Lucas Barrios wirkt verloren auf diesem Foto mitten auf einem kahlen, zubetonierten Platz, umgeben von ebenso seelenlosen Hochhäusern. Entstanden ist das Bild 2013 in der chinesischen Millionenmetropole Guangzhou. Knapp ein Jahr, nachdem der Stürmerstar für 8,5 Millionen Euro vom BVB zum chinesischen Topklub Guangzhou Evergrande gewechselt war.
Die Blase ist endgültig geplatzt
„Eine echte Aventura, dass ich nach China gekommen bin“, sagte Barrios damals dem Spiegel. Doch das Abenteuer endete nur wenig später. Im Streit.
Der frühere BVB-Star warf Guangzhou vor, ihm nicht sein volles Gehalt gezahlt zu haben. Er habe „finanziellen Schaden“ genommen, erklärte Barrios damals: Der Verein habe „ihm einen erheblichen Betrag seines im Vertrag vereinbarten Gehalts“ vorenthalten.
Guangzhou-Ausschluss lässt Blase endgültig platzen
Barrios war seinerzeit einer von vielen internationalen Topstars, die dem Lockruf des Geldes aus Fernost folgten. Als Letzter seiner Art kehrte kürzlich der Brasilianer Oscar China den Rücken.
Und mit dem nun erfolgten Ausschluss des Rekordmeisters Guangzhou FC – wie der Klub zuletzt offiziell hieß – aus den nationalen Profiligen ist die Blase endgültig geplatzt.
Man habe mit „verschiedensten Mitteln versucht, im Profifußball zu bleiben“, hieß es in einer Stellungnahme, doch „die aufgebrachten Mittel reichten nicht, um die Schuldenlast zu tilgen“.
2010 hatte der Bauunternehmer Xu Jiayin, Gründer des Immobilienkonzerns Evergrande Real Estate Group, den damaligen Zweitligisten übernommen und dank Millionen-Investitionen umgehend an die Spitze der Chinese Super League geführt. Zwischen 2011 und 2019 wurde Guangzhou achtmal chinesischer Meister.
Fast 300 Milliarden Euro Verbindlichkeiten
Doch 2022 geriet das Projekt ins Straucheln. Die Immobilienkrise wurde durch die Folgen der Corona-Pandemie noch verschärft. Das bekam auch Evergrande massiv zu spüren, die Verbindlichkeiten des Konzerns beliefen sich zuletzt auf etwa 300 Milliarden Euro (!).
Die Investitionen in den Klub wurden entsprechend zurückgefahren. Der Bau des eineinhalb Milliarden Euro teuren Stadions, das mit über 100.000 Plätzen das größte Fußballstadion der Welt werden sollte, wurde gestoppt.
Hinzu kam der sportliche Abstieg in die zweite Liga – wo der Klub nun im abgelaufenen Jahr seine vorerst letzte Profisaison auf Platz drei knapp hinter den Aufstiegsrängen abschloss.
„Wir bedauern, dass wir es nicht geschafft haben und entschuldigen uns aufrichtig bei den Fans und den Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, die den Verein unterstützen“, schrieb der Klub.
Mit Weltmeistertrainern zum Erfolg
Die großen Namen, die einst als Aushängeschilder des Klubs fungierten, gehörten ohnehin längst der Vergangenheit an. Zu Beginn des Booms köderte Guangzhou den italienischen Weltmeistercoach Marcello Lippi mit einem Jahresgehalt von zehn Millionen Euro. Mit drei Meistertiteln, einem Pokalsieg und dem Gewinn der asiatischen Champions League konnte Lippi immerhin entsprechende Erfolge vorweisen.
Der frühere Bayern- und BVB-Trainer Ottmar Hitzfeld schlug 2015 ein unmoralisches Angebot von Evergrande aus. „Ich hätte in einem Jahr mehr verdienen können als in drei Jahren bei Bayern München. In zwei Jahren wäre dann nochmal das Vierfache dazugekommen“, sagte Hitzfeld damals. „Man wollte mich mit Geld locken.“
Stattdessen betreute Brasiliens Weltmeistercoach Luiz Felipe Scolari für zweieinhalb Jahre Guangzhou und holte in dieser Zeit stolze sieben Titel. Der letzte namhafte ausländische Coach war Fabio Cannavaro, der 2021 seine zweite Amtszeit als Trainer bei Guangzhou beendete.
Mit der Verpflichtung von Jackson Martinez für 42 Millionen Euro von Atlético Madrid stellte Guangzhou 2016 einen Transferrekord in China auf.
„Neue Weltordnung“: Als Chinas Fußball boomte
Der Weltverband FIFA sprach damals von einem „Power-Shift“ auf dem internationalen Transfermarkt und sah „eine neue Weltordnung“ heraufziehen.
Dahinter steckte der Plan von Chinas Staatspräsident Xi Jinping, der bereits 2011 als Vizepräsident von einem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft träumte. Um die Entwicklung des Fußballs im eigenen Land entsprechend voranzutreiben und um in der Gunst des Machthabers aufzusteigen, investierten Chinas reiche Unternehmer in den folgenden Jahren fleißig.
Guangzhou Evergrande galt dabei als Triebfeder. Doch die Auswüchse der ausufernden Investitionen wurden schon vor dem endgültigen Absturz reguliert.
Anfang 2017 beschloss der Verband, die Anzahl der pro Partie eingesetzten Ausländer von vier auf drei Spieler zu reduzieren. Zudem wurde eine Art Luxussteuer auf Millionentransfers und eine Gehaltsobergrenze eingeführt. Für internationale Stars wurde das Reich der Mitte somit immer unattraktiver. Die Corona-Pandemie und die Restriktionen in China taten ihr Übriges.
Umdenken bei Guangzhou geht nicht auf
Auch bei Guangzhou setzte ein Umdenken ein. „In meiner Vorstellung ist unsere perfekte Mannschaft mit einem internationalen Top-Trainer und nationalen Spielern zusammengesetzt“, gab Klubchef Jiayin Xu vor einigen Jahren die Devise aus. „Wir müssen unsere Einnahmen durch Spielertransfers steigern und ein Team aus jungen Spielern aufbauen, statt bloß zu kaufen.“
Eine Strategie, die sportlich und finanziell nicht aufging. Der einst so ambitionierte Klub steht vor dem Nichts. Doch Evergrande FC stemmt sich gegen das komplette Verschwinden von der Fußball-Weltkarte.
„Wir werden unsere ursprüngliche Absicht nicht ändern und unser Bestes tun, um mit den Auswirkungen umzugehen“, hieß es in einem Klub-Statement. Man werde „die Entwicklung des chinesischen Fußballs und des Fußballs in Guangdong und Guangzhou unterstützen.“