Das Gesicht von „Betzi“, dem Maskottchen des 1. FC Kaiserslautern, hat er sich gleich zweimal auf die Stirn tätowieren lassen - es wirkt wie zwei Teufelshörner. Unter seinem rechten Auge prangt „K’lautern“, unter dem linken „Rotfront“. Letzteres ist der Name einer 1983 gegründeten Hooligan-Gruppierung des FCK, die bis heute existiert.
Geständnisse eines Hooligans
Bernd Leis, der über viele Jahre eine schillernde Figur in Kaiserslautern war, ist in der Szene als ‚Stahlin‘ bekannt. Der heute 62-Jährige galt einst als einer der gefürchtetsten Hooligans Deutschlands. Mittlerweile ist er jedoch ausgestiegen und hat sich zurückgezogen.
„Ich wohne zwischen Kaiserslautern und Otterbach, wo es nicht einmal eine asphaltierte Straße gibt. Dort, im Falltal, lebe ich mitten im Wald und habe meine Ruhe, weil ich die Natur liebe. Aufgewachsen bin ich bei meinen Großeltern auf einem Bauernhof“, erzählt Leis beim Treffen mit SPORT1: „Ich bin nicht mehr gern unter Menschen, bin gern allein und muss immer mal nach dem Haus schauen. Dort gibt es Vögel, Rehe, Füchse und Eichhörnchen.“
„Mein Vater war Alkoholiker und saß zweimal im Gefängnis“
Sein erstes FCK-Spiel besuchte Leis im Alter von elf Jahren. „Eigentlich war ich ein Stubenhocker“, erinnert er sich. Doch irgendwann zog ihn der Fußball in seinen Bann - nicht zuletzt, weil er nur einen Steinwurf vom Fritz-Walter-Stadion entfernt wohnte. Dort lernte er neue Leute kennen und fühlte sich in der Fankneipe „Der 12. Mann“ plötzlich wohl - und frei von Angst.
„Zuhause hatte ich nichts zu sagen. Mein Vater war Alkoholiker und saß zweimal im Gefängnis. Wenn er betrunken nach Hause kam, schloss ich mich immer ein“, erzählt Leis. Beim Fußball fühlte er sich dagegen sicher. Auf einer Deponie der in Kaiserslautern stationierten US-Soldaten fand er einen alten Hartplastikhelm, bemalte ihn rot-weiß und trug ihn zu den Spielen.

Drei Stunden vor Anpfiff war er immer schon am Stadion, seine Begeisterung wuchs – und nahm beinahe manische Züge an. Sogar in seinen Träumen fürchtete er, ein Spiel zu verpassen: „1983 bin ich an einem Freitag den ganzen Tag nach Hannover getrampt. Dort habe ich mir von meiner Freundin Geld geliehen und bin nur drei Stunden später, um Mitternacht, mit dem Zug wieder zurückgefahren, damit ich morgens um sieben Uhr in Kaiserslautern zum Spiel war. Kaum war ich in Hannover, spürte ich, dass mir der Betze wichtiger ist. Der Fußball war mir wichtiger als die Freundin.“
Doch Leis‘ Interessen verschoben sich. Bei der Hooligan-Gruppierung Rotfront fand er Anschluss - und stieg immer weiter auf. Mit Mitte 20 war er so bekannt, dass er quasi als Anführer galt. Später betrieb er in Kaiserslautern die Kneipe „Petticoat“, später die Fankneipe „First Class“ am Fuße des Betzenbergs. „Irgendwann hieß es nicht mehr: ‚Wir fahren zum FCK‘, sondern: ‚Wir fahren zu Stahlin und seiner Bande.‘“
Hooligans und die rechte Szene
In den 1980er und 1990er Jahren befand sich die Hooligan-Szene in Deutschland auf dem Höhepunkt ihres Wirkens. Gruppen wie die Dortmunder Borussen-Front oder die Adler-Front von Eintracht Frankfurt, die politisch klar als rechts eingeordnet werden konnten, trieben ihr Unwesen. Auch die Lauterer Rotfront galt als Verbindung zwischen Fußballfans und Neonazis, die dort ihren Nachwuchs rekrutieren wollten.
