Der Nächste, bitte! Mit Thomas Tuchel hat sich ein weiterer deutscher Trainer einen Job bei einer Topadresse des Fußballs gesichert. Der ehemalige Bayern-Trainer übernimmt ab Januar 2025 die englische Nationalmannschaft und soll den Titeldurst der „Three Lions“ stillen.
Was ist bei Bayern falsch gelaufen?
Großes Ziel: die WM 2026 in Kanada, Mexiko und den USA. Dort will das selbsternannte Mutterland des Fußballs seinen dann 60 Jahre alten Titelfluch brechen.
Und wenn das Schicksal so will, könnte Tuchel im Finale des Turniers auf einen Landsmann treffen. Denn Julian Nagelsmann hat die deutsche Nationalmannschaft in seinem ersten Jahr als Bundestrainer wiederbelebt und lässt nicht nur die Fans vom ganz großen Coup 2026 träumen.
Der Dritte im Bunde: Hansi Flick. Der 59-Jährige ist seit Saisonbeginn Trainer des FC Barcelona und thront aktuell mit acht Siegen aus neun Spielen an der Tabellenspitze von La Liga.
Tuchel, Nagelsmann und Flick haben mehr gemeinsam als dieselbe Nationalität: Sie alle waren vor nicht allzu langer Zeit Trainer des FC Bayern. Und sie alle sind dort vorzeitig gegangen, beziehungsweise mussten gehen. Keiner der drei Genannten absolvierte zwei volle Saisons als Cheftrainer an der Säbener Straße.
Der Karriere der Drei tat dies aber offenbar keinen Abbruch, wie man aktuell sehen kann. Auch wenn die Münchner mit ihrem neuen Cheftrainer Vincent Kompany aktuell sehr zufrieden sind, müssen sie sich doch die eine Frage gefallen lassen, warum gleich drei Trainer dieses Kalibers in München nicht langfristig funktionierten. SPORT1 wirft einen Blick zurück.
Flick und Bayern wie im Märchen
Flicks Debütsaison bei den Bayern liest sich wie ein Märchen. Er heuerte zu Beginn der Saison 2019/20 als Co-Trainer von Niko Kovac an. Dieser musste allerdings noch im Herbst gehen, nachdem er sich nicht nur sportlich, sondern auch durch fragwürdige Aussagen ins Abseits katapultiert hatte.
Kovac prangerte nicht nur öffentlich die seiner Meinung nach fehlende Qualität des Kaders an („Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn man nur 100 schafft. Man muss das anpassen, was man hat.“), er bezeichnete Thomas Müller als „Notnagel“ und verärgerte damit nicht nur die Fans.
Flick übernahm - zunächst interimsweise - und legte mit dem angeblich unzureichenden Kader eine Siegesserie hin, die ihresgleichen suchte. Überhaupt verloren die Bayern in dieser Saison nur noch zweimal, der Rest wurde mit Ausnahme eines Unentschiedens gewonnen.
Die Krönung: Der Triumph beim coronabedingten Finalturnier der Champions League in Lissabon - im Finale gegen das von Tuchel trainierte PSG.
Bayern und Flick, es schien das perfekte Match zu sein. Mannschaft und Trainer waren eine Einheit, das Team sprühte nur so vor Spielfreude. Kaum jemand hätte zu diesem Zeitpunkt für möglich gehalten, dass nur ein Jahr später die vermeintliche Traumehe vorbei sein würde.
Bundestrainer-Job reizt Flick
Sportlich lief es in der Saison 2020/21 zwar immer noch gut, aber nicht mehr so überragend wie im Jahr zuvor. Im DFB-Pokal scheiterten Flicks Bayern sensationell in Runde zwei am Zweitligisten Holstein Kiel, in der Königsklasse nahm Paris Saint-Germain - inzwischen ohne Tuchel - im Viertelfinale erfolgreich Revanche.
Doch auch abseits des Rasens knisterte es: Es gab Unstimmigkeiten zwischen Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Außerdem liebäugelte Flick mit dem Job des Bundestrainers, der im Sommer 2021 frei wurde.
„Hansi Flick ist am Ende freiwillig gegangen“, blickt SPORT1-Chefreporter Stefan Kumberger zurück. Flick und die Bayern einigten sich am Ende auf ein vorzeitiges Vertragsende und der Sextuple-Coach ging im Sommer 2021 zum DFB.
