Georg Koch war sichtlich angespannt. Die wochenlange Vorbereitungsphase fiel in diesem Moment von ihm ab. Der frühere Bundesliga-Torwart, der unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist, hatte ein Benefizspiel organisiert, das ihm noch einmal eine Bühne bot und zeigte, wie er als Mensch tickt. Im Mai dieses Jahres hatte er die Krankheit erstmals öffentlich gemacht, Anfang September sprach er in seinem letzten Interview bei SPORT1 darüber.
Ein hochemotionaler Tag
„Ich bin nervöser als vor einem Bundesligaspiel. Im Moment kann ich mich noch zusammenreißen. Ich weiß nicht, wie es im Laufe des Nachmittags sein wird, das lasse ich auf mich zukommen. Ich bin überwältigt davon, wie viele Menschen gekommen sind. Das ist Wahnsinn - auch für unseren VfR (Kochs Jugendverein VfR Marienfeld, d. Red.) ist das eine riesige Herausforderung. Nicht nur für den Verein, sondern auch für mich“, sagte Koch vor dem Anpfiff zu SPORT1.
Koch bekommt „feuchte Augen“
„Es sind sogar Leute aus Kaiserslautern angereist. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, damit habe ich nicht gerechnet. Hut ab - da bekomme ich feuchte Augen. Das nimmt mich wirklich mit.“ Der Tag in Marienfeld war vollgepackt mit Emotionen, und die Sonne schien über dem Geburtsort von Koch.
An diesem Tag spielte in der ersten Halbzeit die Traditionsmannschaft von Fortuna Düsseldorf gegen den VfR Marienfeld, im zweiten Durchgang standen die All-Stars auf dem Feld. Am Ende stand ein 9:2, aber das war Nebensache.
Koch absolvierte über 200 Bundesligaspiele, unter anderem für Fortuna Düsseldorf, den 1. FC Kaiserslautern und Arminia Bielefeld. 1994 begann mit seiner Beteiligung bei Fortuna Düsseldorf der Durchmarsch von der Dritt- in die Erstklassigkeit. Bis heute gilt Koch deshalb vor allem bei der Fortuna als Legende.
Janßen, Böhme und Co. sind dabei
Viele ehemalige Weggefährten waren gekommen, darunter Viktoria-Köln-Trainer Olaf Janßen (bei der Viktoria hatte Koch seinen letzten Job als Torwarttrainer und später als Teammanager, Anm. d. Red.), der frühere Mittelfeldspieler des 1. FC Köln, Stephan Engels, der ehemalige Schalke-Profi Jörg Böhme und Markus Anfang, Trainer des 1. FC Kaiserslautern.
Auch Trainerlegende Friedhelm Funkel kam an diesem Tag zum Marienfelder Sportplatz, zu dem insgesamt rund 1300 Zuschauer erschienen.
„Das sind gemischte Gefühle, weil Georg schwer krank ist und trotzdem die Kraft gefunden hat, dieses Spiel heute mitzuorganisieren. Wir haben zuletzt oft telefoniert, und es ist unglaublich, mit welcher Energie Georg das alles geschafft hat. Ich hoffe, dass wir an einem Tag wie diesem Georgs Schicksal in den Hintergrund stellen können“, sagte die 70 Jahre alte Trainerlegende zu SPORT1.
Funkel: „Er will nicht über sein Schicksal sprechen“
„Das ist nicht einfach und wird schwer sein, aber so wie ich Georg kenne, möchte er das auch. Er will nicht über sein Schicksal sprechen, sondern darüber, was dieses Spiel bewirken kann - nämlich, dass Geld gesammelt wird, um Kindern zu helfen.“
Koch kam zwei Stunden vor dem Anpfiff an und wurde herzlich empfangen. Die Menschen lieben ihn. Er ist in Marienfeld ein Held wie Lukas Podolski in Köln.
Während Kochs Lebenspartnerin Daniela bei dessen Abschiedsspiel am vergangenen Donnerstag im Rheinenergiestadion eine Karte für rund 175 Euro kaufen musste, betrug der Eintritt beim Benefizspiel von Koch 1 Euro.
„Hier sieht man den Unterschied zwischen Menschen. Fußball muss für alle da sein und darf nicht nur käuflich sein. Den Eintritt von 1 Euro musste ich obligatorisch machen. Ich hätte gern alle kostenlos reingelassen, aber es geht auch um den versicherungstechnischen Hintergrund“, erklärte Koch. Die Einnahmen gehen zur Hälfte an den e.V., also seinen Heimatverein, und zur anderen Hälfte an die Kinderkrebsklinik Sankt Augustin.
Koch: „Poldi ist eine andere Kategorie“
„Wenn man so lange Fußball gespielt hat, sollte man etwas zurückgeben. Poldi ist natürlich eine andere Kategorie, und ich gönne es ihm, aber ich sehe das anders. Man muss nicht immer die gleiche Meinung haben“, befand Koch.