Auch Leis wurde vorgeworfen, Kontakte zur Neonazi-Szene gehabt zu haben. Es existieren Bilder von ihm auf entsprechenden Aufmärschen.„Ich hatte damals noch keine politische Meinung - war Punk, Rockabilly, Psychobilly. Ein rechtsradikaler Skin war ich nie. Bis 2005 bin ich politisch nicht in Erscheinung getreten“, erklärt er selbst dazu: „Ich habe vieles durchgemacht, war aber nie rechtsextrem. Einmal war ich auf einer Demo in Dortmund und in Pirmasens, aber politisch aktiv war ich nie.“
Mit der Zeit wurde der Fußball an sich für Leis immer mehr zur Nebensache. „Irgendwann musste ich mir eine Zeitung kaufen, um überhaupt zu erfahren, wie das Spiel ausgegangen ist. Mir ging es mehr darum, wie wir die anderen Fans abfangen konnten.“
„Meine Beine sind von Hundebissen gezeichnet“
Das erste Mal kam es 1991 an einer Raststätte in Wattenheim bei Kaiserslautern zu einer Auseinandersetzung mit den Hools des 1. FC Nürnberg. „Die hatten mich nach dem Spiel am Betze angerufen und wollten sich treffen, weil sie vor dem Spiel an meiner Kneipe eine Abfuhr bekommen hatten“, erzählt Leis. „Ich war damals der Rädelsführer und ging auf Polizisten los. Meine Beine sind von Hundebissen gezeichnet. Damals bekam ich eine Gefängnisstrafe.“
In 220 Kämpfen hatte er seine Erfahrungen gemacht - und auch seine Verletzungen erlitten. „Man konnte Machtpotenzial ausleben. Meine Familie wusste, was ich am Wochenende trieb. Meine Tante hätte mich am liebsten zu Hause angebunden.“ Doch für ihn stand fest: „Hooligans sind keine Idioten.“
Mit 45 Jahren hatte er 72 Anzeigen, 15 Verhandlungen und vier Bewährungsstrafen gesammelt. Sein Leben war von Extremen geprägt. „Ich habe finanziell immer am Abgrund gelebt - viermal Bewährung, hohe Geldstrafen. Das meiste Geld ging an den Staat.“
„Ich habe mich oft gefragt, ob das nötig war oder ob wir zu weit gegangen sind“, sagt er heute. Aber bereuen? „Niemals.“ Der Fußball und die Gemeinschaft bedeuteten ihm alles. „Es war das Gefühl, in der Gruppe jemand zu sein. Ich war anerkannt.“
Die Hooligan-Szene im Wandel
Heute hat sich die Hooligan-Szene verändert. Ende der 90er Jahre sprach man vom „Aussterben der Hooligans“, sagt der Soziologe Prof. Dr. Gunter A. Pilz, was damit zu tun hatte, „dass die Hooligans durch eine aufkommende, starke und gut organisierte Ultraszene sowie den verstärkten polizeilichen und sicherheitspolitischen Maßnahmen der Vereine quasi aus den Stadien gedrängt wurden und sich sogenannte Dritt-Ort-Kämpfe lieferten.“
Manche Szene-Beobachter vertreten die Meinung, dass Hooligans beim Großteil der Stadiongänger nie wirklich unbeliebt waren - im Gegensatz zu Ultras, die vielerorts auf Ablehnung stoßen.
Dem stimmt Pilz nicht zu. “Das mag für die Frühzeit des Hooliganismus so gewesen sein, da übte die Gewalt der Hooligans eine gewisse Faszination auf junge Fans aus‘, meint er. ‚Heute, mit dem starken Rechtsdrall und dem Abdriften in die MMA-Szene (Mixed Martial Arts ist eine Kampfsportart, d. Red.), kann ich nicht erkennen, dass Hools bei den Fans beliebt sind.“
Mit der heutigen Ultra-Szene hätte sich Leis damals vermutlich identifiziert: „Wenn man 150 Leute aus der Ultra-Szene nehmen und 20 Jahre zurückversetzen würde, wären sie bei uns dabei gewesen.“ Doch damals grenzten sich die Hooligans bewusst von den normalen Fans ab. „Wir konnten nicht mit ihnen mitgehen, weil wir auswärts die gegnerische Kneipe angreifen mussten.“
Hooligans und Ultras – mittlerweile sind die Übergänge fließend, wie das Polizeipräsidium Westpfalz auf SPORT1-Nachfrage erklärt. „In der Vergangenheit wurde zunehmend beobachtet, dass auch Ultras nicht mehr vor Gewalt zurückschrecken. Diese beschränkt sich nicht mehr nur auf Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten oder rivalisierenden Gruppen, sondern betrifft in Einzelfällen auch normale Stadionbesucher (zum Beispiel den Diebstahl/Raub von Fan-Utensilien wie Schals und Trikots)“, heißt es. Diese gewaltsuchenden Ultras werden mittlerweile auch als „Hooltras“ bezeichnet.
„Man schlug mich mit einem Baseball-Schläger zusammen“
Als Leis noch in der aktiven Szene unterwegs war, gab es solche Abstufungen noch nicht. Sein größter Fehler? In Paderborn einmal alleine unterwegs gewesen zu sein. Der Angriff, den er dort erlebte, habe sein Leben gesundheitlich zerstört.
„Wir waren damals in einer Kneipe. Einer von ihnen war Westfalenmeister im Boxen. Einer von uns begann, mit ihm zu kämpfen, und dann eskalierte die Situation. Am Ende wurde der ganze Laden kurz und klein geschlagen, weil die Türsteher und Rocker dazukamen. Das ganze Hafenviertel war gesperrt“, erzählt Leis.„Ich wollte damals meine Freundin in Hannover anrufen, um ihr zu sagen, dass ich später komme. Als ich alleine aus der Kneipe ging, wurde ich erkannt. Man schlug mich mit einem Baseballschläger zusammen – sechs Wochen lag ich danach im Krankenhaus in Paderborn.“
Mittlerweile ist Leis ruhiger geworden, nicht zuletzt wegen seines neunjährigen Sohnes. „Meine Freundin lässt mich auch nicht mehr gehen“, sagt er. Außerdem sei er heute „einer der Ersten, die fallen würden“, berichtet Leis, der seinen Alltag heute mit einer Krücke bestreitet.
„Ich bin froh, dass es noch Leute gibt, die an mich denken. Aber ich gehe nur noch zwei- bis dreimal zum Betze. Inzwischen bin ich vor allem mit der Natur verbunden“, erzählt er.
Doch der Adrenalinkick, den er jahrelang erlebt hat, lässt ihn auch heute noch nicht los: „Wenn ich könnte, wäre ich auch heute noch bereit, mitzukämpfen.“