Österreichs Nationalspieler Philipp Lienhart hat den Knall in seinem Heimatverband um ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick aus nächster Nähe mitbekommen. Im exklusiven SPORT1-Interview äußert sich der 28-Jährige über die Entwicklung und wie er Rangnick in der angespannten Situation wahrgenommen hat.
Lienhart: Meine liebste Streich-Anekdote
Außerdem spricht der Profi des SC Freiburg, der kürzlich Vater geworden ist, über die Zeitenwende im Breisgau. Vor dem Spiel bei Borussia Dortmund (Sa., 15.30 Uhr im LIVETICKER) erklärt er, warum er Christian Streich vermisst und was ihn am neuen Coach Julian Schuster beeindruckt.
SPORT1: Herr Lienhart, wie froh sind Sie, wieder in Freiburg zu sein, nachdem es bei der österreichischen Nationalmannschaft Zoff zwischen Ralf Rangnick und Verbandspräsident Klaus Mitterdorfer gab, der darin gipfelte, dass Mitterdorfer zurückgetreten ist?
Philipp Lienhart: Ich bin immer froh, in Freiburg zu sein. Aber genauso freue ich mich, bei der Nationalmannschaft zu sein, auch wenn es zuletzt etwas Unruhe gab. Wir als Mannschaft haben Standpunkte vertreten, die uns wichtig sind.
SPORT1: Was für Standpunkte?
Lienhart: Wie mit Mitarbeitern, die nah an der Mannschaft sind, umgegangen wird. Da geht es auch um Bernhard Neuhold (Geschäftsführer, d. Red.). Das Team steht komplett hinter ihm. Die Art und Weise, wie kommuniziert wurde, war nicht gut. Da mussten wir uns als Mannschaft klar positionieren.
SPORT1: Wie haben sich die Spieler gegenüber Rangnick positioniert?
Lienhart: Der Trainer bekommt die volle Unterstützung von uns. Er ist extrem wichtig für uns.
SPORT1: Wie war er in den vergangenen, unruhigen Tagen drauf?
„Da ist Rangnick sehr cool geblieben“
Lienhart: Ralf Rangnick ist ein Vollprofi. Er hat unglaublich viel Erfahrung als Trainer und generell im Fußball. Er hat den Ärger von uns fernhalten können. Wir haben nicht bemerkt, dass ihn irgendwelche Themen außerhalb des Fußballs beschäftigen. Da ist er sehr cool geblieben und hat den Fokus hochgehalten. Wir als Team haben in den Medien gewisse Standpunkte vertreten und uns dann aber auf das Sportliche konzentriert. Das ist uns gut gelungen. Leider konnten wir das Spiel gegen Slowenien nicht gewinnen (1:1, d. Red.). Aber die Art und Weise, wie wir gespielt haben, war schon gut.
SPORT1: Ganz ehrlich, klappt das wirklich, so einen Zoff als Spieler nicht an sich ranzulassen?
Lienhart: Auf dem Platz hatte das keine Auswirkungen. Wir konnten das gut trennen, auch wenn es keine leichte Situation war.
SPORT1: Wie wichtig ist Ralf Rangnick für Österreich? Im Sommer sagte er dem FC Bayern ab.
Lienhart: Der FC Bayern war sicher reizvoll für ihn. Aber ich habe gehofft, dass er bleibt, und mich sehr gefreut, als er sich für Österreich entschieden hat. Ralf Rangnick verfolgt einen ganz klaren Plan. Dank ihm können wir inzwischen auch größere Nationen unter Druck setzen, das macht richtig Spaß. Das große Ziel ist natürlich die WM 2026.
SPORT1: Wird Rangnick oftmals zu verbissen gesehen?
Lienhart: In Österreich jedenfalls nicht (grinst). Die Fans stehen total hinter Rangnick. Seit der EM-Qualifikation herrscht eine Euphorie, die bis jetzt anhält. Dass Rangnick ein absoluter Fachmann ist, wird sowieso nicht angezweifelt.
SPORT1: Lassen Sie uns über den SC Freiburg sprechen. Der Verein ist Fünfter. Auch ohne Christian Streich alles beim Alten also, was den sportlichen Erfolg im Breisgau angeht, oder?
Lienhart: Der erste Tag ohne Streich war ungewohnt, auch für mich. Ich kannte den SC Freiburg nur mit Christian Streich. Mit Julian Schuster haben wir aber ebenso einen sehr guten Trainer bekommen. Klar, er hat in der Bundesliga noch wenig Erfahrung - aber er war selbst Spieler und kann sich daher sehr gut in uns hineinversetzen. Er ist total kommunikativ.
SPORT1: Was sind weitere Gründe für den Erfolg?
