Im „Sentimentalen Atlas des Tores“, einem Buch des italienischen Schriftstellers Luca Todarello, sind sie vereint, die vermeintlich ikonischsten Treffer aller Fußball-Weltmeisterschaften.
Er ließ Fußball-Deutschland leiden
Robin van Persies Traumtor gegen Spanien bei der WM 2014 ist ebenso aufgelistet, wie Pelés Kopfball im Endspiel 1970, als der brasilianische Ausnahmestürmer den Auftakt zum 4:1-Sieg gegen Italien machte.
Doch während Pelés Treffer die Tifosi in Depressionen stürzte, erzählt ein anderes Kapitel von einem italienischen Fußballer, der mit seinem Tor das genaue Gegenteil auslöste.
Die Rede ist von Marco Tardelli, der an diesem Dienstag seinen 70. Geburtstag feiert. Bei seinem Treffer zum 2:0 im Finale 1982 überwand der damalige Mittelfeldstar von Juventus Turin mit seinem linken Fuß aus 18 Metern Toni Schumacher im Kasten der DFB-Elf.
Tardelli wird zur italienischen WM-Ikone
Anschließend setzte er zu seinem in Italien legendär gewordenen Jubel an: Augen und Mund weit aufgerissen, den Kopf immer wieder schüttelnd, rannte er wie in Ekstase los und ließ sich von keinem seiner Teamkameraden einfangen. „In diesem Moment habe ich die größte Freude meines Lebens erfahren, es gibt nichts Vergleichbares“, sagte Tardelli Jahrzehnte später in einem Interview.
Der ekstatische Moment war gleichsam ein Stich in die Herzen der deutschen Fußballfans, die an diesem Abend des 11. Juli millionenfach die TV-Geräte angeschaltet hatten, um der Nationalelf die Daumen zu drücken.
„Es war wie ein Billardstoß, so präzise und genau, dass er den Innenpfosten links von Schumacher traf, bevor er im Netz landete“, schreibt Todarello über Tardellis Tor. „Der Lauf der Geschichte an diesem schwülen Juliabend war bereits vorgezeichnet, er musste so verlaufen. In dieser Nacht würde ein Junge mit einem Freudenschrei durch den Himmel schießen.“
So wie in Deutschland Helmut Rahn, der aus dem Hintergrund schießen müsste und schoss oder Mario Götze, der nach Tom Bartels‘ Aufforderung ihn zu machen, ihn tatsächlich machte, so hat sich auch Tardellis Treffer in die Fußballgeschichte einer ganzen Nation eingebrannt. Viel mehr noch als die beiden Treffer davor (Paolo Rossi) oder danach (Alessandro Altobelli), die den 3:1-Endstand (bei einem Gegentor von Paul Breitner) abrundeten.
Italiens Auferstehung 1982 - auch dank Tardelli
Ihn aber einzig auf dieses Tor zu komprimieren, würde der Karriere von Marco Tardelli nicht gerecht. Er war einer der ersten „Universalisten“ des Fußballs, deren Aktionsradius über das gesamte Spielfeld reichte.
Der legendäre Nationaltrainer Enzo Bearzot, der die Italiener von 1975 bis 1986 anführte, berief Tardelli 1976 zum ersten Mal in sein Team - fortan war der aus dem toskanischen Capanne di Careggine stammende Mittelfeldspieler nicht mehr aus der Squadra Azzurra wegzudenken.
Entsprechend war er bereits bei der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien - als Italien Dritter wurde - unumstrittener Stammspieler, doch seine große Zeit sollte erst vier Jahre später kommen.
In jenen Wochen in Spanien sprach zunächst nicht viel dafür, dass Tardelli mit der Nationalelf Geschichte schreiben würde. Nach einer desolaten Vorrunde, in der man sich gegen Polen, Peru und Kamerun mit drei Unentschieden in die nächste Runde quälte, schrieben Italiens Sportgazetten die Elf schon in Schutt und Asche.
Mit Siegen gegen Argentinien (2:1), Brasilien (3:2) und Polen (2:0) folgte dann aber die nicht für möglich gehaltene Auferstehung, an der Tardelli einen gehörigen Anteil hatte. Er stopfte Löcher, half hinten aus, trieb an - und wenn es nötig war, traf er auch noch. Schon vor seinem Finaltor gegen Deutschland hatte der „Kojote“, wie ihn Bearzot taufte, mit dem Führungstreffer gegen Argentinien sein Team auf Kurs gebracht.
Bearzot sagte: ‚Komm schon, Kojote, geh schlafen“
Seinen Spitznamen erhielt Tardelli nicht etwa, weil er so laufstark war, sondern wegen seiner nächtlichen Unruhe. „So nannte mich Bearzot, weil ich nie schlief, genau wie er“, sagte Tardelli einst. „Er holte mich nachts aus den Zimmern, wo ich alle wachhielt und sagte: ‚Komm schon, Kojote, geh schlafen‘.“
Seine große Vereinskarriere startete Tardelli, als er als 21-Jähriger vom Provinzklub Como zum damaligen Serienmeister Juventus unter Trainer Giovanni Trapattoni wechselte.
Elf Spielzeiten lang war er die Nummer 8 bei Juventus (von 1975 bis 1985, mit 295 Einsätzen und 35 Toren), dann folgten zwei Jahre bei Inter Mailand, bevor er in St. Gallen seine Karriere auslaufen ließ.
Auch danach blieb Tardelli dem Fußball treu, er wurde Coach in Italiens Jugend-Nationalmannschaften und gewann als Co-Trainer von Cesare Maldini die U21-Europameisterschaft. Tardelli trainierte Como in der Serie C und Cesena in der Serie B, bevor er 1996 erneut Maldinis Stellvertreter wurde, diesmal jedoch für die große Nationalmannschaft.
Fortan verließ ihn aber das Glück. Nach einer kurzen Station als ägyptischer Nationaltrainer von März bis Oktober 2004 und einer Amtszeit im Vorstand von Juventus (2006 bis 2007) arbeitete Tardelli von 2008 bis 2013 unter Trapattoni als irischer Nationaltrainer. Nachdem die angepeilte Qualifikation für die WM 2014 verpasst wurde, wurden die Verträge aufgelöst.