„Das zeigt Georgs Charakter. Er denkt nicht an sich, sondern an andere, die ebenfalls schwer krank sind. Ich habe ihn lange als Torwart verfolgt und finde es schade, dass er nie in einer meiner Mannschaften war, weil er mit seiner Einstellung immer ein Vorbild war“, meinte Funkel. „Wir haben uns nicht oft gesehen, aber wenn wir uns begegneten, fielen wir uns in die Arme. Irgendwie haben wir eine besondere Sympathie füreinander, und das finde ich einfach schön - wie unter Freunden.“
Je näher der Anpfiff rückte, desto emotionaler wurde es. Aus den Boxen ertönte „Tage wie diese“, der Hit von der Düsseldorfer Kultband Die Toten Hosen. Dann kamen die Mannschaften auf den Rasen und versammelten sich im Mittelkreis. Nun folgte der Moment, den Koch als „den emotionalsten Moment in meinem Leben“ bezeichnete. Der 52-Jährige betrat Hand in Hand mit seiner Ex-Frau Katja und den gemeinsamen Kindern Emma und Max sowie seiner Lebenspartnerin Daniela den Rasen.
Gänsehaut-Moment beim Anstoß
Im Hintergrund lief nun Kochs Lieblingssong „Tommi“ von der Kölner Indie-Band AnnenMayKantereit - eine Überraschung von Daniela. Die fünf gingen bis zum Mittelkreis, wo Koch den Anstoß ausführte. Gänsehaut pur.
„Als wir auf den Platz kamen und in die Gesichter der Leute schauten, konnte man sehen, wie nahe es jedem geht, auch wenn ich jetzt darüber spreche. Wir sind Freunde und ein Stück weit Familie“, sagte Markus Anfang, Trainer des 1. FC Kaiserslautern, zu SPORT1.
„Ich bin der Patenonkel seiner Tochter. Ich kenne die Familie in- und auswendig.“ Anfang und Koch haben in der Jugend bei Bayer Leverkusen, bei Fortuna Düsseldorf, beim FCK, bei Energie Cottbus, und beim MSV Duisburg zusammengespielt. „Ich kenne Georg seit meiner Jugend. Der Kontakt ist nie abgerissen. Im Leben gibt es Momente, die dir niemand mehr nehmen kann. Für das, was jetzt leider passiert, kann keiner etwas, aber diese Momente werden für immer bleiben.“
Ausgelassene Stimmung auf der Bank
In der zweiten Halbzeit coachte Funkel und war voll in seinem Element. „So eine Bank hattest du noch nie, oder?“, scherzte Janßen. Plötzlich zählt Engels auf dem Platz nach, ob wirklich elf Spieler auf dem Feld stehen. „Das ist ein Affront gegen den Trainer“, sagte Funkel und lachte laut. Koch gesellte sich dazu. Die Stimmung war ausgelassen. Koch rief in Richtung Anfang: „So, jetzt will ich endlich mal guten Fußball sehen, nicht so wie in der ersten Halbzeit.“
Funkel und Koch hatten in den vergangenen Wochen regelmäßig Kontakt. „Die Gespräche mit Georg waren sehr vertrauensvoll und außergewöhnlich. In erster Linie drehten sie sich um den heutigen Tag. Wenn man nicht gewusst hätte, dass Georg schwer krank ist, hätte man es gar nicht vermutet. Wir haben überhaupt nicht über seine Krankheit gesprochen“, erzählte Funkel. „Dass man so etwas über einen gewissen Zeitraum ausblenden kann, finde ich unglaublich, und dafür bewundere ich Georg umso mehr. Dass er die Kraft dafür gefunden hat, ist großartig. Georg hat noch viel Elan, und ich freue mich, ihn wieder einmal gesehen zu haben.“
Koch will nicht im Mittelpunkt stehen
Koch selbst wollte am Samstag nicht im Mittelpunkt stehen. „Mir geht‘s soweit gut. Es geht nur um die Menschen und die gute Sache. Ich bin total froh, dass die ganze Vorbereitung jetzt vorbei ist. Es war viel Arbeit in den vergangenen Wochen“, meint Koch. „Am Sonntag habe ich allen Helfern nochmal ein großes Frühstück ausgegeben - vielen Dank für alles! Aber danach ist es auch vorbei.“ Dann möchte er sich komplett zurückziehen.
„Ich werde weiterkämpfen, es geht immer weiter. Ich habe Tränen in den Augen und bin dankbar für meine starke Familie, die hinter mir steht, und für die Menschen, die zu mir halten. Das ist das Wichtigste. Das Schöne ist, dass wir uns wie eine Patchwork-Familie verstehen. Dafür bin ich dankbar.“