Lienhart: Wir haben eine Mannschaft, die schon lange zusammenspielt. Natürlich gibt es immer mal neue Spieler, aber der Großteil des Teams ist seit vier, fünf Jahren zusammen. Mit Christian Streich hatten wir ein System aufgebaut, in dem jeder weiß, was er zu tun hat. Und unter dem neuen Trainer wurden diese Prinzipien nicht über Bord geworfen. Es hat mich daher nicht gewundert, dass es gut weiterläuft.
„Der erste Tag ohne Streich war ungewohnt“
SPORT1: Wie hat sich der erste Tag ohne Streich angefühlt?
Lienhart: Es war spannend, muss ich zugeben (lacht). Ich bin nach der Europameisterschaft etwas später eingestiegen und konnte mit einigen Spielern bereits reden, wie das Training ist und was sich verändert hat. Es war ungewohnt, weil ich mit Julian schon in Freiburg zusammengespielt habe. Als Mitspieler ist man schon enger als mit dem Cheftrainer. Aber Julian hat das Verhältnis zu den Spielern, die er schon länger kennt, nicht verändert. Deshalb fühlen sich alle bei ihm wohl. Er hat einen guten Umgang mit der Mannschaft.
SPORT1: Worin unterscheiden sich Streich und Schuster?
Lienhart: Julian hat lange unter Christian Streich gespielt, deshalb sind die Unterschiede gar nicht so groß. Ich denke, aufgrund dessen, dass ich mit Julian noch zusammengespielt hatte, habe ich zu ihm ein etwas engeres Verhältnis.
SPORT1: War es anfangs schwer, sich emotional auf Schuster einzulassen?
Lienhart: Schwer war es nicht, aber es war vom ersten Tag an interessant zu sehen, wie das zwischen Julian und den Spielern wird. Aber er hat es sehr gut gemacht, ohne sich groß zu verändern.
SPORT1: Wollte Schuster am Anfang bewusst anders sein als Streich?
Lienhart: Nein. Das wäre auch nicht gut gewesen, hätte unauthentisch gewirkt.
SPORT1: Haben Sie noch Kontakt zu Streich?
Lienhart: Wir haben uns nur einmal kurz bei einer Feier des Vereins getroffen, aber ansonsten nicht. Ich denke, er wollte auch erstmal Abstand bekommen.
SPORT1: Vermissen Sie Streich?
Lienhart: Ja schon. Ich muss sagen: Er war schließlich der Grund, warum ich so lange in Freiburg spiele. Ich konnte unfassbar viel von ihm lernen, all die gemeinsamen Jahre haben richtig viel Spaß gemacht. Die Gespräche mit ihm waren immer angenehm und interessant - auch übers fußballerische hinaus.
SPORT1: Glauben Sie, dass er nochmal als Trainer zurückkommt?
Lienhart: Wenn er das möchte, kann ich mir das vorstellen. Wobei, für mich gehört Christian Streich nur zu Freiburg (grinst). Es wäre für mich schon ungewöhnlich, wenn er nochmal einen anderen Klub trainieren würde.
Lienhart: Das ist meine liebste Streich-Anekdote
SPORT1: Können Sie eine liebste Streich-Anekdote verraten?
Lienhart: Ich denke gern an ein Gespräch in der vergangenen Rückrunde zwischen Christian Streich, Michael Gregoritsch (österreichischer Nationalspieler, d. Red.) und mir. Es ging darum, dass wir Österreicher die Freiburger auch gut verstehen. Dann kamen wir auf das Thema Hochdeutsch. Streich meinte, Hochdeutsch sei nicht mehr die richtige Bezeichnung, sondern es würde Standarddeutsch heißen. Denn, wenn jemand Hochdeutsch rede, würden andere Niederdeutsch sprechen. Wir mussten alle lachen. Seitdem heißt es in meinem Kopf auch nur noch Standarddeutsch.
SPORT1: Sie sind Vater geworden, haben einen kleinen Sohn. Wie haben Sie sich verändert?
Lienhart: Es ist das Größte, was einem passieren kann, Papa zu werden. Die Geburt vor zweieinhalb Monaten war ein unglaublich schöner Moment. Leider habe ich dadurch ein Länderspiel verpasst, aber es gibt keinen schöneren Grund, um ein Spiel zu verpassen. Ich denke, ich selbst habe mich nicht so sehr verändert, aber mein Tagesablauf schon. Die Nächte sind wilder und die Verantwortung größer. Ich bin unglaublichfroh, dass ich den Kleinen habe.
SPORT1: Hat der Kleine schon einen Mitgliedsausweis vom SC Freiburg in die Wiege gelegt bekommen?
Lienhart: (lacht) Nein, noch nicht. Er war aber schon im Stadion und wird bald sein erstes Trikot bekommen.
SPORT1: Er war schon mit zweieinhalb Monaten im Stadion?
Lienhart: Er war nicht auf den Rängen, sondern mit der Mama im ruhigen Innenraum.
