„Es gab mal einen Trainer, der wollte mich nicht aufstellen, weil ich ein Mädchen bin“, erinnert sich Britta Carlson an ihre Kindheit im Fußball. Ihr Vater habe damals interveniert, vor allem aber: ihre Mitspieler. „Die Jungs haben gesagt: ‚Nee, wir wollen, dass Britta spielt.‘ Da hatte der Trainer keine Wahl.“ Carlson lacht und überlegt, vielleicht habe sie Glück gehabt mit ihrem Umfeld. Aber mit dieser Anekdote seien ihre negativen Erfahrungen als Fußball-Mädchen unter Jungs aus erzählt.
Eine Bronze-Medaille für die Tonne
Hinter der Kielerin liegen turbulente Monate. Auf das sportliche Hoch bei der EM 2022 mit der Nationalelf folgt 2023 zunächst das Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland. „Wenn man bei der WM versagt – so empfindet man das ja auch – hat man erstmal Selbstzweifel“, erzählt Carlson.
Der nächste Schritt: Mehr als nur Co-Trainerin?
Die Situation wird nicht unkomplizierter durch die Krankheit von Cheftrainerin Martina Voss-Tecklenburg und das Rauschen im Blätterwald. Als Carlson interimsweise übernehmen soll, sei ihr Gedanke gewesen: „Da musst du jetzt auch mal durch.“ Ihren Job, unterstreicht sie, habe sie immer als großes Privileg empfunden, in die erste Reihe habe es sie nie gezogen.
„Ich hatte nie das innerliche Bedürfnis, Cheftrainerin zu werden.“ Doch Menschen wachsen eben an ihren Aufgaben, und die zwei Spiele als Bundestrainerin bewegen etwas in ihr: „Jetzt ist es so, dass ich mir das durchaus gut vorstellen könnte und das auch gerne machen möchte, um meine eigenen Ideen umzusetzen.“ Allerdings auf Vereinsebene – oder im Ausland.
Zur Nationalelf kommt sie 2018 durch den Mann, mit dem sie in Frankreich als Co-Trainerin Bronze geholt hat: Horst Hrubesch. Er ist seinerzeit zum ersten Mal interimsweise im Amt und stellt sich sein Team zusammen.
Für den Job verlässt Carlson den VfL Wolfsburg, wo sie gerade die Möglichkeit ausgeschlagen hat, nach ihrer Zeit als Spielerin und Co- selbst Cheftrainerin zu werden: „Ich habe gefühlt, dass mir noch ein bisschen was fehlt.“
Olympia als perfekter Abschluss
Das olympische Fußballturnier in Frankreich ist ihr erstes, auch wenn fast sämtliche Quellen sie als Spielerin in den Kader des Teams von 2004 schreiben. „Überall steht ja auch, ich hätte Bronze geholt, was mich immer nervt.“ Tatsächlich steht die Kielerin damals im erweiterten Kader, rückt aber nicht nach und ist deswegen in Griechenland überhaupt nicht dabei.
Im Nachgang wird ihr die Medaille zugeschickt: Carlson schmeißt sie in den Müll. Sie erzählt die Anekdote inzwischen mit dem lachenden Nachsatz, womöglich hätte sie die Legierung aufheben und nach den Spielen dieses Jahr eine 2024 aus der alten Jahreszahl machen sollen.
Sportlich habe sie die Medaille eben nicht errungen – und darum keinen Wert darin gesehen. Ironie des Schicksals: Trainer*innen erhalten keine, auch, wenn sie die Auszeichnung sportlich natürlich mit zu verantworten haben.
Das Turnier beschreibt Carlson als perfekten Abschluss einer Phase, die sie immer mit Freude und Demut erfüllt hat. Als Spielerin war sie bereits Mitte 20, als sie ins Nationalteam berufen wurde, und erlebte dennoch eine prägende Zeit. Nicht nur aufgrund des EM-Titels 2005, sondern auch dank Trainerin Tina Theune. „Sie war diejenige, die mir immer in den Arsch getreten hat“, erzählt die Norddeutsche lachen. „Sie hat immer gesagt: Mach deine Lizenzen.“
Carlson: Ein Vorbild für Generationen
So habe Theune viele Spielerinnen dazu gebracht, früh Trainerinnenscheine anzustreben, sagt ihre einstige Spielerin, und lobt Menschenkenntnis und Elefantengedächtnis der langjährigen Nationaltrainerin. Sie sei eine, die auch Jahre später nacherzählen könne, welche Spielerin bei welcher Partie wie viele Kilometer gelaufen sei: eine menschliche Almanach.
Und natürlich Vorbild in einer Zeit, als Frauen im Fußball noch sehr viel seltener waren als heute. Diesen Wandel hat Carlson viele Jahre miterlebt, und tut das noch. Sie ist aber längst auch Teil davon – und mit ihren sportlichen Aufgaben, Erfolgen, ihrer angenehmen Art und dem trockenen Humor selbst ein perfektes Vorbild für die nachfolgenden Generationen.