Man mag sich es sich kaum vorstellen: Der FC Bayern stünde nach sechs Spieltagen sieglos und mit gerade einmal drei Zählern auf dem letzten Tabellenplatz in der Bundesliga. Ein unwirkliches Szenario, das in der Schweiz gerade zur Realität wird. Dort hat Serienmeister Young Boys Bern (sechs Titel in den vergangenen sieben Jahren) einen historischen Fehlstart in der Super League hingelegt.
Als wenn Bayern Letzter wäre
Dabei könnte die Welt in Bern aktuell so schön sein wie lange nicht mehr. Zuerst sicherte sich das Team aus der Hauptstadt in der vergangenen Saison den Meistertitel und zog nach zwei starken Auftritten gegen Galatasaray Istanbul verdient in die Champions League ein. Es ist für YB erst die vierte Teilnahme in der Königsklasse, die erste seit Jahr 2018. Doch von heiler Welt kann keine Rede sein.
YB zwischen Königsklasse und Tabellenende
Die Zahlen der bisherigen Saison dürften sich für YB-Fans wie ein Albtraum anfühlen:
- YB hat erstmals in der Geschichte der Super League keines der ersten sechs Spiele gewonnen (drei Niederlagen, drei Unentschieden).
- Die Young Boys gaben bereits neun Zähler nach Führung ab.
- Es ist der schlechteste Saisonstart für die Berner seit 1996. Damals spielten sie noch in der Nationalliga A und stieg am Ende der Saison ab.
„Jede Qualifikation für eine Gruppenphase ist etwas Besonderes“, sagte YB-Boss Christoph Spycher und fügte hinzu, wie wichtig dieser Erfolg speziell für das neue Trainerteam um Patrick Rahmen ist. „Der Start war alles andere als einfach, aber sie haben großartige Arbeit geleistet.“
„Alle Spieler ungenügend“
Bezeichnend für die aktuelle emotionale Achterbahnfahrt der Berner ist allerdings der Auftritt von Spycher rund um das Spiel Ende August gegen Lausanne-Sport. Vor der Partie stand er am Mikrofon des Schweizer Senders blue Sport und schwärmte von der „großen Leistung“ des gesamten Teams gegen Galatasaray. In der Halbzeitpause war er erneut als Gesprächsgast eingeladen, seine Laune hatte sich bis dahin allerdings trotz einer schmeichelhaften Pausenführung spürbar verschlechtert. „Heute war jeder Spieler, der auf dem Platz gewesen ist, ungenügend“, polterte der YB-Boss.
Dabei steht auch Spycher selbst im Zentrum der Kritik, da der Kader laut zahlreichen Experten in der Schweiz zu unausgewogen zusammengestellt worden sei. Auch beim neuen Trainer Rahmen lässt sich eine leichte Unzufriedenheit heraushören: „Uns fehlt ein wenig die Führung auf dem Platz.“
Transfers „unbefriedigend wie der letzte Platz“
Während das Duo aus Spycher und Chefscout Stephan Chapuisat in der Vergangenheit dafür bekannt war, den Verlust von Leistungsträgern durch clevere Transfers zu kompensieren, passierte in diesem Sommer lange Zeit kaum etwas.
Mit 24,2 Jahren im Schnitt hat der Kader eine eher junge Altersstruktur, nur ein einziger Feldspieler ist über 30 Jahre alt. Speziell das Karriereende von Ex-Hertha-Profi und Routinier Fabian Lustenberger konnte zum Saisonstart nicht aufgefangen werden. Die Berner Zeitung sprach in ihrem Transfer-Zeugnis sogar davon, dass die Transferphase „so unbefriedigend wie der letzte Platz in der Liga“ gewesen sei.
CL-Einnahmen sorgen für Optimismus
Doch es gibt auch Grund zum Optimismus: Wirtschaftlich läuft es so gut wie nie in der Vereinsgeschichte. Die Teilnahme an der Gruppenphase der Königsklasse bringt dem Klub Einnahmen von rund 40 Millionen Euro, die den Abstand zur Konkurrenz in der Schweiz weiter anwachsen lassen.
Darüber hinaus wurden aufgrund des schlechten Saisonstarts noch spät Verstärkungen für das Team geholt. Einer dieser Neuzugänge, Alan Virginius, erzielte das Goldene Tor im Rückspiel in Istanbul und beförderte YB damit in die Champions League. „Natürlich ist das finanziell extrem wertvoll, aber für uns steht die Freude im Vordergrund“, erklärte Spycher.
Diese Freude möchte man in Bern nun auch bald endlich wieder in der Liga verspüren. Nach dem Auftakt in der Champions League bei Aston Villa (18.45 Uhr im LIVETICKER) bietet sich die nächste Chance dazu am Sonntag im Auswärtsspiel beim FC Winterthur. Genau neun Tage später steht die Partie beim FC Barcelona an. So unterschiedlich sind die Welten derzeit bei den Young Boys aus Bern.