind natürlich ganz anders als hier, nicht annähernd so gut. Da gibt es Riesen-Unterschiede. Da musst du flexibel sein und dich auch anpassen können. Aber am Ende bleibt Fußball Fußball. In Afrika ist das Spiel oft nicht so laufintensiv, dafür sind die Intensität und Körperlichkeit in Zweikämpfen enorm hoch. Außerdem gibt es dort schon auch viele „Zocker“, die einfach Bock haben zu zaubern. Auch wenn es vielleicht nicht immer das Effektivste ist.
SPORT1: Ihre Mutter ist Marokkanerin, Ihr Vater ist Deutscher. Sie sind in Marrakesch geboren und dort aufgewachsen. Im Alter von zehn Jahren sind Sie dann nach Deutschland gekommen. Wie schwer war dieser Schritt und welche Rolle hat der Fußball für Sie gespielt?
Laumann: Am Anfang war es schon hart. In Marokko war ich in der Schule, bin danach sofort auf den Fußballplatz gegangen und habe den ganzen Tag dort gespielt. Durch den Umzug wurde ich aus meinem Leben dort komplett rausgerissen. Mein Papa hatte mir dann aber versprochen, mich in Deutschland im Verein anzumelden. Diese Aussicht hat mir extrem geholfen. Und er hat Wort gehalten. Das war für mich der Schlüssel zur Integration. Ich habe dadurch schnell Deutsch gelernt und neue Freunde kennengelernt. Auf dem Platz hat es nie eine Rolle gespielt, wie gut ich Deutsch sprechen konnte und woher ich komme. Da haben wir einfach den Ball hingelegt und fünf gegen fünf gespielt – fertig. Das ist doch auch das Geile am Fußball.
38 Bundesliga-Sekunden mit Schalke
SPORT1: War da schon immer klar, dass Sie Fußballprofi oder Trainer werden wollen?
Laumann: Als Kind willst du natürlich nicht Trainer werden, sondern Fußballprofi. Trotzdem habe ich mit 17 Jahren auch schon eine E-Jugend trainiert. Vier Jahre lang war ich dort Coach. Als ich zu Schalke gewechselt bin, musste ich die Mannschaft dann leider abgeben. Aber Trainer zu sein hat mir damals schon extrem viel Spaß gemacht. Deshalb war mir schon früh klar, dass ich meine Lizenzen machen und später als Trainer arbeiten will.
SPORT1: Schönes Stichwort - 2004 sind Sie vom SSV Hagen zur zweiten Mannschaft zu Schalke 04 gewechselt. Im September 2005 wurden Sie gegen Hannover in der Nachspielzeit einwechselt - 38 Bundesliga-Sekunden, die Ihnen niemand mehr nehmen kann. War das Ihr Karriere-Highlight?
Laumann: Das ganze Jahr dort war ein absolutes Highlight. Ich durfte in der Bundesliga auf der Bank sitzen, auch in der Champions League gegen die AC Mailand. Und die Qualität meiner Mitspieler war enorm: Manuel Neuer, Marcelo Bordon, Rafinha, Lincoln, Kuranyi, Asamoah, … da konnte ich enorm viel lernen und mitnehmen.
SPORT1: Ihr damaliger Förderer war Schalke-Coach Ralf Rangnick. War er auch Inspiration dafür, dass Sie heute Trainer sind?
Laumann: Ich habe das mir schon sehr genau angeguckt. Ich kam aus dem Amateurbereich, habe so etwas vorher noch nie erlebt. Er hatte immer einen klaren Plan und genaue Vorstellungen, wie er Fußballspielen will. Er hat nichts dem Zufall überlassen. Das war für mich eine komplett neue Welt. Das hat mich beeindruckt.
Eine schwere Erkrankung als Hindernis
SPORT1: Auf Ihren Höhepunkt folgte ein heftiger Rückschlag. Hirnhautentzündung und sechs Wochen Krankenhaus….