Dort wurde er allerdings nicht glücklich. Nach einer verkorksten Winter-WM 2022 in Katar (Gruppen-Aus, Graugänse) musste Flick im Herbst vergangenen Jahres seinen Hut nehmen. Seit diesem Sommer versucht er sein Glück in Barcelona - bisher erfolgreich.
Nagelsmann soll Ära prägen
Er war der Wunschkandidat der Bayern auf die Flick-Nachfolge, doch RB Leipzig wollte den damals 33-Jährigen unbedingt halten. Am Ende zahlte der Rekordmeister im Sommer 2021 eine Ablöse zwischen 15 und 25 Millionen Euro. Bis heute ist Nagelsmann einer der teuersten Trainer überhaupt.
Mit dem gebürtigen Landsberger wollten die Münchner eine Ära prägen, nicht umsonst statteten sie Nagelsmann mit einem Fünfjahresvertrag aus.
In seiner ersten Saison als Bayern-Trainer holte Nagelsmann standesgemäß die Deutsche Meisterschaft. Im DFB-Pokal wurde der Rekordpokalsieger allerdings mit 0:5 von Borussia Mönchengladbach in Runde zwei aus dem Wettbewerb katapultiert.
In der Champions League folgte das Aus im Viertelfinale gegen den Underdog FC Villarreal. Samuel Chukwueze schockte die Münchner im Rückspiel spät, als er wenige Minuten vor dem Ende nach einem Konter das 1:1 in der Allianz Arena erzielte, was das Ausscheiden besiegelte.
Das Aus gegen das „Gelbe U-Boot“ war ein unnötiges, auch weil Nagelsmanns taktischer Plan nicht aufging. So blieb es bei einem Titel in der Saison 2021/22.
Das Aus während eines Skiurlaubs
In der darauffolgenden Spielzeit sah es für die Bayern bis zum Frühjahr sehr ordentlich aus. Im CL-Achtelfinale hatte die Nagelsmann-Elf PSG ausgeschaltet, auch im Pokal das Viertelfinale erreicht. Nach einem 1:2 gegen Bayer Leverkusen am 25. Spieltag verloren die Münchner allerdings die Tabellenführung an Borussia Dortmund.
In der folgenden Länderspielpause nahm sich auch Nagelsmann eine Auszeit und ging für einige Tage Skifahren im österreichischen Zilllertal. In seiner Abwesenheit entschieden sich Salihamidzic und CEO Oliver Kahn für eine vorzeitige Trennung von Nagelsmann. Sie sahen das Erreichen der Saisonziele gefährdet.
„Bei Julian Nagelsmann haben Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn damals einfach die Nerven verloren und zu früh den Schleudersitz aktiviert“, erklärt Kumberger. Beide mussten nur wenige Wochen später selbst ihren Hut nehmen.
Nagelsmann wurde rund acht Monate später wieder Nachfolger von Flick, diesmal beim DFB.
Tuchel sofort „schockverliebt“
Tuchel kam als direkter Nachfolger von Nagelsmann an die Säbener Straße. Der Einstand gelang: Mit einem 4:2-Erfolg über den BVB holte sich Bayern Platz eins zurück. Nur zehn Tage später setzte es allerdings eine 0:3-Klatsche im CL-Viertelfinale gegen Manchester City.
Auch wenn Tuchel nach dem Spiel zu Protokoll gab, er sei „schockverliebt“ in die Mannschaft - diesen Rückstand konnte das Team im Rückspiel nicht mehr aufholen. Im Pokal folgte das direkte Aus im Viertelfinale nur drei Tage nach dem Dortmund-Spiel gegen den SC Freiburg.
Das Ziel Meisterschaft geriet ebenfalls gehörig ins Wanken. Vor dem letzten Spieltag schien diese angesichts von zwei Punkten Rückstand auf den BVB schon verspielt zu sein. Allerdings patzten die Dortmunder und kamen im eigenen Stadion gegen den 1. FSV Mainz 05 nicht über ein 2:2 hinaus. Jamal Musialas Siegtreffer zum 2:1 kurz vor Ende der Partie gegen den 1. FC Köln ließ Tuchel und sein Team am Ende dann doch noch unverhofft jubeln.