SPORT1: Im letzten Interview mit SPORT1 haben Sie über Luxus gesprochen. Ist ein Kind, eine gesunde Familie, wirklich der eigentliche Luxus?
Lienhart: Ja, ganz sicher. Für mich ist es der größte Luxus, Zeit mit meiner Frau und meinem Sohn zu verbringen. Das steht auf der Prioritätenliste uneinholbar auf Platz eins. Wenn ich nach einem schlechten Spiel, wie dem 0:3 gegen St. Pauli, mit meinem Sohn kuscheln kann, ist die Niederlage in dem Moment vergessen. Viel mehr geht nicht.
SPORT1: Hätten Sie gerne, dass sich Paul Wanner für Österreich entscheidet?
Lienhart: Ja klar. Man sieht in der Bundesliga, wie viel Qualität er hat. Paul Wanner würde uns auf jeden Fall guttun. In Heidenheim zeigt er seine Klasse. Er muss nur weitermachen, bei sich bleiben, sich nicht verrückt machen lassen - und sich einfach für Österreich entscheiden (grinst).
„David ist so wichtig für den österreichischen Fußball“
SPORT1: Wie verfolgen Sie die Situation um David Alaba?
Lienhart: David war zuletzt in Wien bei den Gesprächen mit dem ÖFB dabei. Ich habe ihn gefragt, wie es ihm geht. Er macht gute Fortschritte und ist zuversichtlich, dass er bald wieder loslegen kann. David ist so wichtig für den österreichischen Fußball. Wir würden uns alle freuen, wenn er schon im März wieder dabei sein könnte.
SPORT1: Sie waren in der Jugend bei Real Madrid. Wünschen Sie sich manchmal diese Zeit zurück, damit Sie es vielleicht bei Carlo Ancelotti schaffen könnten?
Lienhart: Es war eine schöne Zeit. Ich würde alles wieder genauso machen. Ich habe so viel mitgenommen, konnte eine neue Kultur kennenlernen und durfte unter Zinedine Zidane trainieren. Die Erfahrung mit Real hat mich geprägt. Auch wenn es damals nicht gleich für ganz oben gereicht hat: Wichtig war, dass ich mir nichts vorwerfen konnte. Ich habe alles probiert und mein Bestes gegeben. Der Schritt nach Freiburg war dann absolut richtig.
SPORT1: Lassen Sie uns noch über Ihre Zukunft sprechen. Es gab immer wieder Angebote, im Sommer wollte sie offenbar sogar ein deutscher Champions-League-Klub. Trotzdem bleiben Sie in Freiburg. Warum? Würde Sie das Ausland, wie Alaba, nicht reizen?
Lienhart: Das Wichtigste für mich ist, dass ich mich in einem Verein wohlfühle, und das habe ich in Freiburg. Das brauche ich, um Top-Leistungen abzurufen und zufrieden zu sein. Klar, es gab immer mal wieder Anfragen, und ich habe überlegt, ob ich den nächsten Schritt gehen will. Aber letztlich bin ich bisher zusammen mit Freiburg die nächsten Schritte gegangen.
„Die Premier League per se reizt mich nicht“
SPORT1: Das war jetzt eine sehr diplomatische und romantische Antwort. Ist es kein Ziel, zum Beispiel in der Premier League zu spielen und viel Geld zu verdienen?
Lienhart: Nein, die Premier League per se reizt mich nicht. Geld ist bei mir nicht ausschlaggebend. Ich kann mir auch vorstellen, noch lange in Freiburg zu bleiben. Wenn ein Klub kommt, bei dem die Voraussetzungen ähnlich sind, kann man darüber reden. Aber nur nach England zu gehen, um unbedingt mal dort zu spielen, das bin ich nicht.
SPORT1: Am Samstag geht es nach Dortmund. Der BVB spielt keine gute Saison. Zu Hause allerdings ist man stärker als auswärts. Wie sehen Sie den BVB unter Nuri Sahin?
Lienhart: Wir spielen gegen eine Mannschaft, die in den vergangenen Wochen nicht immer konstant war, aber die gerade zu Hause sehr stark ist. Gerade von den Einzelspielern her hat der BVB eine enorme Qualität.
SPORT1: Wie nehmen Sie Sahin wahr?
Lienhart: Es steht mir nicht zu, Nuri Sahin zu bewerten, dafür bin ich auch viel zu weit weg. Und seit ich Vater geworden bin, schaue ich privat gar nicht mehr so viel Fußball im Fernsehen. Und Interviews schon gar nicht.
SPORT1: Was ist drin für den Sportclub?
Lienhart: Sicher einiges. Unsere bisherige Saison war gut, die zurückliegenden beiden Spiele haben wir nicht verloren und zu Null gespielt. Wir brauchen eine richtig starke Leistung in Dortmund. Ich habe dort noch nicht viele Punkte geholt, aber vielleicht ist es diesmal soweit.