Nonkonformist, Rebell und kritischer Geist: Ewald Lienen ist seit 2017 kein Trainer mehr und widmet sich seitdem Themen wie dem Klimawandel, der sozialen Gerechtigkeit oder der Förderung von Kindern und Jugendlichen.
Lienen schimpft über Nachwuchsarbeit
Mit Humor, pointierten Analysen und Herzblut spricht Lienen im SPORT1-Podcast Leadertalk über die zurückliegende EM, den Fußballnachwuchs, die Politik sowie sein gesellschaftliches Engagement.
Ewald Lienen von EM „begeistert“
Von der Europameisterschaft war Ewald Lienen geradezu begeistert. „Das, was ich hier gesehen habe, ist eine unbändige Freude von ganz vielen Menschen, die hierhin kommen. Das ist auch immer eine große Chance für ein Land. Andere Menschen zu sehen, andere Menschen zu respektieren und sich als guter Gastgeber zu zeigen und gemeinsam mit Menschen aus anderen Ländern zu feiern. Da habe ich mich gefreut, das war toll.“
Gerade die weniger favorisierten Nationen taten es Lienen an, der selbst viele Jahre im Ausland arbeitete. „Georgien gegen Türkei, das war der erste Aufhänger, wo ich gedacht habe, was ist das denn für eine Leidenschaft? Das Spiel war wie eine Botschaft: So kann Fußball auch sein. Aber auch das ist etwas, was ich aus dieser Europameisterschaft mitnehme, unabhängig davon, wer gewinnt, wie weit wir kommen, gibt es eben noch ein paar andere Werte.“
„Ich kann Ungerechtigkeiten nicht ertragen.“
Und die stehen für den 70-Jährigen viel zu selten im Zentrum: „Wir haben mittlerweile den Fußball so kommerzialisiert und die Anzahl der Spiele so hochgetrieben, dass die Spieler gar nicht mehr alle drei Tage eine Leistung auf Top-Niveau abrufen können. Das geht einfach nicht. Wir haben eine Gesellschaft zugelassen, wo die Werte und das Gemeinwohl auf der Strecke geblieben sind“, findet der Ex-Trainer, der mit seiner Meinung nie hinter dem Berg gehalten hat.
„Ich habe immer gesagt, was ich denke, aber das war nicht immer zu meinem Vorteil“, so Lienen, der aber gut damit leben kann. Denn: „In den Spiegel zu gucken, das ist mein Thema und nicht, ob mir irgendeiner auf die Schultern klopft. Ich kann Ungerechtigkeiten nicht ertragen, deshalb habe ich mich oft zu Wort gemeldet.“
„Wir haben eines der schlechtesten Schulsysteme“
Kein Wunder, dass Lienen angesichts der Entwicklungen eher lauter als leiser wird.
„Die Politik setzt falsche Maßstäbe. Zum Beispiel: Der Sport ist das Erste, was im Unterricht hinten runterfällt. Das interessiert gar keinen“, meint er: „Wir haben eines der schlechtesten Schulsysteme. Wir sehen leider die Schule nicht als einen Ort der Erziehung, als einen Ort wo Werte vermittelt werden, als einen Ort, wo ich den Kindern etwas fürs Leben mitgebe, sondern das war immer nur ein Ort, wo es um die Vermittlung von Wissen geht.“
Sein Fazit: „Wir tragen zu wenig zur Persönlichkeitsentwicklung der Kinder bei.“ Deshalb fordert er, dass „wir den Kindern Werte in den Vereinen beibringen müssen. Werte wie Respekt, Fairness, Toleranz, Rücksichtnahme, all die Dinge kann ich in Vereinen und Schulen voranbringen.“
„Haben eine Armee von jungen Nerds auf die Kinder losgelassen“
Doch wenn Lienen auf die Trainer im Jugendbereich schaut, fällt sein Urteil nicht gut aus.
„In der Fußball-Ausbildung haben wir eine Armee von jungen Nerds auf die Kinder und Jugendlichen losgelassen, die alle Karriere machen wollen, die Mannschaftserfolg haben wollen, die nicht Spieler für die Bundesligamannschaft ausbilden wollen, sondern die wollen in irgendein Finale kommen. Darum geht es nicht. Es geht auch da wieder nur um Karriere.“