Laumann: Das Timing war schon extrem. Ich hatte gerade meine ersten Bundesliga-Sekunden bekommen. Der Coach meinte, dass ich nah dran wäre und bald noch mehr Minuten bekommen würde. Und ausgerechnet wenige Tage nach meinem ersten Einsatz bin ich ins Krankenhaus gekommen. Und dann war ich natürlich erstmal komplett raus. Das war eine wahnsinnig schwierige Phase. Vor allem auch mental für mich als junger Spieler.
SPORT1: Es folgten Stationen in der Regionalliga bei RW Ahlen, VfB Lübeck, in Erfurt und Siegen. Nach einer Saison bei der zweiten Mannschaft des MSV Duisburg haben Sie 2010 den Sprung ins Ausland gewagt. APOP Kinyras (Zypern) und Ninh Binh FC (Vietnam) (wurde 2007 gegründet und 2015 wieder aufgelöst, weil Spieler an Spielmanipulationen beteiligt waren). Warum sind sie aus Deutschland weg? Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?
Laumann: Ich wollte über die 3. Liga nach oben kommen. Als ich dann aber gemerkt habe, dass das nicht so leicht ist, wollte ich unbedingt nochmal etwas ganz anderes erleben. Der Fußball hat mir ermöglicht, Erfahrungen im Ausland zu sammeln und neue Menschen, Länder und Kulturen kennenzulernen. Ich habe aber auch ganz viel Zeit alleine verbracht. Da musste und habe ich sehr viel reflektiert. Das hat mich auch menschlich reifen lassen.
Wie ein Schwindel zum Rausschmiss führte
SPORT1: Es gibt eine witzige Anekdote über Sie. Stichwort: „Joseph Ratzinger“, also der damalige deutsche Papst – erzählen Sie mal. Was war da los?
Laumann: Diese Geschichte verfolgt mich (lacht). In Erfurt war damals klar, dass ich den Verein verlassen würde und ich hatte zu der Zeit einen Anruf aus der holländischen ersten Liga (Vitesse Arnheim; Anm. d. Red.) bekommen. Die wollten mich kennenlernen und luden mich zu einem Probetraining ein – als Gastspieler. Erfurt wollte mich damals aber nicht gehen lassen und hatte es mir verboten. Ich wollte diese Chance aber unbedingt wahrnehmen. Deshalb habe ich mich krankschreiben lassen und bin für drei Tage in die Niederlande. Damit das aber nicht auffällt, hat mein damaliger Berater überall einen anderen Namen angegeben - „Joseph Ratzinger“. Mein Hotelzimmer lief auf diesen Namen und auch auf dem Spielbericht tauchte nicht mein eigentlicher Name auf. Ich war zwar irritiert, habe aber gar nicht groß darüber nachgedacht, beziehungsweise den Namen auch nicht richtig verstanden, als mein Berater ihn mir nannte. Deshalb habe ich mir da auch überhaupt keine Gedanken drüber gemacht. Ich wollte einfach diese Chance ergreifen, egal wie. Sportlich lief es für mich dort sehr gut. Sowohl im Training als auch im Testspiel konnte ich überzeugen, schoss sogar ein Tor. Das Problem: Das stand am nächsten Tag in der Zeitung, ein Reporter stellte Nachforschungen an – natürlich auch, weil er meinen Namen – „Ratzinger“ – im Fußballkontext noch nicht kannte. Und dann kam das alles raus. Die Folge: Erfurt schmiss mich daraufhin raus. Ich weiß natürlich, dass das ein großer Fehler war, aber ich wollte es einfach unbedingt versuchen. Damals war das für mich echt schlimm, zumal ich mit der Idee mit dem Namen Ratzinger nichts zu tun hatte. Heute kann ich darüber lachen.
SPORT1: Als Sie 2013 nach Deutschland zurückkehrten, wollten Sie Ihre Karriere eigentlich beim Oberligisten SC Roland Beckum ausklingen lassen. Doch eigentlich war es der Start einer neuen Karriere. Welche Rolle spielte ihr damaliger Trainer Ismail Atalan (ehemals VfL Bochum, SF Lotte, Hallescher FC; heute SV Kapfenberg)?