Die Saison 2023/24 startete aus Bayern-Sicht sehr ordentlich. Tuchel verlor in der Hinrunde nur eine Bundesliga-Partie, in Frankfurt kassierten die Münchner Anfang Dezember eine 1:5-Klatsche. Im Pokal war aber wieder mal in der zweiten Runde Schluss - gegen den 1. FC Saarbrücken blamierten sich die Münchner bis auf die Knochen.
In der Rückrunde wurden auch die Ergebnisse in der Bundesliga durchwachsener. Im direkten Duell mit Kontrahent Bayer Leverkusen kassierten die Münchner eine 0:3-Klatsche, vier Tage später ging auch das Achtelfinalhinspiel in der Königsklasse gegen Lazio Rom mit 0:1 verloren.
Als dann eine Woche später eine 2:3-Pleite gegen den VfL Bochum folgte und somit die erste titellose Saison seit 2012 drohte (der Rückstand in der Bundesliga auf Leverkusen war auf acht Zähler angewachsen), hatten die Bosse genug.
„Rücksichtsloser“ Tuchel hat Erfolg
Kahn-Nachfolger Jan-Christian Dreesen reagierte - allerdings anders als sein Vorgänger ein Jahr zuvor. Er einigte sich mit Tuchel, die eigentlich bis 2025 angedachte Zusammenarbeit nach der Saison 2023/24 vorzeitig zu beenden.
Im Wissen, keine Zukunft mehr in München zu haben, wirkte Tuchel anschließend wie befreit. Er musste keine Rücksicht mehr auf irgendwelche Befindlichkeiten nehmen, sondern könne „rücksichtsloser sein“, wie er es selbst formulierte.
Und das hatte Erfolg: In der Bundesliga lief es zwar weiterhin durchwachsen, am Ende schloss Bayern die Saison mit 18 Punkten Rückstand auf Meister Bayer Leverkusen sogar nur auf Rang drei ab.
In der Königsklasse legte die Mannschaft allerdings einen Run hin, der die Fans vom Titel träumen ließ. Gegen den englischen Topklub FC Arsenal setzten sich die Bayern im Viertelfinale durch, im Halbfinale hatten die Mannschaft Real Madrid im Estadio Bernabeu am Rande einer Niederlage.
Joselu schockt Bayern spät
Erst zwei ganz späte Treffer der Königlichen durch Joselu schockten Tuchel & Co. und besiegelten das Aus. Weil die Münchner bis dahin immer noch keinen Nachfolger für Tuchel gefunden hatten (der als Topkandidat gehandelte Xabi Alonso blieb in Leverkusen), wurde plötzlich wieder über einen Verbleib von Tuchel spekuliert.
Fast gleichzeitig setzte Ehrenpräsident Uli Hoeneß allerdings zur Verbalattacke an. Er warf Tuchel auf einem Kongress vor, dass dieser keine jungen Spieler entwickeln könne. Tuchel fühlte sich von den Worten in seiner Trainerehre verletzt, entgegnete er einige Tage später.
Trotz der Hoeneß-Aussagen kam es zu neuerlichen Gesprächen zwischen Bayern und Tuchel - erfolglosen. Der heute 51-Jährige verkündete auf der Pressekonferenz vor dem letzten Spiel gegen Hoffenheim selbst den endgültigen Abschied. „Mit Tuchel hat es einfach nicht gepasst“, analysiert Kumberger.
Doch warum eigentlich nicht? Warum konnten weder Flick noch Nagelsmann oder Tuchel eine Ära in München prägen, wo ihre Expertise im Spitzenfußball doch so geschätzt wird?
„Die Geschichte der drei Trainer kann man nicht wirklich vergleichen“, meint Kumberger. Für den SPORT1-Chefreporter zeigt die Thematik vor allem zwei Dinge: „Der FC Bayern steht auf einer Stufe mit solchen großen Arbeitgebern. Und ein schwächeres Abschneiden bei den Bayern muss einer Trainerkarriere nicht den Gar ausmachen. Es gibt noch ein Leben nach dem FC Bayern.“
Das dürfte auch Vincent Kompany mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen haben.