Laumann: Er war so etwas wie meine Eintrittskarte zurück in den Profifußball. Dafür bin ich ihm auch enorm dankbar. Ich konnte viel von ihm lernen und er hat mich auch viel machen lassen. Durch ihn habe ich wieder die große Lust auf Fußball gefunden. Die Leidenschaft war zurück. Als er dann das Angebot aus Lotte bekommen hatte, wollte er mich unbedingt mitnehmen. Und ich musste nicht lange überlegen. Diese Chance war einmalig. Denn ich konnte dort unter Profi-Bedingungen arbeiten, mit Spielern, die sich voll auf Fußball konzentrieren.
„Wenn du eine Liga dominierst, musst du aufsteigen“
SPORT1: An der Seite von Atalan 2015 stiegen Sie mit Lotte dann auch prompt aus der Regionalliga in die 3. Liga auf, zogen im DFB-Pokal sogar ins Viertelfinale ein. Wie sehen Sie den Modus mit den Relegationsspielen für die Meister der Regionalligen?
Laumann: Das ist einfach bitter. Wir haben das damals Gott sei Dank geschafft, unser Gegner Mannheim hatte es zuvor aber schon zwei oder dreimal nicht geschafft. Wir haben zwar gefeiert, doch die Mannheimer taten mir extrem leid. Wenn du eine Liga dominierst und Meister wirst, musst du aufsteigen – fertig!
Sieg gegen Wayne Rooney als Highlight
SPORT1: Atalan war es auch, der Sie mit nach Bochum nahm. Die Zeit damals war nicht annähernd so erfolgreich. Nach zehn Spieltagen war für Sie beide schon wieder Schluss. Es ging zurück nach Lotte, wo Sie in einer Doppel-Trainer-Funktion mit Andreas Golombek den Klassenerhalt schafften. Trotzdem wechselten Sie 2021 auf die Insel, zum Zweitligisten FC Barnsley unter Cheftrainer Valerién Ismael und wurden für zwei Spiele zum Interimstrainer befördert, haben sogar 2:1 gegen Wayne Rooney und Derby Country gewonnen. War das ihr bisheriges Trainer-Highlight?
Laumann: Definitiv! Diese Erfahrung war einmalig. Ich habe vor 40.000 Zuschauer ein Spiel coachen können – gegen Wayne Rooney. Und es auch noch gewonnen. Das ist ein Highlight, das ich nie vergessen werde. Da nimmst du natürlich extrem viel mit. Das war der absolute Wahnsinn. Dadurch habe ich auch extrem Blut geleckt und bin deshalb auch zur Nachwuchsmannschaft von Standard Lüttich in die zweite belgische Liga gewechselt, weil ich als Cheftrainer tätig sein wollte.
SPORT1: Sie dürfen träumen: Wo würden Sie gerne einmal Trainer werden?
Laumann: Das ist schwer. Den einen Verein gibt es aber auch nicht. Ein Trainerjob in Deutschland würde mich schon sehr reizen. Natürlich kann ich meine Ausgangssituation einschätzen. Bundesliga und 2. Liga sind, vielleicht gerade weil ich hier noch nicht als Chef tätig war, im Moment noch schwer zu bekommen. Aber 3. Liga traue ich mir auf jeden Fall zu. Dort wird bei der Suche immer viel von Erfahrung gesprochen. Und da muss ich sagen: Welcher Drittliga-Trainer hat in der zweiten englischen Liga trainiert, in der zweiten belgischen Liga oder sogar Stars aus der Premier League? Ich habe trotz meines Alters schon einen sehr großen Erfahrungsschatz. Mir geht es aber gar nicht primär um den Verein, sondern vielmehr um das Projekt. Ich will nicht nur eine Mannschaft trainieren und weiterentwickeln, sondern möchte auch in der Kaderplanung mitreden, vielleicht sogar in der Infrastruktur. Das muss für mich alles Hand in Hand mit den Verantwortlichen gehen. Heidenheim ist da ein Muster-Beispiel, wie es funktionieren kann. Zusammenhalt ist das A und O.